Plötzlich ging es Schlag auf Schlag. Als erster US-Bundesstaat verhängte Massachusetts am 25. September ein viermonatiges Verkaufsverbot für alle Typen von E-Zigaretten, weil sie ein Gesundheitsrisiko darstellen. Am gleichen Tag erklärte Kevin Burns, Vorstandsvorsitzender des amerikanischen E-Zigaretten-­Marktführers Juul, seinen Rücktritt. Gleichzeitig wurde auch bekannt, dass die Fusionsgespräche von Tabak­gigant Altria mit Zigarettenhersteller Philip Morris beendet wurden. Altria ­gehören seit vergangenem Dezember 35 Prozent an Juul.

Die Meldungen sind eine direkte Folge der Berichte über schwere Lungenkrankheiten in den Vereinigten Staaten. Nach aktuellen Zahlen des Zentrums für Seuchenkontrolle und -prävention (CDC) wurden seit August 805 Krankheitsfälle in 46 US-Bundesstaaten und zwölf Todes­fälle gemeldet, nachdem Patienten mit E-Zigaretten Marihuana oder Nikotin konsumiert hatten. Die genauen Ursachen ermitteln Mediziner noch. Es gibt Hinweise, dass die Nutzer Cannabis- und Nikotinprodukte auf dem Schwarzmarkt erworben haben. Seit Bekanntwerden der Lungenkrankheiten rät das CDC vom Gebrauch aller E-Zigaretten ab.

"Das ist der bisher gefährlichste Augenblick für die Vaping-Branche", sagt Shane MacGuill, der beim Marktforschungsunternehmen Euromonitor die Tabak- und die E-Zigarettenbranche beobachtet. Mittelfristig stellen die eiligen Regulierungen die Zukunft der Branche infrage.

Vaping, so der englische Ausdruck für das Verdampfen, hatte sich als Alterna­tive zum herkömmlichen Zigarettenrauchen in Position gebracht. Anbieter wie Juul, Blu, Vuse oder Vype warben damit, dass der Umstieg auf E-Zigaretten Rauchern bei der Entwöhnung hilft oder ­ihren Konsum reduzieren kann. Statt ­Tabakblätter zu verbrennen, verdampfen E-Zigaretten eine nikotinhaltige Flüssigkeit. Mediziner warnen, dass auch beim Verdampfen von Nikotin giftige Stoffe freigesetzt werden können und die Langzeitfolgen von Vaping nicht erforscht sind. Nikotin selbst ist gesundheitsschädlich und macht süchtig. "In der Realität sind diese Produkte furchtbar effizient darin, Jugendliche weltweit in die Nikotin-Abhängigkeit zu führen", sagt Mark Hurley, der die weltweite Öffentlichkeitsarbeit bei der Campaign for Tobacco-­Free Kids leitet. Die amerika­nische Organisation setzt sich seit rund 20 Jahren für Rauchverbote, Gesundheitswarnungen, Werbeverbote und höhere Steuern auf Tabakprodukte ein.

Eine Branche am Scheideweg. Die Tabakkonzerne haben große Hoffnungen ins Vaping gesetzt und in den vergangenen Jahren eigene Systeme entwickelt oder eingekauft: Imperial Brands führt die Marke Blu, Reynolds American gehört Vuse, British American Tobacco vertreibt Vype, Japan Tobacco International gehört das E-Zigarettensystem Logic. Laut den Marktforschern von Euromonitor ist die Zahl der Nutzer von E-Zigaretten seit 2011 von rund sieben Millionen auf 41 Millionen im Jahr 2018 gestiegen. Der amerikanische Marktführer Juul erwirtschaftete 2018, kaum drei Jahre nach Produkteinführung, einen Jahresumsatz von zwei Milliarden Dollar.

Die Verdampfer versprachen Profite in Zeiten eines kriselnden Kerngeschäfts. Denn die Zahl der Raucher weltweit geht laut Weltgesundheitsorganisation WHO langsam zurück. Im Jahr 2000 rauchten auf dem gesamten Globus 1,14 Milliarden Menschen, 2015 waren es 1,11, 2025 sollen es 1,09 Milliarden sein. Strengere Gesetze und Steuern auf Tabak­erzeugnisse beeinflussen das Geschäft.

