Angesichts von gedrückten Anleiherenditen und einem unter Druck geratenen Ölpreis haben sich Aktien mit einem niedrigen Beta zuletzt zweifellos als Gewinner-Titel entpuppt. Das heißt, das Rennen haben jene Titel gemacht, die verglichen mit dem Gesamtmarkt relativ wenig schwanken.

Konkret ist es laut den Analysten bei der US-Investmentbank J.P.Morgan so, dass defensive Branchen wie Pharma, Grundnahrungsmittel, Versorger und Technologie die zyklischen Sektoren sowie die Value-Titel in diesem Jahr klar abgehängt haben. Nicht selten gehe es dabei um Differenzen in einer großen Spanne von 2.000-3.000 Basispunkten.

Die defensiven und Titel sowie die Wachstumswerte seien vor dem Markteinbruch, während dem Crash und sogar im Zuge der Erholungsrallye besser gelaufen. Und der Rat von J.P.Morgan an die Anleger lautet, diesen Aktien trotz dieser dramatischen Outperformance bis auf weiteres auch weiterhin die Treue zu halten.

Zur Begründung für diese Empfehlung führend die Analysten drei Argumente an. Demnach sind die Aktien mit einem hohen Beta trotz ihrer unterdurchschnittlichen Wertentwicklung noch nicht überverkauft. Die Kurse der Zykliker haben ihre relativen Tiefststände der Jahre 2002, 2008 und 2015 noch nicht unterschritten, während die Einkaufsmanagerindizes dieses Mal deutlich schwächer notieren. Dies sei aber eine schlechte Kombination.

Außerdem würden die Gewinnschätzungen für die Zykliker derzeit aggressiv herabgestuft und sie dürften bis zur Vorlage der Ergebnisse zum zweiten Quartal im Sommer unter Druck bleiben, möglicherweise sogar noch länger. Hausintern würden die Ökonomen jedenfalls eine weitere Verlangsamung der wirtschaftlichen Aktivitäten im zweiten Quartal erwarten, was wiederum wahrscheinlich zu einer weiteren Herabstufung der Gewinne in den zyklischen Sektoren führen werde.

Was die KGV-Metrik betreffe, seien zweitens mit Blick auf die zyklischen Werte noch keine Extremwerte verglichen mit den defensiven Werten zu konstatieren. Ihr relatives KGV habe während der beiden letzten Kursabschwüngen den Tiefststand beim 0,7-fachen bzw. beim 0,8-fachen-Verhältnis gesehen, verglichen mit einem aktuellen Verhältnis von 1,0. Beim Kurs-Buchwert-Verhältnis seien weltweit die zyklischen Werte (exklusive Technologie) fast eine Standardabweichung teurer als die defensiven Titel.

Am wichtigsten sei es drittens vielleicht, dass das Verhalten von Anleiherenditen und Öl eine Rotation bei den Branchen und den Anlagestilen nicht unterstütze. Es sei unwahrscheinlich, dass die Anleiherenditen stark ansteigen werden, wenn die rekordhohen staatlichen Konjunkturpakete erfolgreich finanziert werden sollen. Solange die Anleiherenditen gedeckelt blieben, werde die Marktführerschaft wahrscheinlich defensiv und wachstumsorientiert sein.

Zum Verständnis: Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Erholung der Aktien mit einem hohen Beta ist nach der Einschätzung von J.P.Morgan eine Aufwärtsbewegung bei den Anleiherenditen. Finanzwerte, Automobil- und Industrie-Sektoren seien die Sektoren, die am positivsten mit den Anleiherenditen korreliert sind, während Grundnahrungsmittel, Pharma und Versorger die stärkste inverse Korrelation aufweisen, heißt es zur Begründung.

Darüber hinaus stelle in diesem Zusammenhang der jüngste Absturz des Ölpreises eine Bürde für eine Wette auf eine Reflationierung sowie auf Value-Aktien dar. Und das Verhältnis von Angebot zur Nachfrage dürfte beim Öl wahrscheinlich auch in den nächsten Monaten ungünstig bleiben. Bleibe aber der Ölpreis unter Druck, dann dürfte auch dies die Inflation sowie die Inflationserwartungen nach unten ziehen, was wiederum den Abwärtsdruck auf die Anleiherenditen weiter verstärke.

