BÖRSE ONLINE: Herr Mobius, in Ihrem Alter genießen die meisten Menschen ihren Ruhestand. Sie haben mit über 80 Jahren eine neue Fondsgesellschaft gegründet. Was hat Sie dazu motiviert?


Mark Mobius: Ja, viele Menschen waren überrascht, als sie davon gehört haben. Aber ich habe meine Arbeit als Fondsmanager immer geliebt und wollte gern etwas Neues beginnen.

Zuvor haben Sie über 30 Jahre bei der US-Fondsgesellschaft Franklin Templeton gearbeitet. Welche Erfahrungen haben Sie dort gesammelt?


Im Jahr 1987 habe ich dort meinen ersten Fonds für Schwellenländeraktien aufgelegt. Anschließend sind wir sehr stark gewachsen. Zunächst managten wird 100 Millionen US-Dollar, später über 40 Milliarden US-Dollar. In dieser Zeit ist die Zahl unserer Mitarbeiter und weltweiten Büros ständig gewachsen, sodass ich allmählich den Blick für das Wesentliche - das Investieren - verloren habe. Daher habe ich mich entschieden, meine Arbeit wieder einfacher und fokussierter zu gestalten.

Was hat sich seit 1987 in den Schwellenländern geändert?


Damals regierten in vielen Schwellenländern noch Kommunisten und Sozialisten, anderswo herrschten Diktatoren. Denken Sie etwa an die Sowjetunion oder Lateinamerika. Im Jahr 1987 konnten wir deshalb nur in sechs Länder investieren, in Indonesien, Malaysia, Mexiko, Singapur, den Philippinen und Thailand. Seither hat in den aufstrebenden Ländern jedoch eine unglaubliche Transformation stattgefunden.

Was sind die Gründe dafür?


Meine Professoren am Massachusetts Institute of Technology (MIT) haben viele Theorien entwickelt, warum Länder wachsen. Am Ende kommt es entscheidend darauf an, dass ein Land die Marktwirtschaft einführt, weil der Markt das Kapital und die Ressourcen am besten verteilt. Das haben viele Schwellenländer in den vergangenen Jahren verstanden. Zudem können wir inzwischen in viel mehr Aktien und Anleihen aus den Schwellenländern investieren, weil sie eine Börse und einen Finanzplatz etabliert haben.

Der Markt für ETFs wächst sehr stark. Wie sehen Sie das als aktiver Fondsmanager?


Anleger investieren derzeit mehr Kapital in passiv verwaltete ETFs als in aktiv gemanagte Fonds. Auf diese Weise fließt mehr Geld in die großen liquiden Indexwerte, während kleine und mittelgroße Werte vernachlässigt werden.

Inwiefern sollte dies nachteilig sein?


Aktien großer Unternehmen könnten so zu teuer werden oder anfällig für Kursschwankungen werden, falls das Kapital wieder abfließt. Aktien von kleinen und mittleren Firmen in den Schwellenländern sind derzeit weniger volatil als die von großen, was den Erwartungen vieler Anleger widerspricht.

Anleger können mittlerweile auch ETFs mit kleinen Firmen aus Schwellenländern kaufen. Dann bräuchte man Ihren Fonds nicht.


Unter dem Strich folgen diese ETFs aber auch einem Index, dessen Aktien zu einer Überbewertung tendieren. Es gibt noch keine ETFs, welche Volkswirtschaften, die noch ganz am Anfang stehen, sogenannte Frontier Markets, vernünftig abdecken.

ETFs sind allerdings deutlich günstiger als aktiv gemanagte Fonds.


Das stimmt natürlich. Anleger mögen ETFs, weil sie einfach zu kaufen sind und günstig sind. Deshalb gewichten wir Aktien, Sektoren und Länder im Vergleich zum Index nicht bloß moderat über oder unter, sondern unser Portfolio unterscheidet sich komplett vom Index.

Meiden Sie also populäre Aktien?


Nicht unbedingt. Aber wir haben die Bewertung und die Aussichten der Unternehmen immer im Blick.