2018 erließ das kleine Georgien eines der striktesten Tabakkontrollgesetze überhaupt. Es verbietet Rauchen an öffentlichen Plätzen und Werbung oder Sponsoring durch Tabakunternehmen. Äthiopien untersagte den Verkauf von Tabakprodukten an Personen unter 21 Jah­ren und das Rauchen an öffentlichen Plätzen. Als erstes asiatisches Land führte Thailand neutrale Verpackungen ein, die Unternehmen zur einheitlichen Gestaltung der Zigarettenpackungen verpflichten. Brasilien verklagte im Mai ­British American Tobacco, Philip Morris International und deren regionale Tochterfirmen auf Schadenersatzzahlungen für die Behandlung von Krankheiten im Zusammenhang mit dem Konsum von Tabakprodukten.

Viele westliche Staaten haben Werbeverbote und Vorschriften zur einheitlichen Verpackung mit deutlichen Warnhinweisen erlassen. "Die Unternehmen können nicht wie zuvor mit den Konsumenten kommunizieren", sagt MacGuill. Hinzu kommen Tabaksteuern. In 38 Staaten, darunter Ägypten, Thailand, Australien und Neuseeland, Kolumbien und Brasilien, machen Steuern auf Zigaretten laut WHO mindestens 75 Prozent des Verkaufspreises aus. 62 Staaten haben einen Steuersatz zwischen 50 und 75 Prozent. Früher gaben Konzerne die Steuern an Konsumenten weiter und erzielten weiterhin Gewinne. In Ländern wie Irland, wo eine Packung Zigaretten heute rund 15 Euro kostet, sei für sie ­eine Grenze erreicht, so MacGuill. "Sie verlieren die Macht, den Preis ihrer Produkte zu stützen." Maßnahmen, den Tabakkonsum einzudämmen, erreichen laut Weltgesundheitsorganisation heute fünf Milliarden Menschen weltweit.

Ausweichmanöver. In Asien und Afrika gilt Rauchen teilweise als Ausdruck von Wohlstand und Annäherung an westliche Lebensmodelle. "Mehr als 80 Prozent der Tabakkonsumenten leben in Ländern mit geringem oder mittlerem Einkommen", sagt Anti-Tabak-Lobbyist Hurley. Dort ist der Markt weit weniger reguliert. Weil Zigaretten wenig oder gar nicht besteuert werden, können sich die Bürger den Konsum leisten. Gemessen an der Einkommensentwicklung sind ­Zigaretten laut WHO zwischen 2008 und 2018 in 23 Staaten mit mittlerem Ein­kommen günstiger geworden, in 37 blieben sie gleich erschwinglich. Auch in 13 der ärmsten Länder hat sich der Preis nicht verändert.

Daten von Euromonitor zeigen, dass 2019 in Afrika rund 25 Prozent mehr ­Zigaretten verkauft wurden als 2014. Bis 2022 erwarten die Analysten einen Anstieg um weitere vier Prozent. MacGuill hält das jedoch nicht für ein nachhaltiges Geschäftsmodell. "Je stärker die Unternehmen in diese Märkte vordringen, umso mehr Kritik sind sie ausgesetzt, weil sie ihr altes Verhalten in einem ­neuen Markt wiederholen." Sie erwirtschaften Profit in Ländern, in denen kaum ­Monitoring oder Aufklärungs­arbeit stattfindet.

Mit Ausnahme Ägyptens ist Afrika in Sachen Aufklärung über die Folgen des Rauchens ein großer weißer Fleck. Auch Teile Zentral- und Südamerikas, Indien und der Nahe Osten kennen wenige Initiativen, die die Menschen vor Ort vor dem Rauchen und dessen Folgen für die Gesundheit warnen und vor allem Kinder und Jugendliche aufklären.

Auch für ihre Werbemaßnahmen stehen die Unternehmen in der Kritik. Eine Untersuchung, initiiert von der Cam­paign for Tobacco-Free Kids, ergab, dass die Tabakriesen Philip Morris Interna­tional, British American Tobacco, Japan Tobacco und Imperial Brands in 23 ärmeren Staaten Werbung in unmittel­ba­rer Nähe - die Organisation spricht von Entfernungen zwischen 150 und 250 Metern - von Schulen schalten. Eine wei­tere Untersuchung deckte auf, dass die ­Tabakriesen auf dem westlichen Markt Online-Influencer engagierten. Die bewarben in den sozialen Medien Zigaretten oder E-Zigaretten, ohne die Beiträge als Anzeigen kenntlich zu machen.