Vor diesem Hintergrund erinnern die Analysten auch daran, dass niedrigere Ölpreise sich traditionell als ein Problem für die zyklischen Teile des Marktes erwiesen haben. In der Vergangenheit habe es zumindest eine starke Korrelation zwischen den Ölpreisen und der Performancedifferenzen zwischen den zyklischen und den defensiven Sektoren gegeben. Nachfolgend noch etwas mehr Informationen zu den von J.P.Morgan bevorzugten Branchen sowie den zum Kauf empfohlenen Sektor-Vertretern.

Pharma-Branche - Roche, Novo Nordisk und AstraZeneca



Insgesamt bezeichnet J.P.Morgan die eigene Anlagehaltung als von Vorsicht geprägt. Im Rahmen dessen sei man aber innerhalb der defensiven Sektoren insbesondere gegenüber Pharma positiv eingestellt. Denn unter anderem seien die Erträge im Pharmabereich im Vergleich zum übrigen Markt weiterhin als sehr widerstandsfähig einzustufen.

Die hauseigenen Analysten erwarten den Angaben zufolge, dass sich die starke Produkt-Pipeline als eine wichtige Stütze für den Sektor erweist. Darüber hinaus sehen die zuständigen Analysten die anstehenden Patentabläufe kurzfristig nicht als ein zu großes Risiko, da die meisten der Patente erst im Jahr 2023 auslaufen werden.

Das Gesundheitswesen weise zudem eine starke negative Korrelation zu den Anleiherenditen auf und dürfte sich im derzeitigen Umfeld auch deshalb weiterhin gut behaupten.

Der Sektor habe zuletzt bereits eine starke Outperformance erzielt, notiere aber immer noch unter den KGV-Relationen gemessen am Gesamtmarkt, die in den letzten beiden Kursabschwüngen zu beobachten gewesen seien. Die aktuelle KGV-Prämie bewege sich bei 20 Prozent, habe aber früher während Rezessionen eher in der Größenordnung von 30-40 Prozent gelegen.

Die Sektor-Analysten von J.P.Morgan bevorzugen in Europa innerhalb der Branche derzeit Roche, Novo Nordisk und AstraZeneca. Bei Roche sehen die Experten trotz der jüngsten Outperformance weiter Potenzial durch fünf neue Produkteinführungen sowie positive Pipeline-Katalysatoren, die den Gewinn pro Aktie nach oben treiben dürften.

Novo Nordisk aus Dänemark verspreche sowohl auf Umsatz- als auch auf Gewinnbasis ein doppelt so hohes Wachstum wie im Sektor-Durchschnitt. Zudem bestehe das Potenzial für langfristig weiter steigende Ergebnisschätzungen bei positiven Daten zu Produkten, die sich in der Phase II und der Phase III des Zulassungszyklus befinden.

Für die britische AstraZeneca werde 2020 wahrscheinlich ein weiteres Jahr der Produkt-Neueinführungen und eines starken zweistelligen Umsatzwachstums sein. Darüber hinaus sehen die hauseigenen Sektor-Analysten Potenzial für Höherstufungen, sobald es zu Aktualisierungen von Pipeline-Produkten kommt, die sich in der Spätphase ihres Zulassungsprozesses befinden.

Relative Entwicklung des MSCI Europe Healthcare Index gegenüber der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen (inverse Darstellung)

Die Entwicklung der relativen KGV-Bewertung des MSCI Europe Healthcare Index gegenüber dem Gesamtmarkt


Versorger-Branche -Enel, Engie und National Grid



Bei den in Europa von J.P.Morgan als Sektor ebenfalls bevorzugten Versorgern konstatiert die US-Investmentbank, dass diese zuletzt einen Teil ihrer vorherigen Outperformance gegenüber dem Gesamtmarkt wieder eingebüßt haben. Unbesehen davon traue man dem Sektor aber künftig aber künftig wieder eine bessere Wertentwicklung zu.