Worauf achten Sie außerdem?


Wir haben aber gelernt, dass wir unsere Rendite noch verbessern können, wenn wir mit den Unternehmen zusammenarbeiten, um ihre Unternehmensführung zu verbessern.

Hören Ihnen die Unternehmen denn zu?


Manchmal, aber nicht immer. Vielleicht sind rund zehn Prozent der investierbaren Unternehmen bereit, mit uns zu sprechen. Diese Unternehmen sind für uns interessant.

Was hat sich in den Schwellenländern in den vergangenen Jahren noch geändert?


Das Aufkommen der Technologieaktien. Wer hat vor zehn oder 15 Jahren schon von Alibaba gehört? Oder von Tencent? Diese Unternehmen spielen in den Indizes und vielen Fonds mittlerweile eine große Rolle.

In den Schwellenländern treten immer wieder Krisen auf. Jüngst etwa in Argentinien und der Türkei. Wieso sollten Anleger deshalb langfristig in Emerging-Markets-Aktien investieren?


Der erste Grund ist das Wachstum. Langfristig wachsen die Schwellenländer rund doppelt so schnell wie die Industrieländer. China wächst trotz all seiner Probleme zum Beispiel um sechs bis sieben Prozent pro Jahr, Indien um sieben Prozent, einige Frontier-Länder sogar noch stärker. Das sind eindrucksvolle Wachstumsraten, die nicht durch eine expansive Politik der Notenbanken künstlich aufgebläht wurden. Auf diese Weise legt der Anteil der Schwellenländer an der globalen Wirtschaftsleistung mit der Zeit immer stärker zu.

Was spricht noch für ein Engagement in den Schwellenländern?


Der zweite Grund ist die Bevölkerung. In China und Indien leben jeweils mehr Menschen als in Europa und den USA zusammen. Und abgesehen von den USA zählen zu den zehn bevölkerungsreichsten Nationen nur Schwellenländer, deren Bevölkerung im Schnitt auch jeweils deutlich jünger als in den Industrieländern ist. Werden diese beiden Punkte, Wachstum und Bevölkerung, addiert, spricht langfristig sehr viel dafür, in Aktien aus den Schwellenländern zu investieren. Dazu kommt die technologische Entwicklung dieser Länder, die oft noch unterschätzt wird.

Was meinen Sie damit?


Egal, ob man nach China, Südkorea oder Taiwan schaut - diese Länder haben in den vergangenen zehn bis 15 Jahren einen großen Sprung nach vorn gemacht. Diese Länder springen von einer alten oder gar nicht vorhandenen Technologie ohne Zwischenschritte unmittelbar zur neuesten Technologie. Das ist in einem Industrieland wie Deutschland gar nicht möglich. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass neue Technologien für Schwellenländer viel bedeutsamer sind als für Industrieländer.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?


Nehmen Sie Safaricom in Kenia. Das Unternehmen hat ein mobiles Bezahlsystem entwickelt, mit dem die Menschen über ihr Smartphone bequem einkaufen oder Geld überweisen können. Und dies in einem Land, wo es kaum Banken gibt und die Menschen damit kaum Zugang zu einem Bankkonto haben.

Was halten Sie generell von Afrika? Die Hoffnungen, die man für den Kontinent hatte, scheinen sich nicht erfüllt zu haben.


Die Chinesen sehen das anders. Es ist kein Geheimnis, dass sie große Summen in Afrika investieren, weil sie in den dortigen Unternehmen und Verbrauchern einen potenziellen Markt sehen. Zudem halte ich nichts von der These, dass die afrikanischen Arbeitskräfte unproduktiv wären. Wenn man die Arbeit und die Unternehmen gut organisiert, kann dies in den afrikanischen Ländern auch zu einem starken Wachstumsmotor werden.

Zurück zur Technologie. Werden die Schwellenländer die Industrieländer irgendwann technologisch überholen?


Noch liegen die Industrieländer vorn, aber die Schwellenländer holen beständig auf. Die Frage ist, inwiefern die Industrieländer auf diese Entwicklung reagieren werden.

