Wer zur Freenet-Zentrale in den Hamburger Norden fährt, dem fällt auf: Hier ist auch der Anleger zu Hause. So heißt zumindest ein Bootsverleih am nahen ­Alster-Lauf, der neben dem funk­tionalen Bürokomplex mit einem großen Hinweisschild auf sich aufmerksam macht. Dass aber auch die Aktienanleger bei Freenet eine wichtige Rolle spielen, macht Vorstandschef Christoph Vilanek im Gespräch mit €uro am Sonntag deutlich. Und auch, dass die klassische Glotze trotz wachsender Internetdurchdringung eine Zukunft hat.

€uro am Sonntag: Herr Vilanek, Freenet ist einer der größten unabhängigen Telekommunikations­anbieter Deutschlands. Warum ­bieten Sie nicht mit, wenn es um die Zukunft geht: die Lizenzen für den neuen Standard 5G, mit dem so viele Daten übertragen werden können wie nie zuvor?

Christoph Vilanek:

Die entscheidende Frage ist: Wie viel Geld muss ich dafür in die Hand nehmen, um das seriös zu machen? Das würde aus unserer Sicht eine Investition im hohen einstelligen bis niedrigen zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich erfordern. Wir glauben, dass sich das nicht so schnell zurückverdienen lässt, als wenn wir unser jetziges Geschäftsmodell fortsetzen.

Sie bleiben also bei Ihrem Händlermodell ohne eigene Infrastruktur?

Richtig. Wir kaufen als Großhändler bei den Netzbetreibern Vorleistungen ein und verkaufen sie als Pakete auf eigene Kosten und Rechnung an Endkonsumenten. Wir haben zwar keine eigenen Netze, aber der Kunde hat alle Netze zur Auswahl. Wir ­haben unseren Aktionären ein Versprechen gegeben: hohe Ausschüttungen, niedrige Kapitalinvestitionen, keine Infrastruktur. Wenn ich das konsequent leben will, kann ich keine Kehrtwende machen und 5G-Frequenzen kaufen.

Dennoch: Bedroht 5G nicht Ihr Geschäft, klassisches Fernsehen über DVBT zu verkaufen? Künftig ­können die Nutzer doch mit 5G ­mobil alles streamen, auch Fernseh­programme.

Das sehe ich anders. Wenn Sie heute auf einem 65-Zoll-Fernseher drei Stunden Fernsehen schauen, egal ob Youtube, Netflix oder ARD, brauchen Sie eine Datenmenge von mehr als 200 Gigabyte im Monat. Und die Menschen werden nicht mit kleinen Bildschirmen zufrieden sein. Der große Bildschirm wird die nächsten 30 bis 40 Jahre noch der Mittelpunkt des Konsums von bewegten Bildern sein, auch für die neue Internetgeneration. Bei aller Veränderung ist doch eines in den vergangenen Jahren gleich geblieben: Überall läuft die Glotze.

Und die funktioniert nicht über 5G?

Ein festnetzbasierter Zugang ist ­immer stabiler als ein gefunkter - ruckelfreier, besser und auch billiger. Wenn ich mit 5G Fernsehen schauen wollte, müsste direkt vor meinem Haus eine Antenne stehen, die mich direkt bestrahlt. Dann kann man das Glasfasernetz gleich ins Haus legen. 5G wird Festnetz-TV auf Sicht nicht ersetzen können. Das macht vielleicht in einem Riesenland wie China Sinn, wo Infrastruktur fehlt, nicht aber dort, wo Glas­fasernetze zur Verfügung stehen wie in Deutschland.

Dennoch bietet Festnetz-TV keine Wachstumsfantasie, oder?

