Konjunktur und Finanzmärkte haben etwas Divenhaftes an sich. Ständig müssen sie mit irgendwelchen Maßnahmen bei Laune gehalten werden. Geschieht das nicht, schmollen sie und rutschen in eine Rezession respektive in einen Bärenmarkt ab. Die Aufgabe des Animateurs hatte in den vergangenen Jahren vor allem die Geldpolitik übernommen. Fast weltweit schossen die Notenbanker aus allen Rohren, beseelt von dem Ziel, Wirtschaft und Börsenkurse am Laufen zu halten.

Doch die positive Wirkung der Flut des billigen Geldes scheint nachzulassen. Kein Wunder, nach global annähernd 700 Zinssenkungen, auf die Merrill Lynch bei einer Zählung seit 2008 kommt. Trotz der massiven Anstrengungen führender Notenbanken dürfte in diesem Jahr die Weltwirtschaft nur um weniger als drei Prozent wachsen und damit so wenig wie seit dem Ende der jüngsten Finanzkrise nicht mehr.

Aus Sicht der politisch Verantwortlichen ist das nicht genug. Das zeigt die Abschlusserklärung zum jüngsten G 20-Gipfel, der Anfang September im chinesischen Hangzhou stattfand. Darin stuften die führenden Industrie- und Schwellenländer das globale Wachstum als "weiter schwächer als erstrebenswert" ein. Die Suche nach Alternativen zur Geldpolitik, um endlich doch wieder für mehr Schwung zu sorgen, gestaltet sich allerdings sehr schwierig. Am sinnvollsten wären sicherlich strukturelle Reformen. Doch damit gehen in der Regel zunächst Einschnitte einher, die für Wähler unangenehm sind. Daher wollen Politiker von solchen Maßnahmen meist nur dann etwas wissen, wenn es überhaupt nicht mehr anders geht. Leichter ist es da, die Staatskasse zu öffnen und mit einer expansiven Fiskalpolitik Geld unter die Leute zu bringen.

Lieber teuer als schmerzhaft



Warum diese Option speziell in der aktuellen Situation präferiert werden dürfte, erklärt Janwillem Acket: "Allmählich ausgehende Politikoptionen der Zentralbanken, um nachhaltiges und stetiges Wachstum zu fördern, und gleichzeitige fiskalische Zurückhaltung haben den Druck auf die Privathaushalte erhöht und deren Frustration über die Globalisierung ansteigen lassen", sagt der Chefvolkswirt der Privatbank Julius Bär. "Diese Tendenz untergräbt zunehmend die Legitimität der regierenden politischen Parteien und fördert radikale Gruppierungen. Statt strukturelle Reformen zu priorisieren, die kurzfristig ihre Wählergruppen negativ betreffen könnten, sind die entsprechenden Regierungen dabei, ihre fiskalische Zurückhaltung abzulegen und defizit- beziehungsweise schuldenfinanzierte Ausgaben zu tätigen."

Häufig bremsen aber leere Kassen den Elan in Sachen expansive Fiskalpolitik. Die Verschuldung der Industrieländer dürfte in diesem Jahr 107 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung erreichen - das höchste Niveau seit Ende des Zweiten Weltkriegs, zitiert Allianz-Global-Investors-Kapitalmarktexperte Stefan Scheurer Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF). Das hält aber weder den IWF selbst, die US-Notenbank Fed oder die Europäische Zentralbank (EZB) noch führende Investmentbanken davon ab, nach neuen staatlichen Konjunkturprogrammen zu rufen.

Und sie finden durchaus Gehör. China hat schon entsprechende Maßnahmen umgesetzt, Japan und Großbritannien stehen kurz davor. In Europa werden die Sparvorschriften bereits weniger streng ausgelegt, es wird an einem EU-Infrastrukturfonds gebastelt, und erstmals nach fünf Jahren dürfte 2017 die EU-Fiskalpolitik expansiv ausfallen. In den USA beinhalten die Wahlprogramme der beiden Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Hillary Clinton Infrastrukturausgaben in einer Größenordnung von 1,5 bis 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.



Losgelöst von der Finanzierungsfrage gibt es zweifellos großen Handlungsbedarf. So ist in den USA der Anteil der vom Staat finanzierten Bruttoinvestitionen gemessen am Bruttoinlandsprodukt auf ein 70-Jahres-Tief gesunken. In Europa markierten die privaten Ausrüstungsinvestitionen 2014 ebenfalls gemessen am Bruttoinlandsprodukt ein Rekordtief. Joachim Klement, der bei der Credit Suisse das thematische Research leitet, beziffert die Summe aller globalen Infrastruktur-Investitionen, die in den kommenden 15 Jahren fällig werden, auf 20 Billionen Dollar. Diese enormen Ausgaben zu stemmen, ist ohne staatliches Mitwirken schlichtweg nicht möglich. Insgesamt ist vor diesem Hintergrund eine neue Welle an staatlichen Ankurbelungsmaßnahmen zu erwarten.

Allerdings müssen die Mittel sinnvoll eingesetzt werden. Wie es nicht laufen sollte, lässt sich teilweise in China beobachten. Laut der Saïd Business School der Universität Oxford hat das Reich der Mitte bei mehr als der Hälfte der Infrastruktur-Investments Wert vernichtet statt geschaffen. Zu bedenken ist auch, dass der Umsetzungsprozess sehr langsam verläuft. So müssen die skizzierten Pläne erst beschlossen und dann tatsächlich realisiert werden, was sich durchaus über Jahre hinziehen kann.

Die Folgen der sich abzeichnenden Neuausrichtung des volkswirtschaftlichen Instrumentariums sind dennoch nicht zu unterschätzen. Keiner weiß das besser als die Investmentbanken. Dass sie bereits Witterung aufgenommen haben, zeigt sich an den zahlreichen Studien und Analysen, die in den vergangenen Wochen zu diesem Thema veröffentlicht wurden. Aber natürlich betätigen sich die Herren (und Damen) des Geldes nicht nur als Papiertiger. Veröffentlichen sie in einem derartig großen Umfang wie aktuell Material zum Thema Fiskalpolitik und Infrastruktur, dann zieht das Kapitalströme nach sich. Entweder weil die Banken selbst investieren oder weil ihre Kunden das Geschriebene in die Tat umsetzen.







Diverse Szenarien ...



Die Folgen können gravierend sein und sich auf alle Segmente der Finanzmärkte erstrecken. Daher ist es für Anleger sinnvoll, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Das Problem dabei: Es lassen sich daraus verschiedene Szenarien ableiten. Das bedeutet: Es gibt keine Garantie dafür, wie es letztlich kommen wird. Unterschiedliche Meinungen gibt es etwa zu den Auswirkungen auf die Anleihemärkte. Hier hält Jeffrey Gundlach eine nachhaltige Wende bei den Renditen nach oben durchaus für denkbar. Denn Investitionen in Infrastruktur sorgen für höheres Wachstum sowie ein zusätzliches Angebot an neuen Anleihen zur Finanzierung der Pläne, sagt der als "Bond-King" bezeichnete Chef des US-Vermögensverwalters Doubleline Capital.

Ganz anders argumentiert Patrick Artus. Der Natixis-Chefvolkswirt kann sich eine expansivere Fiskalpolitik nur vorstellen, wenn die Leitzinsen weiterhin niedrig bleiben. Denn die Kredite zur Finanzierung der Vorhaben wären nicht bezahlbar, wenn man von steigenden sonstigen Kosten ausgeht. Beide Ansätze klingen plausibel. Marktteilnehmer sollten daher erst einmal abwarten und beobachten, welche Kräfte sich durchsetzen.

... etliche Profiteure



Weniger strittig ist dagegen die Frage, welche Branchen besonders stark profitieren, sollten sich die Staaten künftig zu höheren Investitionen durchringen. Baukonzerne und Baustoffhersteller dürften zu den Gewinnern gehören, ebenso Industrieunternehmen sowie alle Dienstleister rund um die Infrastruktur.

Auch einigen Rohstoffen, wie etwa den Basismetallen, winken positive Impulse. Merrill Lynch spricht in Anlehnung an den "Greenspan Put" (der frühere US-Notenbankpräsident Alan Greenspan reagierte auf jede Krise mit Zinssenkungen) bereits von einem "Keynes Put". Die Bank bezieht sich damit auf den Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes, der als Vordenker im Bereich Konjunktur- und Fiskalpolitik gilt. Entsprechend rät Chefinvestmentstratege Michael Hartnett zu einem Schwenk in der Anlagestrategie: "Wir empfehlen Investoren, ihre Portfolios neu auszubalancieren und sich dabei von den Gewinnern der quantitativen geldpolitischen Lockerungen ab- und stattdessen jenen Vermögenswerten und Sektoren zuzuwenden, die von einer größeren fiskalpolitischen Freigiebigkeit profitieren."

Diese These deckt sich mit der Einschätzung von BÖRSE ONLINE. Anleger sollten auf Einzeltitel setzen, die bereits jetzt gut laufen. Denn diese Unternehmen haben bewiesen, dass sie auch mit dem Status quo gut zurechtkommen. Sollten dann noch fiskalpolitische Maßnahmen die Kurse beflügeln - umso besser.







Drei der Unternehmen aus unserer Auswahl haben mit Direktinvestments in das Thema Infrastruktur zu tun. Damit lassen sich stabile und relativ sichere Erträge erzielen. Dieses Argument wiegt in einem Umfeld von Niedrig- oder sogar Negativzinsen und geringem Wachstum besonders schwer. Infrastrukturinvestoren verfügen derzeit laut Preqin, einem Datenspezialisten für alternative Investments, über Finanzmittel in Höhe von rekordverdächtigen 108 Milliarden Dollar. Kapital, das eingesetzt sein will, für das sich aber oft keine geeigneten Projekte finden. Mehr Auswahl wäre so gesehen von Vorteil.

Einen guten Job gemacht hat in der Vergangenheit 3i Group, ein britischer Vermögensverwalter, der auf die Bereiche Private Equity, Anleihen und Infrastruktur spezialisiert ist. Der nur in London gehandelte Infrastruktur-Ableger 3i Infrastructure etwa beziffert den bisherigen jährlichen Bruttoertrag der Investments seit 2007 auf 18 Prozent. Zum Brexit teilte dieser Bereich mit, der geplante EU-Ausstieg der Briten belaste die Geschäfte bisher nicht nennenswert. Die Gesellschaft ist hauptsächlich auf dem Heimatmarkt und in Europa aktiv. Neben dem intakten charttechnischen Aufwärtstrend gefällt die moderate Bewertung und die attraktive Dividendenrendite von rund drei Prozent.

Diese Punkte treffen bei John Laing ebenfalls zu. Der britische Infrastrukturspezialist ist in Europa, Nordamerika sowie Asien-Pazifik aktiv und hat die verwalteten Mittel von gut zwei Milliarden Pfund in derzeit 38 Projekte investiert. Eines davon ist eine Beteiligung an einem Offshore-Windpark-Projekt in der deutschen Nordsee nördlich von Wilhelmshaven, die Ende August eingegangen wurde. Der Finanzdienstleister Edison prognostiziert, dass der Nettoinventarwert des Titels von Ende 2015 bis Ende 2018 von 2,42 Pfund auf 3,40 Pfund je Aktie steigt. Die Aktie wird in Deutschland allerdings relativ wenig gehandelt, daher sollten Anleger Aufträge limitieren.

Das gilt auch für Brookfield Infrastructure Partners. Die Gesellschaft ist international aktiv, firmiert auf den Bermudas und ist in New York börsennotiert. Sie hat das Zeug dazu, ihre operativen Ergebnisse in den kommenden Jahren prozentual zweistellig zu steigern und gleichzeitig die Dividende kontinuierlich zu erhöhen. Sollte mehr Geld in Konjunkturprogramme und den Ausbau der Infrastruktur fließen, dann hilft das auch den Industriekonzernen. Gut positioniert ist etwa Siemens. Die Münchner haben einen eigenen Geschäftsbereich, der sich dem Thema "Intelligente Infrastruktur" widmet. Dazu zählen etwa Gebäudetechnik, integrierte Mobilität, effiziente Energieverteilung und intelligente Stromnetze, sogenannte Smart Grids. Seit Längerem stellt sich das Unternehmen neu auf, was die Börse mit neuen Mehrjahreshochs honoriert.



