"Ich habe über 3.000 Euro verloren. Das Vertrauen ist natürlich gänzlich verloren gegangen", schreibt ein betroffener Anleger. Zahlreiche Investoren teilten ihre Geschichten. Manche von ihnen verloren durch den Bilanzskandal des Aschheimer Konzerns nur wenige hundert Euro, andere hingegen berichten von Verlusten in Höhe von 70.000 Euro.

Auslöser für den dramatischen Kursrutsch und die angemeldete Insolvenz ist ein Bilanzskandal, dessen Ausmaße noch immer ungewiss sind. Bereits 2019 hatte vor allem die "Financial Times" Manipulationsvorwürfe erhoben - drastische Kursstürze hatte es bereits damals gegeben. Nun aber in einer ganz neuen Dimension. Um rund 99 Prozent ging es insgesamt bergab.

Insgesamt vier Mal wurde die Bilanzvorlage bereits verschoben. Schließlich entdeckten die Wirtschaftsprüfer Ernst & Young (EY) eine 1,9 Milliarden Euro große Lücke in den Zahlen. Nur kurze Zeit später erklärte Wirecard, dass das fehlende Geld mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" gar nicht existierte. Kurz nach der jüngsten Bilanzverschiebung am 18. Juni trat Wirecard-Chef Markus Braun schließlich zurück. Er hatte die Manipulationsvorwürfe stets dementiert. Braun sah das Unternehmen vielmehr als ein Opfer von Leerverkaufs-Attacken. Wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung und Marktmanipulation wurde Braun schließlich am Montag, 22. Juni, verhaftet. Gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro wurde der Ex-Wirecard-Chef jedoch wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.

Enttäuschte Anleger: "Die Institutionen haben versagt"


Besonders enttäuscht zeigten sich Anleger in der boerse-online.de-Umfrage auch von der Finanzaufsicht Bafin und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY. Diese hatte sich die Zahlen erst nach einer externen Sonderprüfung durch die Wirtschaftsprüfung KPMG genauer vorgenommen. "Der Verlust frustet mich nicht einmal so sehr wie die Institutionen, die versagt haben!", so ein Anleger, der mit Wirecard rund 70.000 Euro verloren hat. "Wo war die BaFin und was hat EY all die Jahre testiert?", fragt sich auch ein anderer Investor.

Bafin-Chef Felix Hufeld räumte Fehler ein. Was dort passiert sei, sei ein "totales Desaster", so Hufeld. "Es ist eine Schande, dass so etwas passiert ist." Private und öffentliche Institutionen, inklusive seiner eigenen Behörde, hätten versagt, erklärte Hufeld. Es stellte sich heraus, dass Wirecard selbst wohl als Technologieunternehmen eingestuft wurde. Die Aufsicht habe sich nur für die Wirecard Bank zuständig gefühlt.

Die juristische Aufarbeitung des Skandals ist derweil in vollem Gang. "Sicher ist bereits jetzt, dass wir mit dem Fall Wirecard Zeugen eines der größten Wirtschaftsprozesse aller Zeiten werden", sagte Anwalt Maximilan Weiss von der Kanzlei Tilp kürzlich gegenüber BÖRSE ONLINE. Die Schadensersatzklage der Kanzlei gegen Wirecard wurde inzwischen auf den Wirtschaftsprüfer EY, Ex-Wirecard-Chef Markus Braun, den ehemaligen Vorstand Jan Marsalek sowie den noch amtierenden Finanzchef Alexander von Knoop ausgeweitet. Tilp hatte bereits Mitte Mai am Landgericht München Klage gegen den Konzern eingereicht und ein Musterverfahren beantragt. Mehr als 30.000 Anleger hätten sich bereits an die Tübinger Anwaltskanzlei gewandt. Ein Musterverfahren ähnelt einer Sammelklage, bei der einer im Namen von vielen klagt.

Neben Tilp hat auch die Berliner Kanzlei Schirp Klage gegen EY eingereicht. Beide sehen eine Mitverantwortung der Wirecard-Prüfer für die Verluste der Wirecard-Aktionäre und verlangen Schadensersatz. Das dürfte auch im Sinne einiger Kleinanleger sein. "Ich hoffe nun auf die Schadenersatzklagen gegen EY. Und natürlich, dass die Verantwortlichen hinter Gitter kommen als Abschreckung vor Nachahmung", sagt ein Anleger.

Hohe Verluste für die Anleger


Sicher ist: Zahllose Anleger haben viel Geld verloren: "Ich war bisher äußerst positiv gestimmt, was Wirecard angeht, da ich ebenfalls aus der Payment Branche komme. Ich bin der Meinung, das Geschäft aus der "Finance" Sicht vollumfänglich einschätzen zu können, da ich lange als Head of Controlling gearbeitet habe und die Thematik mit den Treuhandkonten zur Genüge kenne und verstehe", erzählte ein Leser und Wirecard-Anleger. "Am Ende des Tages stehe ich mit einem Verlust von 16.000 Euro da und fühle mich schlichtweg betrogen, da ich auf gefälschte und falsche Fundamentaldaten gesetzt habe. Daher ist die Situation für mich, mit einer extremen Verantwortung gegenüber meiner Familie, unterirdisch. Ich fühle mich betrogen."

Doch manche Kleinaktionäre kamen auch mit einem blauen Auge davon. "Gekauft habe ich damals 2016 für rund 36,60 Euro. Da die Position immer mehr gestiegen ist und somit mehr Anteil am Depotwert hatte, habe ich Stück für Stück 75 Prozent meiner Aktien verkauft", erzählt ein anderer Anleger. Das letzte Viertel habe er zu Beginn des Kursdesasters mit etwas Verlust verkauft. Am Ende stünde dennoch ein Gewinn von 160 Prozent.

Was können Anleger jetzt tun?


Die Ratlosigkeit unter den Aktionären bleibt. Keiner weiß genau, wie es wirklich weitergeht. Viele Investoren schreiben, dass sie die Aktie noch halten, falls der Kurs bei einer möglichen Übernahme steigt: "Ich habe mir Mitte/Ende April ein paar Aktien von Wirecard zugelegt für 124 Euro (zwei Tage vor dem eigentlichen Report-Release Termin). Damals wies nämlich vieles daraufhin, dass Wirecard mit dem KPMG-Report entlastet werden würde. Jetzt kann ich eher schlecht verkaufen, aber ich hoffe, dass eventuell andere Unternehmen über eine Wirecard-Übernahme nachdenken (da die Branche eigentlich sehr zukunftsorientiert ist), um somit die Aktie nochmal nach oben zu pushen. Also abwarten heißt es bei mir."

Andere wiederum halten die Aktie, da es "auf die paar Euro auch nicht mehr ankommt". Börsenberater Jens Rabe rät dagegen, die Aktien jetzt zu veräußern. Das sei auch steuerlich sinnvoll: "Fällt eine Aktie auf null, wird also zum Totalausfall, kann ich nur noch 10.000 Euro pro Jahr als Verlust einbringen oder gegen Gewinne rechnen. Wer jetzt verkauft, kann den Verlust immerhin voll einbringen."

Kritisch sieht Rabe auch die aufkommende Sammelklage-Welle. Die Aktionäre würden als allerletztes Geld aus der Insolvenzmasse bekommen. Da bei Wirecard vor den Anlegern noch diverse Gläubiger, Behörden, Sozialkassen und Banken zu bedienen seien, ist die Chance für den Investor, noch Geld zu bekommen, minimal.

Viele Anleger haben durch den massiven Kursrutsch auch etwas gelernt: Wie wichtig Diversifikation im Depot ist. "Mein Rat ist immer einen maximalen Anteil von fünf bis zehn Prozent pro Einzelaktie im Depot", schreibt ein Anleger.

Wie geht es weiter für Wirecard?


Der beauftragte Insolvenzverwalter Michael Jaffé verschafft sich derzeit einen Überblick über den Wert des Zahlungsabwicklers. Viele der über 6.000 Wirecard-Angestellten hoffen, dass es zumindest für Teile des Konzerns eine Zukunft gibt.

So hätten die Gläubiger bereits grünes Licht für die Mandatierung von spezialisierten Investmentbanken gegeben, die sich um den Verkauf der einzelnen Firmenteile kümmern sollen, sagte Jaffé. Die US-Tochter Wirecard North America, die Wirecard 2016 übernommen hat, stellte sich bereits selbst zum Verkauf. Die Tochter sieht sich selbst als finanziell unabhängig von der insolvent gegangenen Wirecard AG.