Theo Siegert ist das, was man "altes Geld" nennt: Der 74-jährige Investor stammt aus der Düsseldorfer Handelsdynastie de Haen-Carstanjen & Söhne, einem Traditionsunternehmen, dessen Anfänge ins 18. Jahrhundert zurückreichen und das früher Waren für Apotheken, die chemische Industrie und die Lebensmittelindustrie produzierte. Zu Siegerts Vorfahren gehört der Maler August Friedrich Siegert, der sich im 19. Jahrhundert einen internationalen Ruf als Historienmaler erwarb und den die Stadt Düsseldorf im Jahr 2020 mit einer großen Ausstellung ehrte.

Aber wie kommt es, dass ausgerechnet ein Deutscher bei der Schweizerischen Nationalbank (SNB) zum größten privaten Einzelaktionär werden kann? Ganz einfach: Weil er nichts zu sagen hat. Das Stimmrecht ist im Gegensatz zu anderen Aktiengesellschaften auf höchstens 100 Aktien beschränkt. Auf die Geldpolitik der Notenbank hat Siegert keinen Einfluss. Und an die Devisenschätze der SNB kommen Aktionäre nicht ran, das verhindert das Schweizer Notenbankgesetz.

Theo Siegert, 1947 in Düsseldorf geboren, machte nach dem Abitur eine Banklehre und studierte anschließend in Münster, Freiburg und München BWL. 1974 promovierte er und lehrte danach als Honorarprofessor an der LudwigMaximilians-Universität in München. Sein Spezialgebiet: Finanzanalyse und Unternehmensführung. Er war lange bei dem Mischkonzern Haniel tätig, wo er schnell aufstieg und ab 2005 als Vorstandsvorsitzender das Unternehmen leitete. Bereits nach acht Monaten musste er aber den Chefposten wieder räumen, nachdem sich der Konzern für Eckhard Cordes, den ehemaligen Vorsitzenden von Daimler Chrysler, als neuen Vorstandsvorsitzenden entschieden hatte.

Siegert übernahm nach seinem Abgang bei Haniel die Chefposition bei der familieneigenen Firma de Haen-Carstanjen & Söhne in Düsseldorf. 50 Jahre lang hatte die Firma zum Henkel-Konzern gehört. Doch die Familie kaufte den Firmenmantel zurück, und heute verbirgt sich hinter dem Namen die familieneigene Vermögensverwaltung. Der Investor gehört zudem zu den Topverdienern unter den deutschen Aufsichtsräten. Er sitzt in zahlreichen Kontrollgremien, etwa bei den DAX-Konzernen Eon, Henkel und Merck.

Bekannt wurde Siegerts SNB-Investition im Jahr 2008. Über seine Interessen wurde immer wieder spekuliert. Jedoch über seine Beteiligungen redet der öffentlichkeitsscheue Großinvestor grundsätzlich nicht, er steht für Interviews nicht zur Verfügung. Immerhin begründete er damals sein Engagement mit der "Bonität und Professionalität" der SNB und betonte die Langfristigkeit seiner Investition. Heute gehören ihm 5,24 Prozent der Bank oder 5240 Aktien. Ursprünglich hatte er 6,72 Prozent gehalten - er machte allerdings später Kasse und verkaufte einen kleinen Teil seiner Aktien. Zu den anderen Großinvestoren der SNB gehören die Kantone Bern mit 6,6 Prozent und Zürich mit 5,2 Prozent.

Das Ergebnis der Schweizer Nationalbank hängt davon ab, wie sich ihre Hunderte Milliarden schweren Portfolios entwickeln. Dazu zählen Aktien und Anleihen aus dem Ausland sowie Goldreserven. Die Notenbank hat in den vergangenen Jahren immer wieder Schweizer Franken auf den Markt geworfen, um zu verhindern, dass die äußerst begehrte Währung immer weiter an Wert gewinnt. Denn ein zu starker Franken macht die Exporte teurer und schadet so der Wirtschaft. Die Notenbank kaufte deshalb ausländische Aktien und Anleihen und bezahlte sie mit frisch gedruckten Franken.