Oder auch reagieren müssen?


Ja, das auch. In vielen Bereichen, etwa bei elektrisch fahrenden Autos, setzt China heute bereits die Standards. Und die Unternehmen müssen darauf reagieren, weil China weltweit der größte Automobilmarkt ist.

Bislang gibt es erst wenige weltweite Marken aus den Schwellenländern. Wird sich dies ändern?


Ich denke schon. Japanische Unternehmen wie Sony und Toyota haben in der Vergangenheit mit günstigen und hochwertigen Produkten bereits den Weltmarkt erobert, in der jüngeren Zeit ist das Samsung aus Südkorea gelungen. Heute nutzen die Menschen in vielen Ländern bereits Smartphones der chinesischen Firma Huawei. In zehn Jahren könnten brasilianische oder indische Unternehmen hier nachziehen. Schon heute gibt es viele hervorragende Zulieferer aus den Schwellenländern, die westliche Unternehmen beliefern, die das breite Publikum aber noch nicht kennt.

Wie beurteilen Sie den Machtkampf zwischen China und den USA? Wird der Handelsstreit zwischen ihnen eskalieren?


Die Chinesen denken langfristig und möchten die USA auf lange Sicht überholen. Das hat mit ihrem geschichtlichen Anspruch zu tun, über viele Jahrhunderte eine führende Nation gewesen zu sein. Es wäre daher möglich, dass sie mit den USA beim Handel einen Kompromiss eingehen werden, der für sie kurzfristig zwar schmerzhaft sein mag, bei dem sie ihre langfristigen Ziele aber nicht aus den Augen verlieren werden.

Wie stabil schätzen Sie die wirtschaftliche Lage in China ein? Das Land hat zum Beispiel hohe Schulden.


China hat in der Vergangenheit immer wieder gute und schlechte Zeiten erlebt. Das wird künftig nicht anders sein. Aber langfristig zeigt der Weg des Landes nach oben. Es ist bemerkenswert, dass immer mehr Chinesen zu höheren Einkommen und Wohlstand kommen. Das hätte man vor zwei oder drei Jahrzehnten nicht für möglich gehalten.

Für wie stabil halten Sie die kommunistische Regierung in China?


Das ist eine spannende Frage. Müssen die Chinesen ihr politisches System ändern, um die USA langfristig überholen zu können? Das wäre natürlich nicht im Interesse der kommunistischen Partei, die im Gegensatz zur früheren Sowjetunion vor allem die Wirtschaft reformieren möchte. Aber in demokratisch geführten Ländern wie Deutschland oder den USA können die Menschen in vielen Bereichen kreativer sein, was auch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stärkt. Vielleicht muss China diesen Schritt irgendwann auch gehen.

Zur Person: Mark Mobius wurde am 17. August 1936 in New York geboren und erwarb am Massachusetts Institute of Technology (MIT) einen Doktorgrad in Wirtschafts- und politischen Wissenschaften. Mobius arbeitete über 30 Jahre für die Fondsgesellschaft Franklin Templeton und leitete dort das Team für Schwellenländeraktien. In diesem Jahr machte er sich mit einer eigenen Fondsgesellschaft selbstständig. Mobius war einer der ersten Fondsmanager, die in großem Stil Aktien aus aufstrebenden Volkswirtschaften kauften. €uro und seine Schwesterpublikationen €uro am Sonntag und BÖRSE ONLINE zeichneten ihn daher im Jahr 2013 mit dem Titel "Fondsmanager des Jahres" aus.

Mobius Capital Partners: Im Mai 2018 gründete Mark Mobius mit seinen früheren Kollegen Carlos Hardenberg und Greg Konieczny Mobius Capital Partners. Mit dem neuen Mobius Emerging Markets Fund (ISIN: LU 184 673 991 7) wollen sie vorwiegend in Nebenwerte aus den Schwellenländern und den Frontier Markets investieren und diese zu einer besseren Unternehmensführung bewegen. Zudem wollen sie bei den jeweiligen Unternehmen ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen.