Heute lädt ThyssenKrupp als erster Dax-Konzern im laufenden Jahr seine Aktionäre zur Hauptversammlung. Die Anteilseigner erhalten eine Dividende von 0,15 Euro pro Aktie - genauso viel wie im vergangenen Jahr. Auf der HV in der RuhrCongress-Halle in Bochum berichtet Chef Heinrich Hiesinger von den vielen Problemen des Konzerns.

Fragezeichen hinter der Fusion mit Tata Steel



Ob die Fusion der Stahlsparten von Thyssenkrupp und dem britisch-indischen Konzern Tata Steel nach monatelangen Gesprächen zustande kommt, ist weiter unklar. "Auch wir wünschen uns eine zügige Lösung, aber es muss eine gute Lösung sein," hieß es in Hiesingers Redetext für die HV. "Schließlich geht es bei der Stahlsparte um nichts Geringeres als die Keimzelle unseres Konzerns."

Zusammen wären die beiden Unternehmen - ThyssenKrupp mit einem Stahlumsatz von 19,5 Milliarden Euro im Jahr 2015 und Tata Steel mit 15,6 Milliarden Euro - der zweitgrößte Stahlkocher Europas hinter ArcelorMittal (71,4 Milliarden Euro).

Ein großes Hindernis für die Fusion sind die rund 17,5 Milliarden Euro hohen Pensionszusagen für die Beschäftigten von Tata Steel in Großbritannien. Auch die strukturellen Probleme der britischen Werke stellen die Zusammenlegung der beiden Stahlsparten in Frage. Vor allem das Werk in Port Talbot in Wales schreibt seit Jahren Verluste. Thyssenkrupp drängt darauf, den Pensionsfonds zu schließen, im gegenzug aber den Standort für mindestens fünf Jahre zu sichern. Gegen die Bestandsgarantie stellen sich die Mitarbeiter in Deutschland zur Wehr: "Wenn die fünf Jahre bekommen, wollen wir mindestens zehn Jahre", forderte Thyssenkrupp-Betriebsrat Wilhelm Segerath.

Auf Seite 2: Harte Tarif-Runde





Harte Tarif-Runde



Der Betriebsrat von Thyssenkrupp befürchtet, dass die Konzernspitze nach der Fusion Werke in Deutschland schließt und Arbeitsplätze abbaut. "Allein der Versuch würde unsere massive Gegenwehr auslösen," kündigte Segerath an. Auch die IG Metall ist dagegen: "Das darf nicht zu Lasten der deutschen Standorte gehen", warnte der nordrhein-westfälische IG-Metall-Chef Knut Giesler am Montagabend in Düsseldorf.

Auch von Seiten der IG Metall werden weitere Probleme auf Thyssenkrupp zukommen. Ende Februar laufen die Tarifverträge aus und die Verhandlungen beginnen. Von da an endet auch die Friedenspflicht: Die betroffenen Stahlarbeiter könnten streiken. Die Gewerkschaft fordert 4,5 Prozent mehr Lohn für zwölf Monate. "Die wirtschaftliche Situation in der Stahlindustrie ist stabil," begründete IG-Verhandlungsführer Giesler die Forderungen - Auftragseingänge und Stahlpreise würden steigen.

Auf Seite 3: Sorgenkind Stahlgeschäft





Sorgenkind Stahlgeschäft



Die Tarifstreitigkeiten werden überschattet von dem schwierigen Branchenumfeld. Große Sorgen bereitet Thyssenkrupp das Stahlgeschäft im Allgemeinen. "Globale Überkapazitäten, Dumpingstahl aus China und anderen Ländern und die industriefeindliche Politik beim europäischen Emissionsrechtehandel bedrohen weiterhin die Substanz unserer Stahlindustrie," fasst Hans Jürgen Kerkhoff, der Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl (WV Stahl) die Situation zusammen.

Vor allem die niedrigen Stahlpreise setzen der Branche zu. Im Dezember 2015 lagen die Preise für gewalzten Stahl der Sorte Midwest Domestic bei historisch niedrigen Tiefstständen: 20 Tonnen davon hatten gerade einmal 364 US-Dollar gekostet. Bis Ende Juni des vergangenen Jahres stieg der Preis auf 629 US-Dollar, sank aber bis Mitte Oktober wieder auf 487 US-Dollar. Aktuell kostet diese Sorte 630 US-Dollar. Der Analyst Jason Fairclough von der US-Investmentbank Merrill Lynch geht in einer Branchenstudie vom Dienstag davon aus, dass die Stahlpreise in den ersten Monaten diesen Jahres auf einen Höchststand steigten und dann wieder abfallen werden.