Die SNB-Aktie ist zwar grundsolide. Eine Investition in das Papier ist allerdings problematisch, weil eine Notenbank mit ihrer Geldpolitik eine öffentliche Aufgabe ausübt und ihre Gewinne dem Staat abliefern muss. Die Aktionäre profitieren also kaum von den Gewinnen, sie erhalten lediglich eine jährliche Dividende von 15 Franken pro Anteilschein. Für Großanleger kommt damit eine Investition in die SNB wegen der geringen Liquidität nicht infrage. Der Freefloat, die Zahl der frei handelbaren Aktien, ist gering.

Spekulationsobjekt SNB


Ab und zu kommt es allerdings zu Spekulationswellen. 2020 beispielsweise erzielte die Nationalbank einen Gewinn von 21 Milliarden Franken. Der Gewinn auf den Fremdwährungspositionen belief sich auf 13 Milliarden Franken. Zudem profitierte die SNB auf ihrem Goldbestand von einem Bewertungsgewinn von rund sieben Milliarden Franken.

Im Jahr zuvor betrug der Gewinn noch gigantische 49 Milliarden Franken. Treiber waren die ausländischen Papiere und die Goldbestände, die kräftig an Wert gewonnen hatten. Die "Wirtschaftswoche" rechnete damals vor, dass die Schweizer Notenbank damit profitabler gewesen sei als der iPhone-Gigant Apple, dies bei einem Börsenwert von 0,5 Promille des Apple-Werts.

Wer die SNB-Aktie kauft, spekuliere vor allem auf ein Abfindungsangebot, vermutet die "Wirtschaftswoche". Ein solches hatte es schon mal gegeben, nämlich um die Jahrtausendwende, als sich die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel, eine Art Notenbank der Notenbanken, vom Börsenparkett verabschiedete. Die verbliebenen Privataktionäre - darunter Theo Siegert - wurden mit einem Aufschlag von 95 Prozent abgefunden. Notenbanken an der Börse sind eigentlich ein Anachronismus, gerade in Zeiten, in denen die Währungshüter immer aktiver in die Finanzmärkte eingreifen müssen. Neben der SNB sind auch die Zentralbanken von Belgien, Griechenland, Japan und Südafrika an ihren nationalen Börsen notiert. Mehrheitseigner ist auch in diesen Ländern immer der Staat.

1897 war der Versuch gescheitert, eine reine Staatsbank zur Herausgeberin der einzig legalen Währung der Schweiz zu machen. Es folgte ein zehnjähriges Ringen um die Art der Beteiligung des Volkes, das mit einem typisch eidgenössischen Kompromiss endete: eine Mischbank, die gleichzeitig Staatsbank und Privatbank war und immer noch ist. Es wurden 100 000 Aktien zu 250 Franken ausgegeben. "Der Gründungsgesetzgeber wollte ausdrücklich eine Volksbeteiligung, was auch den direktdemokratischen Strukturen der Schweiz entspricht. Die wenigen Aktien reichen natürlich nicht, um aktuell rund acht Millionen Schweizer an der SNB zu beteiligen", schreibt Roland Tichy in seinem Monatsblatt "Tichys Einblick". "Das war auch solange kein Thema, als die SNB die Notenbank eines armen, aber gesunden Völkchens von Hirten und Sennen war. Da gehörte es zum guten Ton einer ‚privilegierten Minderheit‘, mindestens eine SNB-Aktie zu halten. Und das Volk hatte ganz andere Probleme." Das änderte sich aber, als nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Zusammenbruch des Ostblocks, nach der Finanz- und Eurokrise die SNB die Notenbank mit einer der stabilsten Währungen der Welt wurde.