Davon ist der Schweizer Konkurrent ABB zwar noch weit entfernt, neuerdings sendet aber der Aktienkurs Lebenszeichen. Alle vier Divisionen Elektrifizierungsprodukte, Industrieautomation und Antriebe, Prozessautomatisierung und Stromnetze sind potenzielle Profiteure von Konjunkturprogrammen. Bei der Stromnetzsparte kommt außerdem die Fantasie hinzu, dass Anfang Oktober eine Entscheidung darüber fällt, ob der Sektor im Konzernverbund bleibt oder abgespalten wird.

Die restlichen Mitfavoriten sind dem Bereich Bau oder Verkehr zuzuordnen. Erfolgreich unterwegs im Bausektor ist HeidelbergCement, wie Mehrjahreshochs beim Aktienkurs dokumentieren. Investieren die Staaten wieder mehr in Straßen, Brücken, Flug- oder Seehäfen, sollte das dem Baustoffspezialisten zum Vorteil gereichen. Schließlich sind dafür Zement, Zuschlagstoffe, Transportbeton und Asphalt nötig - alles Produkte, die der deutsche Baustoffkonzern verkauft. Gut laufen die Geschäfte des DAX-Mitglieds derzeit insbesondere in den USA.



Dort ist auch Ashtead Group sehr aktiv, ein im britischen FTSE 100 vertretener Vermieter von Baugeräten und Bauausrüstungen. Die US-Tochter Sunbelt steuerte zuletzt 85 Prozent der Umsätze bei. Die Schwäche des Britischen Pfunds hilft dem Unternehmen aus London dabei, mögliche negative Brexit-Folgen abzufedern. Der Aktienkurs ist nach dem EU-Ausstiegsvotum unbeirrt auf neue Rekorde vorgerückt.

Der Wiener Baukonzern Porr ist außer in Katar ausschließlich in Europa tätig, hier vor allem in Österreich, Deutschland, der Schweiz, Polen und Tschechien. Der bereits 1869 gegründete Traditionskonzern steht auch ohne neue Konjunkturprogramme gut im Saft. Das belegt der Auftragsbestand, der im ersten Halbjahr 2016 um 13,5 Prozent auf den Rekordwert von 5,481 Milliarden Euro stieg. Zudem verfolgen die Österreicher einen Strategieplan, der bis 2020 eine Digitalisierung der Baustellen und Arbeitsabläufe anstrebt. Der Aktienkurs ist gerade aus einem Seitwärtstrend nach oben ausgebrochen, was angesichts einer moderaten Bewertung gerechtfertigt erscheint.





Lukratives Konzessionsgeschäft



Den Baukonzern Vinci hatte BÖRSE ONLINE schon in Heft 51/2014 zum Kurs von 40,98 Euro zum Kauf empfohlen. Obwohl das Mitglied des französischen Leitindex CAC 40 seitdem bereits um mehr als 60 Prozent zugelegt hat, ist dieser Titel weiterhin interessant. Denn die Franzosen treiben den Ausbau ihres Konzessionsgeschäfts kräftig voran. Mit dem Betrieb von Flughäfen und Mautstraßen lassen sich solide Ergebnisse erzielen. Die Aufstellung von Vinci verspricht für die kommenden Jahre eine steigende Rendite beim freien Cashflow.

Kapsch TrafficCom, ein Anbieter von Mautsystemen, ist zunehmend auch in sonstige Mobilitätslösungen involviert - etwa Überwachung und Steuerung von Verkehr, Parklösungen oder vernetzte Fahrzeuge. Das österreichische Unternehmen hat zuletzt einige Aufträge erhalten, was den Aktienkurs beflügelt hat. Dennoch besteht im Branchenvergleich weiter ein Bewertungsabschlag. Dieser sollte sich langfristig auflösen, falls der Staat sein Füllhorn öffnet. Denn davon dürfte auch etwas in den Kassen von Kapsch TrafficCom landen.