"Gesunde" Alternative. E-Zigarettenhersteller Juul soll sogar noch weiter ­gegangen sein. Im Juli sagten Schüler bei einer Anhörung vor dem Kongress aus, dass der Hersteller im Rahmen von Drogenpräventionskursen an ihrer Schule seine Produkte als gesundheitlich unbedenklich präsentiert habe. Juul soll 2018 ein Jugend-Präventionsprogramm mit eigenem Lehrplan aufgelegt und Schulen bis zu 10 000 Dollar für dessen Einführung gezahlt haben. Das Unternehmen spricht von Aufklärungsmaßnahmen. Kritiker sehen es als Deckmantel, um das Produkt bei Jugendlichen bekannt zu machen. Die amerikanische Lebensmittel- und Arzneimittelbehörde FDA warf Juul in einem Warnbrief vor, E-Zigaretten illegalerweise als gesündere Alternative zu Zigaretten vermarktet zu haben. Die Behörde droht mit empfindlichen Strafen und einstweiligen Verfügungen.

Juul hat sein Engagement an High Schools beendet, seine amerikanischen Social-Media-Kanäle gelöscht und jegliche Werbung gestoppt. Vom Hype bleibt vorerst nichts als heiße Luft.

Altria


Über ihre Tochter Philip Morris vertreibt Altria die Zigarettenmarke Marlboro und zahlreiche andere Marken. Die Beteiligung am ­E-Zigarettenhersteller Juul macht dem Unternehmen zu schaffen: Nach dem Abgang von Juul-CEO Kevin Burns installierte Altria einen eigenen Manager, um die Krise zu bewältigen. Der Imageschaden für Hersteller und Mutterkonzern wird dennoch nachhaltig sein. Obwohl die Wiedervereinigung mit Philip Morris International vorerst vom Tisch ist, ist dennoch eine enge Zusammenarbeit ge­plant, wenn der Konzern seine Neuentwicklung Iqos in den USA auf den Markt bringt. Iqos erhitzt Tabaksticks, statt sie zu verbrennen oder eine Nikotinflüssigkeit zu verdampfen. Mit der Beteiligung am kanadischen Cannabis-Unternehmen Cronos Group versucht Altria, sich breiter aufzustellen. Auch hier könnten Regulierungen in den USA Schwierigkeiten bereiten.

British American Tobacco


Der multinationale Konzern hat seinen Haupt­sitz in London, ­bedient aber den globalen Markt. Tochterfirmen wie Reynolds American, Imperial Tobacco, Souza Cruz und die Pakistan Tobacco Company vertreiben Marken wie Pall Mall und Lucky Strike. Vom Ausflug in die Versicherungswelt ist heute nur ­eine Minderheitsbeteiligung an der Zurich ­Insurance Group übrig. Die Überlegung der FDA, in den USA auch Menthol-Zigaretten zu verbieten, bringt BAT unter Zugzwang. Denn Menthol-Zigaretten sorgen für mindestens 20 Prozent des Gewinns. Mit dem Verdampfer Vype will sich BAT gegen Marktführer Juul und die Tabakerhitzer Iqos behaupten, die in Europa schon auf dem Markt sind. Über das Tochterunternehmen Reynolds American vertreibt BAT zudem die E-Zigarette Vuse. Um noch profitabel zu bleiben, kündigte BAT Mitte September an, jeden 20. Arbeitsplatz zu streichen. Das ist kein gutes Vorzeichen.

Japan Tobacco


Der internationale Arm von Japan Tobacco (JT) betreibt seine Geschäfte aus der Schweiz. Zu den wichtigsten Marken gehören Camel und Winston. Anders als bei Philip Morris, wo auf lange Sicht das herkömmliche Zigaretten­geschäft durch rauchfreie Alter­nativen ersetzt werden soll, will JT so lange Zigaretten verkaufen, wie der Konsument sie nachfragt. Ein Vorreiter ist der Konzern also nicht. Stattdessen hat er in der Vergangenheit Zigarettenhersteller in Russland und ­Indonesien dazugekauft. Ganz auf neue Produkte verzichtet JT trotzdem nicht. 2010 kaufte der Konzern den amerikanischen ­E-Zigarettenhersteller Logic. Aktiver vermarktet der Konzern seinen Tabakerhitzer Ploom, ­obwohl der von Pannen geplagt ist. Die Markteinführung 2017 wurde wegen Produktionsschwierigkeiten wiederholt verschoben. JT steht momentan noch recht pas­sabel da. Langfristig kann sich das ändern.