Die Stahlbranche hat seit Jahren mit einer Strukturkrise zu kämpfen. Billigimporte aus China und Überkapazitäten drücken die Preise. Chinesische Firmen hätten im vergangenen Jahr 364 Millionen Tonnen Stahl mehr produziert als nachgefragt, schreibt der Branchenverband auf seiner Homepage. Schnelle Besserung ist nicht in Sicht - im Gegenteil: Der Verband geht davon aus, dass diese Überkapazitäten noch bis 2020 anhalten und über der Marke von 300 Millionen Tonnen liegen werden. "Das G20-Forum zu Stahlüberkapazitäten muss konkrete Schritte vereinbaren, die zu einer größeren Fairness im internationalen Wettbewerb beitragen," forderte Kerkhoff. Im vergangenen Jahr sei mit 109 Millionen Tonnen fast ein Drittel des gesamten globalen Stahlexports aus China gekommen. Die Stahlwerke weltweit seien in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres nur zu 71 Prozent ausgelastet gewesen Auch für das laufende Jahr sei keine Besserung zu erwarten: Die globale Stahlnachfrage lege nur schwach zu, die Produktion werde nicht abnehmen. Von der europäischen Union forderte er, den Handel effektiver zu schützen und so den Wettbewerb fairer zu machen.

Durch die strengen Umweltauflagen der EU habe Thyssenkrupp Nachteile gegenüber außereuropäischen Wettbewerbern, klagt die WV Stahl. Europäische energieintensive Konzerne müssen im sogenannten Emissionsrechtehandel Umweltzertifikate kaufen. Diese erlauben dem Unternehmen, Schadstoffe auszustoßen. Wenn die Obergrenze überschritten wird, muss es weitere Zertifikate kaufen oder gar eine Strafe zahlen. Der Verbandspräsident forderte, diese Regeln zu überarbeiten - die Vorgaben seien für die deutsche Stahlindustrie unerreichbar. Nur dann könnten Unternehmen wie Thyssenkrupp gegenüber internationalen Wettbewerbern weiter bestehen.

Auf Seite 4: Trump und Brexit belasten





Trump und Brexit belasten



Auch die politische Entwicklung in den USA belaste Thyssenkrupp. "Die jetzige Tonalität sorgt für Unsicherheit," sagte Hiesinger am Freitag. Wie stark Thyssenkrupp von geplanten Einfuhrzöllen für Waren aus Mexiko in die USA betroffen sein könnte, sei derzeit noch nicht absehbar. "Ein zentrales Risiko sehen wir darin, dass sich protektionistische Tendenzen auf den globalen Stahlmärkten noch weiter ausbreiten," erklärte auch Kerkhoff mit Blick auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump. Dessen protektionistische Handelspolitik bringe eine wachsende Unsicherheit, denn der deutsche Export ist mit den USA stark verflochten. Thyssenkrupp, Salzgitter und Co. exportieren im vergangenen Jahr mehr als ein Viertel in die USA. Die Essener setzten dort, in ihrem größten Auslandsmarkt, nach eigenen Angaben rund acht Milliarden Euro um. Thyssenkrupp beschäftige in den USA knapp 15450 Mitarbeiter in 25 Standorten und sei einer damit der größten US-amerikanischen Arbeitgeber. In den Vereinigten Staaten ist ThyssenKrupp hauptsächlich mit der Aufzugsparte vertreten.

In Mexiko bauen die Essener derzeit drei neue Werke für Autokomponenten, fünf sind bereits in Betrieb. Das Nafta-Freihandelsabkommens - das Trump für schädlich hält und das er nachverhandeln will - sei für den Konzern von hoher Bedeutung, sagte Hiesinger. Von dem Stahlwerk in Brasilien aus wird der US-Markt beliefert. Auch diese Lieferkette wäre von einer protektionistischen Handelspolitik betroffen. Im abgelaufenen Geschäftsjahr machte ThyssenKrupp in der Sparte Steel Americas 1 489 Milliarden Euro Umsatz.