Nein, dafür aber unser Streaming­angebot Waipu, bei dem wir Fernsehen über Internet anbieten. Marktforscher sagen, dass in fünf Jahren ein Drittel der Bevölkerung Streamingdienste konsumieren wird. Wenn Sie dem Glauben schenken, dann wären das 25 Millionen Kunden. Wir wollen einen Marktanteil von 20 Prozent, das wären fünf Millionen Kunden. Aktuell haben wir 300.000. Dort sehen wir die Musik.

Wie wollen Sie an diese Kunden kommen?

Waipu beinhaltet alle klassischen Sender, Youtube und weitere Kanäle wie zum Beispiel ADAC-TV. Wir haben eine Technologie entwickelt, die es Anbietern von Medieninhalten ­erlaubt, einen TV-Kanal einfach zu betreiben. In Kürze werden wir ­exklusive Kooperationen mit namhaften Partnern aus der Telekommunikations- und Medienbranche verkünden, die unsere Technologie nutzen werden, um ihre eigenen TV-Kanäle zu starten, die über Waipu zu sehen sein werden. Aber unabhängig davon rechne ich damit, dass wir die 20 Prozent Marktanteil auch aus eigener Kraft schaffen.

Mobilfunk ist ihre DNA, aber ein sehr reifer Markt. Wo kommt da noch Wachstum her?

Da muss man realistisch sein. Der Wettbewerb in Deutschland sorgt dafür, dass alles, was an Mehrkonsum erzeugt wird, preislich wieder ausgeglichen wird. Da gibt es kein Wachstum. Wir versuchen statt­dessen, das Mobilfunkgerät als Anknüpfungspunkt für neue Geschäfte zu nutzen.

Und wie?

Viele Kunden kommen zu uns in die Läden, weil sie überfordert sind von der Technologie. Sie nutzen die Funktionalität ihrer Handys nur zu einem kleinen Teil. In diesem ­Bereich sind wir sehr stark und empfehlen unseren Kunden Anwendungen und Produkte Dritter, etwa ­Medien- und Gesundheitsangebote, Smart Home oder Sicherheitsanwendungen. Dafür bekommen wir Umsatzanteile oder eine Provision. Wir sind wie der gute alte Buchclub, der Bücher empfohlen hat, nur für Apps. Jedes Jahr wachsen wir mit diesen Dienstleistungen, die wir Digital Lifestyle nennen, um 20 Millionen Euro. Das wird so weitergehen.

Sie haben sich vergangenes Jahr mit 9,1 Prozent am Handelskonzern Ceconomy beteiligt, zu dem Media Markt und Saturn gehören. Bisher war dieser Schritt angesichts eines Kursverlusts von 40 Prozent ein ­Desaster.

Natürlich wäre es mir lieber, wenn wir wieder beim Einstandskurs ­wären. Aber Ceconomy ist eine strategische Beteiligung. Wir wollen ­unsere Fernsehprodukte besser platzieren. Media Markt war immer ein Elektronikvollsortimenter, kein Berater so wie wir.

Und was wollen Sie dort verkaufen?

Wir bieten bei Media Markt seit 25 Jahren Mobilfunk an. Der Media Markt hat darüber hinaus Millionen Kunden, die nicht bei Freenet sind. Es gibt 5,8 Millionen Clubkarten. Diesen Kunden können wir buchclubmäßig eine Auswahl für Handy und Tablet anbieten, zum Beispiel unseren Streamingdienst. Ein nicht physisches Produkt zu verkaufen ist für einen Elektronikhändler wie ­Media Markt schwierig. Der verkauft harte Ware, wir verkaufen sozu­sagen Luft. Das führen wir jetzt zusammen.

Macht sich das operativ schon ­bemerkbar?

Noch nicht. Durch die Restrukturierung von Ceconomy verzögert sich das. Aber jetzt ist ein neues Management an Bord, das den richtigen Weg einschlägt. Ich bin mit Jörn Werner, dem neuen CEO, im engen Austausch.

Wachstum könnte auch aus dem Ausland kommen. In der Schweiz sind Sie schon am Mobilfunkanbieter Sunrise beteiligt. Wie sieht es mit weiteren Zukäufen aus?

