Auf der animierten Karte, die ein zwei Meter breiter Bildschirm in der Haupthalle des Technoparks anzeigt, gleicht Skolkovo mehr einer Oase als einem ­Industriepark: Das vier Quadratmeter große Areal leuchtet so grün wie sein Logo, zwischen Bäume und Seen fügen sich futuristische Gebäude, über die immer wieder der Schatten eines Hubschraubers hinweghuscht. In der analogen Welt hat der russische Winter der Begrünung längst den Garaus gemacht, ein Großteil der Gebäude steht noch nicht - und mit dem Hubschrauber landet nur Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew, wie sich jüngst die Besucher der Digitalmesse "Open Innovations" zuraunten, auf der er die Eröffnungsrede hielt und die hier stattfand.

Das 2010 per Gesetz geplante digitale Innovationszentrum Skolkovo war Medwedews Lieblingsprojekt und hätte ganz groß werden sollen: Eine Freistatt russischer Top-Wissenschaftler mit direktem Anschluss an Investoren und Produktionsfirmen, die junge Talente im Land hält und eines Tages die wirtschaftliche Abhängigkeit von Öl und Gas reduziert. Insgesamt 1,8 Milliarden Euro hatte der russische Staat bis 2020 dafür bereitgestellt. Doch dann kamen erst Staatsanwaltschaft und Rechnungskammer, weil beim Bau Gelder versickert waren, und später die Sanktionen, die EU und Nordamerika nach der Annexion der Krim gegen Russlands Geld- und Machtelite verhängt hatten.

Eldorado für Gründer


Seitdem kommt der Ausbau von Skolkovo nur stockend voran. Über russische Hacker spricht die ganze Welt, aus der Start-up-Traumfabrik am Moskauer Autobahnring MKAD aber ist noch kein weltbekanntes Unicorn hervorgegangen, obwohl sie für Russland fast utopisch gute Bedingungen bietet.

"Hier gelten besondere Steuergesetze: keine Gewinn- und Mehrwertsteuer, reduzierte Lohnnebenkosten. Deshalb können die Firmen enorm sparen", schwärmt Denis Medwedew, der zum Gründertrio von Samocat Sharing gehört und mit dem Ex-Präsidenten nur den Nachnamen gemein hat. Es sei eine Art Oase im Zen­trum des Landes unweit der Hauptstadt, "in der Technikfirmen alles bekommen, um sich in Ruhe zu entwickeln".

Seine Firma möchte ein Franchise- System von fixen E-Roller-Stationen aufbauen, die mit Solarenergie betrieben werden. Städte sollen dadurch verhindern können, dass die Miet-Scooter überall herumstehen. Das Industriedesign der Rollerstationen hat Russlands namhafteste Agentur Art Lebedev geliefert, wie Medwedew stolz betont - bezahlt aus einem der "Grant" genannten finanziellen Förderprogramme, die Start-ups beim Skolkovo-Fonds einwerben können. Während das Interesse potenzieller Bewerber an der staatlichen Starthilfe ungebrochen ist, hat die Gesamtsumme der bewilligten "Grants" aber seit 2010 jedes Jahr abgenommen.

Hohe Nachfrage nach Förderung


"In der Tat wächst die Zahl der Start-ups, die wir fördern, immer weiter", sagt Benjamin Wilkening. Was wie eine Erfolgsgeschichte klingt, stimmt ihn traurig. "Denn eigentlich sollte Skolkovo nur den Anfangsschub geben und dann ein anderer Investor kommen und die weitere Förderung übernehmen." Der Deutsche ist bei Skolkovo angestellt, um den Gründern beim Markteinstieg zu helfen und Kontakte zu ausländischen Geldgebern zu vermitteln. Er meint: Von den 2000 Start-ups, die hier derzeit mithilfe des russischen Staats entwickelt werden, seien gerade 20 bis 50 in der Lage zu skalieren: "Das ist frustrierend", findet Wilkening.

Alle Probleme, mit denen Unternehmer in Russland ohnehin zu kämpfen haben, treffen die Gründer besonders hart: Eigenkapital ist nach Jahrzehnten wechselhafter Geschichte bei den wenigsten Russen vorhanden. Hinzu kommt die fehlende Rechtssicherheit im Land. Sogenannte Business Angels, also private Investoren, fürchten angesichts wirtschaftlicher Stagnation und sinkender Reallöhne, dass die neuen Produkte niemand kaufen wird.

