Hochspannung in Wolfsburg: Für Volkswagen - nicht nur das Aushängeschild der Stadt, sondern auch mit Abstand größter Arbeitgeber - sind entscheidende Tage angebrochen, die den vom Abgasskandal geschüttelten Autokonzern verändern werden.

Nach dem Ultimatum eines Bezirksrichters muss VW bis Donnerstag eine Einigung mit der US-Umweltbehörde EPA über die Reparatur oder den Rückkauf der manipulierten Autos präsentieren, sonst droht im Sommer ein Prozess. Bei einer Annäherung wären die finanziellen Folgen des vor sieben Monaten aufgeflogenen Dieselskandals endlich absehbar und VW könnte die außergerichtliche Entschädigung der Autobesitzer und Anleger einleiten. Am Freitag berät der Aufsichtsrat dann über die Bilanz 2015. Die US-Kanzlei Jones Day soll zudem einen Bericht über die Hintergründe und Verantwortlichen für "Dieselgate" präsentieren. Helmut Becker vom Institut für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation überzeugt: "Diese Tage entscheiden über die Zukunft von Volkswagen."

Becker geht davon aus, dass eine Entscheidung des Bezirksgerichts in San Francisco in jedem Fall Einfluss auf den erwarteten Umbau von Volkswagen haben wird. "Wenn VW vom Gericht richtig eins auf den Deckel bekommt, erhöht sich der Druck, um die verkrusteten Strukturen aufzubrechen", sagt Becker, der in früheren Jahren Chefvolkswirt von BMW war. "Wenn VW dagegen mit einem blauen Auge davonkommt, ändert sich in Wolfsburg nichts und der Filz geht weiter." Becker kritisiert die starke Stellung des Betriebsrats bei Volkswagen, der zusammen mit Großaktionär Niedersachsen Kostensenkungen und Personalabbau verhindere.

Mit einer Einigung vor Gericht sollte auch klar werden, wieviel Geld VW für "Dieselgate" insgesamt zur Seite legen muss und ob der Konzern im vergangenen Jahr rote Zahlen geschrieben hat. VW hatte im dritten Quartal 6,7 Milliarden Euro für die Reparatur der weltweit rund elf Millionen manipulierten Dieselautos zurückgestellt. Marc-Rene Tonn von M.M. Warburg geht davon aus, dass im Schlussquartal 3,9 Milliarden hinzukamen. Einschließlich der von Manipulation ebenfalls betroffenen Töchter Audi und Porsche, Restrukturierungen bei der Lkw-Tochter MAN und Kosten für den Rückruf defekter Airbags schätzt Tonn die Belastungen auf 11,8 Milliarden Euro. Trotzdem habe Volkswagen vermutlich einen Betriebsgewinn von fast 950 Millionen Euro eingefahren. Ohne Sondereffekte läge er wohl mit 12,7 Milliarden Euro auf dem Niveau des Vorjahres.

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DIE EIGENTLICHEN LASTEN STEHEN ERST BEVOR



"Volkswagen bleibt auf Basis unserer Schätzungen 2015 nur deswegen in den schwarzen Zahlen, weil derzeit noch nicht absehbar ist, welche Strafen und Kompensationen gezahlt werden müssen", sagt Tonn. Denn die erwartete Einigung mit der EPA betrifft nur die technische Seite der Dieselmanipulation. Die durch eine Klage des US-Justizministeriums wegen Umweltvergehen drohenden Strafen kommen obendrauf. Noch ist unklar, um welche Beträge es dabei geht. Eine Summe von bis zu 46 Milliarden Dollar steht im Raum. Juristen schätzen, dass es weniger wird.

Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler rechnet vor, dass sich Strafen und Schadensersatz für Dieselbesitzer, Autohändler und Investoren zusammen auf 30 bis 40 Milliarden Euro belaufen könnten. "Was das Ganze etwas entspannt, ist, dass sich das über mehrere Jahre hinzuzieht." So könne VW jedes Jahr einen Betrag X zurücklegen und den Skandal finanziell somit abfedern. Das gilt unter zwei Voraussetzungen: die Krise zieht sich nicht ewig hin und VW verliert nicht das Vertrauen der Kundschaft. Derzeit sieht es danach nicht aus.

Am Freitag soll der Aufsichtsrat auch eine Kürzung der Boni für das Top-Management beschließen, die am 28. April in der Bilanz zu sehen sein werden. Reuters hatte vergangene Woche von einem Insider erfahren, dass der Vorstand trotz Forderungen aus dem Aufsichtsrat nicht komplett auf seine erfolgsabhängigen millionenschweren Zahlungen verzichten will. Im Gespräch ist ein Minus um mehr als 30 Prozent. Das Ergebnis dürfte wegweisend für die Verhandlungen mit den Arbeitnehmern sein. "VW kann von den Mitarbeitern stärkere Einschnitte fordern, wenn man selbst zu größeren Kürzungen bereit war", sagt Analyst Tonn.

Auch die Aktionäre, darunter die Familien Porsche und Piech, werden mit Sicherheit zur Kasse gebeten. Sie müssen mit einer deutlich niedrigeren Ausschüttung rechnen. Tonn rechnet mit einer "symbolischen Dividende" von 56 Cent je Vorzugs- und 50 Cent je Stammaktie. Im Vorjahr waren 4,86 Euro beziehungsweise 4,80 Euro je Anteilschein gezahlt worden. Ganz ausfallen lassen wird VW die Dividende seiner Ansicht nach nicht. Schließlich werden die eigentlichen Lasten des Skandals erst 2016 erwartet. Ob dann Geld für die Aktionäre übrig bleibt, ist zweifelhaft. Zahlt ein Unternehmen aber zwei Jahre in Folge keine Dividende an die Vorzugsaktionäre, erhalten diese ein Stimmrecht. Und das dürfte die Familienholding Porsche SE, mit knapp 51 Prozent größter VW-Eigner, unbedingt verhindern wollen.

Reuters