Zur Begründung für diese Einschätzung heißt es unter anderem, die Lücke zwischen der Kursentwicklung der Branchenvertreter sowie dem Rückgang der US-Staatsanleiherenditen sei zuletzt wieder ungewöhnlich groß geworden. Früher oder später dürfte es bei dieser Korrelation aber wieder zu einer Annäherung kommen.

Mittelfristig profitiere der Sektor darüber hinaus weiterhin von der Verlagerung des Geschäfts-Mixes von thermischen Energien zu erneuerbaren Energien, was höhere Margen und eine bessere Cashflow-Generierung ermögliche.

Im Rahmen des so genannten "Green Deals", bei dem es um einen Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft geht, erwarte das zuständige Sektor-Team, dass beträchtliche Finanzmittel für erneuerbare Energien, Netze und Speicherung zur Verfügung gestellt werden.

Die Branchen-Verantwortlichen bevorzugen innerhalb des Sektors Enel, Engie und National Grid. Wie es heißt, sei Enel aus Italien gut positioniert, um die Chancen zu nutzen, die sich durch den Energiewandel ergeben, da das Unternehmen in hohem Maße von Stromnetzen abhängig und bei der Entwicklung erneuerbarer Energien weltweit vertreten sei.

Zu Engie aus Frankreich führt man aus, das Unternehmen profitiere von seiner Asset-light-Strategie und seiner Neupositionierung, die darauf abzielt, einen größeren Marktanteil im Zuge des Energiewandels zu erobern.

Zugunsten der britischen National Grid führen die Analysten aus, diese Aktie biete wachsende und nachhaltige Dividenden, die durch einen starken operativen Cashflow untermauert würden. Robuste gesetzliche Rahmenbedingungen machten die Gesellschaft relativ widerstandsfähig gegen die Auswirkungen der aktuellen Pandemie.

Relative Entwicklung des MSCI Europe Versorger Index gegenüber der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen (inverse Darstellung)


Technoloigie-Branche - Adyen, ASML und SAP



Bei den ebenfalls in Europa mitfavorisierten Tech-Aktien räumt J.P.Morgan ein, dass dieses Segment verglichen mit dem Gesamtmarkt schon seit einiger Zeit stark gelaufen ist. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die Investoren die Gewinner verkaufen und es so zu einer Verringerung der starken Positionierung der Anleger in diesem Bereich kommt.

Man stufe den Sektor aber dennoch unverändert mit Übergewichten ein, weil die Analysten glauben, dass die Branche im Gegensatz zu den meisten direkt gegenüber den Verbrauchern exponierten Bereichen als relativ isoliert von der aktuellen Coronavirus-Krise einzustufen.

Außerdem profitiere der Sektor weiterhin von vielen strukturell positiven Faktoren. So sei beispielsweise auf globaler Basis bei den auf Künstliche Intelligenz fokussierten Ausgaben von 2018 bis 2023 mit einem Anstieg von 19,1 Milliarden auf 97,9 Milliarden Dollar zu rechnen. Das entspreche für den genannten Zeitraum einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 28,4 Prozent.

Die den Tech-Firmen zugestandenen Bewertungs-Multiplikatoren seien zwar gestiegen, sei seien aber noch nicht völlig überteuert. Gemessen am erwarteten Gewinnwachstum sei die Bewertung sogar als relativ attraktiv einzustufen. Die Analysten von J.P.Morgan setzen in dem Sektor auf Ebene der Einzelwerte auf Adyen, ASML und SAP.

Mit Blick auf den niederländischen Zahlungsdienstleister Adyen räumt man zwar eine hohe Bewertung ein, das Unternehmen erfreue sich aber im Gegenzug auch eines hohen Wachstum sowie hoher Margen. Die Gesellschaft profitiere dabei von einer signifikanten Online-Exposition (88 Prozent) und sei defensiver aufgestellt als andere Zahlungsdienstleister mit einer größeren Präsenz in physischen Geschäften.

Zum deutschen Software-Konzern SAP erklären die Analysten, der DAX-Vertreter sei zwar nicht immun gegen die Covid-19-Krise, doch die angebotene Betriebssoftware sei weltweit für viele Unternehmen von entscheidender geschäftlicher Bedeutung. Hinzu komme ein hoher Anteil an wiederkehrenden Umsätzen von fast 70 Prozent.