Der größte Investor in Start-ups ist deshalb der Staat. Er fördert in Skolkovo gezielt Gründer aus den Sektoren Energie, IT, Biomedizin, Raumfahrt und Nukleartechnologie - Wissenschaftsbereiche, in denen Russland international mithalten kann. Doch die Unterstützung von Vater Staat gibt es nicht ohne Bürokratie: Jedes Förder­programm erlegt den Start-ups umfangreiche Rechenschaftspflichten auf, die Kräfte von der Arbeit am eigentlichen Geschäft abziehen. Zugleich ist ihr Gestaltungsspielraum gering: Was sie wann mit dem Geld anstellen, müssen Gründer schon beim Einwerben fest­legen - auch wenn Änderungen im ­Geschäftsmodell sich später als zweckmäßiger erweisen.

Schnell ins Ausland


Wer kann, gründet deshalb im Ausland oder expandiert so schnell wie möglich dorthin, nachdem er Skolkovo als Sprungbrett genutzt hat. Fjodor Antonow mit seiner Firma Anisoprint, die 3-D-Drucker für Endlos- und Carbon­fasern entwickelt, hat das geschafft. Die Geräte werden mittlerweile als "Made in Germany" von einer Firma in Süddeutschland produziert. Anisoprint selbst ist in Luxemburg registriert - dort fallen wenig Steuern an und die Wege zu Kunden in Europa sind kürzer. "In Skolkovo findet bei uns die gesamte Entwicklung statt - und das bleibt so, hoffe ich. In Europa bauen wir unser Front End auf: Verkauf, Marketing, Service", sagt Antonow.

Nicht immer finden sich die russischen Start-up-Gründer auf internationalen Märkten so gut zurecht. Vom großen Erfolg träumten alle, meint Benjamin Wilkening, der auch Antonow auf einer Verkaufstour durch Deutschland geholfen hat. Doch den Mehrwert eines Produkts mache oft nicht die Technologie, sondern deren Nutzerfreundlichkeit aus. "Und das begreifen viele russische Start-ups immer noch nicht. Sie sind nicht kundenorientiert."

Auch die Kommunikation nach westlichen Konventionen sei für viele Russen ungewohnt: Wie entscheidend es ist, sich vor Investoren gekonnt selbst anzupreisen. Oder dass eine E-Mail am Tag nach dem Kennenlernen wichtig ist, um Interessenten zu binden.

So kommt auch den Gründern von Samocat Sharing nicht in den Sinn, dass ihr Büro in dem riesigen Techpark für interessierte Besucher nicht leicht zu finden ist. Aus einer Roller-Probefahrt entlang der Hunderte Meter langen Flure, die Denis Medwedew ankündigt, wird ebenfalls nichts: Er hat im entscheidenden Moment kein App-Guthaben parat, um die Demo-Rollerstation in der Haupthalle zu öffnen.

Weiter Weg


Dennoch hat Samocat Sharing schon einen Auftrag aus dem Ausland: Die Rollerstationen sollen den Stadtrand von Helsinki besser ans Zentrum anbinden. Er selbst fahre auch mit dem E-Roller nach Hause, sagt Medwedew - in die Plattenbau-Kleinstadt Odinzowo, die das Skolkovo-Terrain umgibt. Denn in den modernen Neubauten, die in unmittelbarer Nähe des Start-up-Parks entstanden sind, liegt die Monatsmiete bei 1.000 Euro. So viel verdienen nicht einmal zehn Prozent der Russen im Monat. In die Tech-Oase Skolkovo, die Russlands wirtschaftliche Zukunft werden soll, kommt selbst die Tech-Elite des Landes nur zum Arbeiten.

Investor-Info

Russischer Aktienmarkt
Rekordjahr 2019


Der russische Leitindex RTS legte 2019 um fast 43 Prozent zu, so stark wie kaum ein anderer Markt. Das ist umso erstaunlicher, als sich das Wirtschaftswachstum 2019 im Vergleich zum Vorjahr auf 1,3 Prozent halbiert hat. Die Nachfrage nach russischen Aktien hat Experten zufolge mit der größeren Risikoneigung der Investoren auf der Suche nach Rendite zu tun - und mit höheren Dividendenversprechen russischer Aktiengesellschaften.

Wertvollste Firmen
Energie für Aktien


Russlands Rohstoffreichtum spiegelt sich auch in der Rangliste der Unternehmen mit dem höchsten Börsenwert wieder. Einzige Ausnahme ist die halbstaatliche Finanzgruppe Sberbank. Größtes Tech-Unternehmen ist die russische Suchmaschine Yandex, die umgerechnet 12,6 Milliarden Euro bringt und damit auf Rang 11 landet.

Name Branche Marktkap. in Mrd. €
Gazprom Gas 80,5
Sberbank Finanzen 78,9
Rosneft Öl 71,6
Lukoil Öl 65,1
Nornickel Nickel, Palladium 50,2

Stand: 18.02.2020, BO Data

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