Grundsätzlich macht es für uns keinen Sinn, ins Ausland zu gehen. Bei jeder Beteiligung, die wir bisher eingegangen sind, wollten wir außer Geld auch irgendetwas Operatives mitbringen wie Kundenkontakte oder unsere Beratungskompetenz. Irgendwo im Ausland würde ich aber nur Geld mitbringen und gute Worte. Das wollen wir nicht.

Und Sunrise?

Sunrise ist ein Sonderfall, der sich aus der damaligen Situation erklärt, als wir gezielt unser Kapital investieren wollten. Das war ja auch ertragreich. Wir erwarten dieses Jahr eine Dividende von 40 Millionen Franken. Heute würden wir eine vergleichbare Transaktion aber nicht mehr machen.

Warum verkaufen Sie dann nicht?

Sunrise ist gerade dabei, das Schweizer Kabelunternehmen UPC zu übernehmen. Dieser Prozess wird 2019 komplett einnehmen. Da macht ein Ausstieg keinen Sinn. Wenn aber diese Konsolidierung abgeschlossen ist, wird unser Anteil auch kleiner sein als die aktuellen 25 Prozent und die Sunrise-Aktie liquider. Dann wird es für uns leichter, dort auszusteigen. Aber wir haben keinen Refinanzierungsdruck. Das nächste Schuldscheindarlehen müssen wir 2020 refinanzieren. Unsere Kreditlinien reichen für alle erdenklichen kurzfristigen Schwankungen aus. Aktuell liegt die Sunrise-Aktie bei 73 Franken. Dafür haben wir sie gekauft. Ich glaube, dass sie mehr wert ist. Und solange ich nicht unter Stress gerate, warte ich lieber ab, bis ich für sie mehr bekomme.

Wären Sie offen für einen strategischen Investor?

Wir hätten nichts gegen einen weiteren Ankerinvestor. Derzeit ist Flossbach von Storch mit 15 Prozent der größte Aktionär. Wenn es einen gäbe, der 25 Prozent oder eine qualifizierte Mehrheit hielte, würde uns das nicht stören, sofern derjenige unser Modell respektiert.

Gab es schon Gespräche?

Es gibt einen Aspekt, der einen Einstieg erschwert. Wir haben noch Verlustvorträge von deutlich über zwei Milliarden Euro aus den UMTS-Lizenzen. Die führen zu einer niedrigeren Unternehmenssteuerbelastung von zwölf Prozent. In dem Moment, wo ein anderer mehr als 25 Prozent an Freenet besitzen würde, könnten die Verlustvorträge aber nicht mehr in dieser Weise geltend gemacht werden. Dadurch entsteht ein Bewertungsdilemma. In diesem Büro saßen schon einige Menschen aus der Telekommunikation und anderen Branchen, welche die Idee hatten, mit uns zusammenzugehen, am Ende aber wegen der Verlustvorträge davon Abstand genommen haben.

Und ein Zusammenschluss unter Gleichen?

Die Drillisch ist ja mittlerweile ein Teil von United Internet. Wir hatten uns zu der Zeit auch mit dem Thema auseinandergesetzt. Heute gäbe es in der Theorie nur die Möglichkeit, mit United Internet zusammenzu­gehen. Die waren selbst mal bei uns mit 25 Prozent beteiligt. Das sehe ich aber nicht, weil die Firma breiter aufgestellt ist und eine andere Linie verfolgt.

Wird Freenet künftig Teil eines großen Telekommunikationskonzerns sein?

Ich schätze nicht. Da hätte es schon viele Möglichkeiten gegeben, zum Beispiel bei einem Börsenkurs von sieben Euro und nicht 19 Euro wie heute. Aber ich schließe so etwas nicht aus. Wenn jemand mit einer guten Idee kommt, wie wir noch besser werden, soll er anrufen.