Der Brexit wird ThyssenKrupp ebenfalls betreffen: Im Ringen um die Fusion mit Tata Steel werden die bisherigen Zusagen der britischen Regierung zu Werkschließungen bei neu verhandelt müssen. Das verzögert die Zusammenlegung - wenn sie denn überhaupt zustande kommt.

Auf Seite 5: Durchwachsenes Geschäftsjahr





Durchwachsenes Geschäftsjahr



Auch finanziell hat der Stahlkonzern einige Probleme. Der Umsatz sank im abgelaufenen Geschäftsjahr 2015/2016 (30. September) im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent auf 39,3 Millionen Euro. Das operative Ergebnis (Ebit) verschlechterte sich um zwölf Prozent auf 1,47 Milliarden Euro. Netto erreichte ThyssenKrupp einen Jahresüberschuss in Höhe von 262 Millionen Euro. Zum Jahresabschluss stiegen die Schulden des Unternehmens um drei Prozent auf 3,5 Milliarden Euro. Eine Kapitalerhöhung sei aber nicht nötig, sagte Hiesinger.

Die Prognose für das laufende Geschäftsjahr enttäuschte kürzlich die Marktbeobachter. Das bereinigte Ebit soll zum 30. September 2017 auf rund 1,7 Milliarden Euro steigen. Am 9. Februar legt ThyssenKrupp die Zahlen für das erste Geschäftsquartal vor. Citigroup-Analyst Ephrem Ravin geht in einer Studie davon aus, dass der Konzern in den kommenden Monaten die Talsohle erreichen werde - danach werde es wieder bergauf gehen.

Mit dem Programm "Impact" will ThyssenKrupp dagegensteuern: Der Stahlkonzern will die Kosten senken und das Unternehmen umstrukturieren, um effektiver zu arbeiten. Damit strebt das Unternehmen Ebit-Effekte in Höhe von 850 Millionen Euro an. Im abgelaufenen Geschäftsjahr waren die Essener damit bereits erfolgreich: Sie sparten eine Milliarde Euro ein. Im Frühling wird Stahlchef Andreas Goss konkrete Eckpunkte zum Sparplan vorlegen: Er soll 200 Millionen Euro einsparen. Hiesinger bekräftigte, auch ohne die Fusion mit Tata Steel die Stahlsparte neu aufzustellen. "Sparprogramme verschaffen uns nur kurzfristig eine Atempause." ThyssenKrupp beschäftigt im europäischen Stahlgeschäft 27.000 Mitarbeiter.

Auf Seite 6: Einschätzung der Redaktion





Einschätzung der Redaktion



Die ThyssenKrupp-Aktie hat 2016 um 23 Prozent zugelegt und war damit der Dax-Wert mit der viertbesten Performance.

Das weitere Kurspotenzial ist durch den Höhenflug begrenzt. Merrill Lynch-Analyst Fairclough erwartet keine großen Kursgewinne: Die Bewertung erscheine ausgereizt. Er geht davon aus, dass die Aktie in den kommenden zwölf Monaten lediglich eine leicht positive Gesamtrendite abwerfe. Zudem erwartet er 2017 wieder härtere Zeiten für den Stahlsektor.

Mit einem KGV von 16,79 ist die Aktie relativ teuer. Bei ThyssenKrupp’s Wettbewerbern liegt dieser Kennwert bei 13,99 (voestalpine), 14,96 (ArcelorMittal) und 42.72 (Salzgitter).

Experten schätzen, dass der Gewinn der Essener im laufenden Geschäftsjahr um 160 Prozent wachse. Insgesamt bewerten 13 von Bloomberg befragte Analysten die Aktie mit "buy", elf mit "hold" und vier mit "sell".



Charttechnisch ist die ThyssenKrupp-Aktie ein starker Aufsteiger. Der Kurs zeigt bislang keine Überhitzungstendenzen, weshalb die Gefahr einer Korrektur überschaubar bleibt.

Aufgrund der vielen Probleme des Unternehmens belassen wir die Aktie auf "Halten".

Ziel: 26,00 Euro
Stopp: 21,00 Euro