Gerade mal 160 Kilometer Luftlinie trennen Taiwan von der Volksrepublik China. Und man ist eng miteinander verbunden - trotz der historisch bedingten politischen Unstimmigkeiten. So arbeiten beispielsweise rund 400 000 Taiwaner in der Volksrepublik. Und umgekehrt reisen Touristen vom Festland gern auf die Insel - Taiwan hatte 2,7 Millionen Besucher aus China allein im vergangenen Jahr. Außerdem lassen Taiwans Unternehmen überwiegend beim großen Nachbarn produzieren.

Die Sorgen waren daher groß, dass sich das Coronavirus ausgehend vom Festland auch schnell auf der Insel ausbreiten würde. Überraschenderweise ist dem aber nicht so. Die Zahl der Infektionen in Taiwan ist mit gerade einmal 45 bestätigten Fällen extrem niedrig.

Vermutlich ist das ein wichtiger Grund, warum sich die Börse in der Hauptstadt Taipeh seit dem Beginn der Korrektur recht gut hält. Vergleichsweise erträgliche 19 Prozent hat der Leitindex Taiex, der mit 921 Aktien nahezu alle an der Börse notierten Werte umfasst, seit Beginn des weltweiten Kursrutschs verloren.

Ganz entziehen kann sich die Börse dem weltweiten Abwärtstrend natürlich nicht, ist man doch genauso in die globalen Produktions- und Handelsströme eingebunden wie alle anderen wichtigen Volkswirtschaften.

Umfangreiche Maßnahmen

Passabel halten sich auch die beiden wichtigsten Unternehmen des Landes: Hon Hai Precision, auch bekannt als Foxconn und Produzent von Apple-Produkten, hat relativ wenig verloren - etwa 19 Prozent ist man vom Allzeithoch entfernt. Ebenso Taiwan Semiconductor (TSMC), der nach Intel und Samsung weltweit drittgrößte Halbleiterhersteller und der weltweit größte unabhängige Auftragsfertiger für Halbleiterprodukte. Hier sind es 18 Prozent minus.

Dennoch kämpfen beide Unternehmen mit Problemen. Bei Foxconn macht man sich Sorgen um die Produktion des iPhone, schließlich musste man diverse Produktionsstätten auf dem Festland schließen. Aktuell soll die Kapazität bei ungefähr der Hälfte der Normalsituation liegen. Erst Ende März sollen die Bänder wieder so laufen wie in dieser Jahreszeit üblich. So der Plan.

Damit das gelingt, haben die Werke Infrarotsensoren zur Temperaturmessung der Mitarbeiter installiert. Außerdem erhalten die Arbeiter von Foxconn selbst gefertigte Masken. Hinzu kommen Quarantänebereiche, kostenlose Shuttlebusse, kostenfreie Versorgung mit Essen und Unterbringung sowie schließlich großzügige Bonuszahlungen. Foxconn steht exemplarisch für das Bemühen der Taiwaner, Herr der Lage zu bleiben.

Ähnliches gilt für die politische Führung, die auf der Insel an allen Fronten kämpft. Dass das bisher so gut klappt, liegt an den bereits im Dezember und im Januar getroffenen, konsequenten Maßnahmen: Die Regierung um die erst vor zwei Monaten mit klarer Mehrheit gewählte Staatspräsidentin Tsai Ing-wen hat ein auf Datenbanken aufgebautes Echtzeitfrühwarnsystem angelegt. Damit werden potenziell Infizierte auf Basis vergangener Reisebewegungen und klinischer Symptome frühzeitig identifiziert. Das Ergebnis sind Risikoklassen: Wer ein hohes Infektionsrisiko aufweist, wird konsequent unter Quarantäne gestellt - und via Trackingsystem sogar überwacht.

Weil es zudem in Taiwan so gut wie keine unkontrollierten Grenzübertritte gibt, lassen sich gezielte Maßnahmen an Flughäfen und Fährverbindungen durchführen. Alles zur rechten Zeit, denn rund um das chinesische Neujahrsfest, das am 25. Januar stattfand, reisten viele Menschen in die Volksrepublik China oder von dorther an, um Verwandte oder Freunde zu besuchen.

Regelmäßige Gesundheitschecks

Die Bevölkerung macht bei all dem klaglos mit - auch weil die Regierung die Betroffenen im Quarantäneschutz mit Lebensmitteln versorgt und für regelmäßige Gesundheitschecks sorgt. In den industriellen Zentren des Landes, den Millionenstädten Taipeh, Taichung, Kaohsiung, Taoyuan und Tainan, laufen die Dinge daher fast wie immer. So gab etwa TSMC Ende Februar die geplante Einstellung von mehr als 4000 neuen Mitarbeitern in diesem Jahr bekannt, trotz Corona-Krise und weltweitem Börsenrutsch: Die globale Stellung in Bereichen wie Optoelektronik und Halbleitern soll ausgebaut werden.

Mit Vorsicht investieren

Beide Unternehmen sind ein Investment wert. Wobei zwei Aspekte zu einer gewissen Vorsicht mahnen. Zum einen sollten Anleger aufgrund der aktuellen international fragilen makrökonomischen Lage keine allzu großen Positionen eingehen - vermutlich wird es im Lauf des Jahres noch bessere Einstiegskurse geben.

Und zum anderen ist es der Faktor Politik. Präsidentin Tsai verdankt ihre wiedererlangte Popularität vor allem ihrer stramm chinakritischen und proamerikanischen Haltung. Damit weichen sie und ihre Demokratisch-Progressive Partei (DPP) deutlich von der Position ihres Vorgängers Ma Ying-jeou und der Kuomintang-Partei ab. Und das könnte Stoff für künftige Reibereien mit China abgeben. Tsai lehnt den sogenannten Konsensus von 1992 ab, worin sich die Kuomintang und die Regierung in Peking geeinigt haben, dass es nur ein China gibt. Einfach gesagt: Die Volksrepu- blik verweigert Taiwan die völkerrechtliche Anerkennung. martin blümel