Sie rechnen 2019 bei der Ergebnis­entwicklung mit einer Stagnation. Warum?

Vom Mobilfunk kommt kein Wachstum. Preise sinken tendenziell und Kosten steigen. Das wird durch das Lifestylegeschäft und Kosteneffizienz ausgeglichen. DVBT-Fernsehen ist stabil, Internetfernsehen Waipu aber noch nicht in der Wachstumsdimension angelangt, sondern in der Investitionsphase. Waipu hatte 2018 ein Ergebnis von minus 15 Millionen Euro. Im laufenden Jahr werden es mindestens minus zehn Millionen Euro sein. Und Ceconomy wird nicht vor 2020 Ergebnisbeiträge liefern. Wir bewegen uns seitwärts, tätigen aber ausreichende ­Investitionen für das Zukunftsgeschäft des Internet-TVs, das hoffentlich ab 2021 positive Beiträge liefert.

An den Börsen geht das Schreck­gespenst der Rezession um. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Wir haben bei der letzten Krise erlebt, dass die Telkoaktien eher funktioniert haben, weil sie Commo­dity-Charakter haben. Der Kunde spart woanders. Er kann auf Kleidung verzichten, weniger ausgeben für Essen und Reisen, aber telefonieren und Whatsapp-Nachrichten schicken wird er trotzdem. Wir sehen uns ­deshalb eher als konjunktur­unabhängig.

Sie könnten an der Börse als defensives Investment gefragt sein?

Unser Geschäft ist unabhängig von Handelskriegen und vom Brexit. Insofern kann ich mir vorstellen, dass sich Telkotitel in einer Schwächephase besser entwickeln als der Rest. Dazu kommt, dass wir eine hohe Dividende zahlen mit einer Rendite von mehr als acht Prozent. Das ist attraktiv in unsicheren Zeiten, auch wenn die Dividende erst einmal nicht weiter wachsen wird.

Rechnen Sie mit dem großen Crash an den Börsen?

Der kommt mit Sicherheit. Die Frage ist nur, wann. Alle, die seit fünf Jahren sagen, es wird wieder runter­gehen, werden recht behalten - irgendwann. Aber schauen Sie an, wie viel überschüssiges Geld jeden Monat entsteht, das verzweifelt Anlage­chancen sucht, weil die Inseln, die Kunstwerte, die Oldtimer und die Immobilien schon verkauft sind. Ich rechne deshalb eher mit selektiven Korrekturen und investiere persönlich weiter in Aktien.

Vita:
Der Sonnenanbeter

Bei Christoph Vilanek fällt der österreichische Einschlag sofort auf, vor ­allem in Norddeutschland. Der 51-jährige Innsbrucker lenkt seit zehn Jahren die Geschicke des größten unabhängigen Telekommunikationsunternehmens Deutschlands. In Hamburg lebt der Betriebswirt erst seit fünf Jahren, seiner Frau und seiner jüngsten Tochter zuliebe. Denn eigentlich mag ­Vilanek Bayern, die Berge und die Seen im Alpenvorland lieber als das norddeutsche Tiefland. Freie Zeit verbringt er am liebsten bei Sonne in Garten und Natur.

Die Aktie:
Dividendenwert Freenet

Der im MDAX sowie im TecDAX gelistete Telekomdienstleister wächst kaum. Im laufenden Jahr soll der Gewinn stagnieren, da Zuwächse im Geschäft mit Lifestyleprodukten wie Apps die Einbußen im Mobilfunkgeschäft in etwa kompensieren. Die Aktie ist dennoch einen Blick wert, vor allem für konservative Anleger. Das Geschäft ist wenig konjunktursensibel, die Dividendenrendite liegt über acht Prozent. Einbußen durch eine Teilnahme an der 5G-Auktion wie bei 1 & 1 Drillisch wird es hier nicht geben. Der Chart könnte den Widerstand bei 20 Euro überwinden.