ASML, den weltgrößten Anbieter von Lithographie-Systemen für die Halbleiterindustrie, bezeichnet man als Hauptnutznießer der Umstellung auf EUV-Lithografie, da es der einzige Lieferant von EUV-Werkzeugen sei. Die Gesellschaft sei zwar auch von Covid-19 betroffen, ein Unternehmen wie ASML dürfte aber wahrscheinlich dank seiner Stellung als Zulieferer keine größeren Auftragsstornierungen erleben, es sei denn, die Konjunkturschwäche bleibe über einen längeren Zeitraum bestehen. Damit stehe man besser da als viele Halbleiter-Produzenten, die eine unmittelbare Auswirkung schwacher Endmärkte (Verbraucher, Autos usw.) zu spüren bekämen.

Entwicklung des geschätzten KGVs des MSCI World Tech Index gegenüber dem Gesamtmarkt

Entwicklung der Relation von KGV zum Gewinnwachstum beim MSCI World Tech Index


Grundnahrungsmittel-Branche - Reckitt Benckiser, Nestlé, BAT, Danone



Unter den übrigen defensiven Sektoren bergen die Aktienkurse von Grundnahrungsmittel-Anbietern laut J.P.Morgan weitere Anstiegschancen. Ein Urteil, das nicht zuletzt mit den niedrigen Anleiherenditen zu tun hat.

Die Bewertungen von Vertretern rund um den Bereich Grundnahrungsmittel fielen derzeit zwar nicht übermäßig attraktiv aus, trotz der zuletzt zu registrierenden Outperformance gegenüber dem Gesamtmarkt werde der Sektor jedoch unter dem Niveau gehandelt, das die Anleiherenditen vermuten lassen würden. Das aktuelle Niveau der US-Staatsanleiherenditen impliziere jedenfalls eine weitere Outperformance des Sektors von 15 Prozent.

Der Teilsektor Lebensmitteleinzelhandel sei Dank deutlich erhöhter Lebensmittelausgaben einer der Hauptprofiteure der COVID-19-Krise gewesen und werde wahrscheinlich auch in naher Zukunft eine Outperformance erzielen.

Auch sei darüber hinaus davon auszugehen, dass die Mitglieder aus dem Segment Grundnahrungsmitteln in Sachen Wachstums beim Umsatz und den Gewinnen je Aktie besser als der breite Markt abschneiden. Auf Einzelwertebasis bevorzugen die Analysten in dem Bereich Reckitt Benckiser, Nestlé, British American Tobacco und Danone.

Zum britischen Hersteller von Reinigungsprodukten und Haushaltswaren Reckitt Benckiser erklären die Analysten, dessen Aktien zeichneten sich durch eine günstige Wachstumsdynamik im Branchenvergleich aus, durch robuste Margen und ein starkes Umsatz- und Gewinnwachstum.

Dem Schweizer Nahrungsmittelriesen Nestlé hält man eine überlegene Topline-Performance (Aktivitäten in Kategorien mit hohem Wachstum) zu Gute und ein Portfolio-Management das starke Aktionärsrenditen generiert.

Beim britischen Tabakproduzenten British American Tobacco werde die Ertragskraft durch ein widerstandsfähiges Portfolio angetrieben, das sich aus einem guten Mix an traditionellen Produkten sowie Produkte der nächsten Generation auszeichne. Anspruchslose Bewertungsrelationen stellten hier einen weiteren Pluspunkt dar.

Beim Getränke- und Lebensmittelkonzern Danone aus Frankreich sind die Analysten der Ansicht, dass sich das defensive Portfolio im derzeitigen Makroumfeld als widerstandsfähig erweisen dürfte und dass der Titel eine attraktive Bewertung aufweist.

Relative Entwicklung des MSCI Europe Food & Beverages Index gegenüber der Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen (inverse Darstellung)

Die Entwicklung der relativen Kurs-Buchwert-Bewertung des MSCI Europe Food & Beverages Index gegenüber dem Gesamtmarkt