Herr Hirt, Hermes EOS hat zur Hauptversammlung von Volkswagen am Mittwoch einen Antrag zur Einsetzung eines Sonderprüfers angekündigt. Er soll unter anderem die Einhaltung der Grundsätze guter Unternehmensführung bei VW untersuchen. Was stimmt nicht mit der Corporate Governance in Wolfsburg?


Vieles. Denken Sie nur an den Aufsichtsrat. Angesichts der Manipulation von Abgaswerten bei VW-Dieselmotoren rückt nun auch die Rolle des Kontrollgremiums und seine Zusammensetzung in den Fokus. Es geht dabei im Kern um die Frage, welche Erfahrungen und welche Expertise, wie viel Unabhängigkeit, welche Nationalitäten ein Unternehmen wie Volkswagen braucht.

Welche Expertise wäre denn gefragt?


Die großen Themen in der Automobil-Industrie sind alternative Antriebe, autonomes Fahren, Digitalisierung oder die großen Wachstumsmärkte. Da stellt sich die Frage: Wäre es nicht sinnvoll, hier einen ausgewiesenen Experten, einen Amerikaner oder einen Chinesen zu berufen?

Und im Bestreben um ein höheres Maß an Unabhängigkeit sollen die Vertreter der Familien Porsche und Piech, die über die Porsche Holding den Konzern kontrollieren, künftig ihre Plätze räumen?


Natürlich sollen auch die Familien Piech und Porsche im Volkswagen-Aufsichtsrat vertreten sein, aber in einem angemessenen Umfang. Sehen Sie: Aktuell stellen beide Familien auf der Kapitalseite insgesamt fünf Vertreter, jeweils zwei weitere kommen vom Land Niedersachsen und dem Großaktionär Qatar. Dazu kommt eine Vertreterin von der schwedischen SEB Bank. Sie ist zwar grundsätzlich unabhängig, aber die SEB ist die Hausbank der VW-Trucktochter Scania. Bei dieser Zusammenstellung sind Erfahrungs- und Kompetenzlücken unvermeidbar. Ganz abgesehen von der unzureichenden Unabhängigkeit. .

Wie viele unabhängige Aufsichtsratsmitglieder hielten Sie bei einem Konzern wie Volkswagen denn für angemessen?


Als Investor würde man erwarten, dass mindestens die Hälfte der Vertreter der Kapitalseite tatsächlich unabhängig ist. Wir werden daher auf der Hauptversammlung neben anderen Punkten auch eine unabhängige Evaluierung zur Zusammensetzung des Aufsichtsrats beantragen. Dabei sollen die Kompetenzen, Erfahrungen und die Unabhängigkeit der Mitglieder bewertet werden.

Hans Dieter Pötsch war über ein Jahrzehnt Finanzvorstand bei Volkswagen und wechselte im Herbst an die Spitze des Aufsichtsrats. Viele Beobachter halten das für unglücklich, manche sogar für katastrophal. Sie auch?


Wir sehen diese Entscheidung sehr kritisch. Denn die Entwicklung der Manipulationssoftware geschah in der Zeit, als Herr Pötsch Finanzvorstand bei Volkswagen war und damit faktisch die Nummer 2 im Konzern. Unabhängig davon, wer für den Dieselskandal am Ende tatsächlich verantwortlich ist und ob der Vorstand Pflichten verletzt hat, ist der Aufstieg von Herrn Pötsch an die Aufsichtsratsspitze höchst fragwürdig. Er verstößt gegen deutsche Corporate Governance-Grundsätze. Außerdem wirft er die Frage auf, wie Herr Pötsch tatsächlich unabhängig prüfen kann, ob im Vorstand Pflichten verletzt wurden und gegebenenfalls sogar eine Haftungsklage eingereicht werden muss. Damit stellt sich schon die Frage, ob es Sinn macht, dass er Aufsichtsratsvorsitzender ist.

Aber die Machtverhältnisse in Wolfsburg sind seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten zementiert. Wie realistisch ist eine Veränderung im Aufsichtsrat überhaupt?


Viele Investoren haben die Hoffnung auf eine Veränderung in Wolfsburg in den vergangenen Jahren begraben. Aber ein solcher Skandal kann ein Katalysator sein, um sich der Lösung grundlegender Probleme zuzuwenden. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass auch die Großaktionäre einen enormen finanziellen Schaden erlitten haben. Das Eigeninteresse, die nötigen Konsequenzen zu ziehen, ist entsprechend hoch.

Der Volkswagen-Vorstand hat trotz Dieselskandals und heftiger öffentlicher Kritik auf seinem Bonus beharrt und lediglich kleine Anpassungen akzeptiert. Damit könnten die Vorstände wegen des stark gefallenen Börsenkurses in drei Jahren sogar mehr verdienen als zuvor. Was halten Sie von dieser Regelung?

Sehr wenig. Zunächst: Man kann in einem Jahr mit einem Verlust von vier Milliarden Euro dem Vorstand nicht 35 Millionen Euro variable Vergütung gönnen. Das ist ein weiteres Zeichen, dass die Geschehnisse im Dieselskandal noch nicht richtig im Vorstand angekommen sind. Und was die Neuregelung angeht: Hier werden 30 Prozent der variablen Vergütung zurückgestellt mit der Möglichkeit, dass sich dieser Betrag in einigen Jahren verdoppeln kann. Dazu muss der Aktienkurs nicht allzu weit steigen. Wir halten das für eine nicht-angemessene Vergütung. Die Sturheit des Vorstands und die fehlende Bereitschaft nicht zumindest bis zum Abschluss aller Untersuchungen auf Boni zu verzichten, wirft erheblich Fragezeichen auf.

In den vergangenen Jahren haben Sie im Dax vor allem Infineon, Siemens, die Deutsche Bank und Volkswagen wegen mangelhafter Corporate Governance im Visier gehabt. Wer bildet hier das Schlusslicht?


Leider ganz klar Volkswagen. Volkswagen hat nicht nur seinen Aktionären, den Mitarbeitern und den Kunden einen enormen Schaden zugefügt, sondern der gesamten deutschen Wirtschaft. Die Reputation deutscher Unternehmen, und des deutschen Corporate Governance Systems, hat unter dieser Krise ganz erheblich gelitten. Der Kollateralschaden ist immens.

Wie sauer sind Investoren über Volkswagen?


Sehr sauer. Das ist nicht vergleichbar mit anderen Corporate Governance-Problemen. Das Vertrauen von Kunden und Aufsichtsbehörden aufs Spiel zu setzen, durch Manipulation am eigenen Produkt ist noch mal eine ganz andere Dimension als Schmiergeld zu zahlen, wie bei Siemens in den Jahren vor der Krise 2006/2007 .