Der Norden von Duisburg ist nicht als grüne Oase bekannt. Stattdessen prägen vielmehr soziale Brennpunkte und alte Industrien die Region im Ruhrgebiet. Doch das könnte sich bald ändern - aufgrund von grünem Wasserstoff.

Der Rohstoffriese Thyssenkrupp will damit hier die Stahlproduktion klimafreundlich machen. Dafür soll in den schwarzen Hochöfen, wo Eisenerz zu Stahl schmilzt, grüner Wasserstoff den bisher zur Veredelung eingesetzten Kohlenstaub ersetzen. Das wäre ein wichtiger Schritt, um den hohen Kohlendioxidausstoß beim Stahlkochen zu mindern. Die Stahlindustrie ist in dieser Hinsicht eine der schmutzigsten Branchen überhaupt.

Bisher stammt Wasserstoff aus der Aufbereitung von Erdgas. In Europa fallen etwa zehn Millionen Tonnen an, weltweit 70 Millionen Tonnen. Grauer Wasserstoff bringt dem Klima wenig. Daran hat auch Thyssenkrupp kein Interesse. Wasserstoff kann aber auch mit Strom aus der Spaltung von Wasser entstehen, aus der sogenannten Elektrolyse. Stammt dieser Strom aus Wind- oder Sonnenenergie, ist auch der Wasserstoff grün und damit eine potenzielle Quelle für grünen Stahl.

Nachhaltiger Strom für Europa

Noch sind die Kosten zu hoch und die Erlöse für das eingesparte Kohlendioxid am CO2-Markt zu niedrig, damit sich die Elektrolyse ohne Förderung rechnet. In Europa liegt der Anteil des grünen Wasserstoffs am gesamten Wasserstoffmarkt laut EU-Kommission bei nur vier Prozent - es ist wie mit dem Solarstrom, der heute nicht mehr wie vor 20 Jahren 50 Cent je Kilowattstunde, sondern fünf Cent kostet. Solche Kostensprünge sind beim Elektrolysewasserstoff nicht nötig. In zehn Jahren, schätzt etwa die Bank HSBC, könnten sich die Kosten mindestens halbiert haben und grüner Wasserstoff damit zu gleichen Kosten herzustellen sein wie grauer.

Damit es so weit kommt, müssen Politik und Industrie Milliarden bewegen. Es geht darum, eine komplette Industrie aufzubauen mit Elektrolyseuren im Gigawattmaßstab, großen Brennstoffzellenfabriken und Infrastruktur. Zugleich braucht Europa große Mengen an grünem Strom - zusätzlich zu den schon bestehenden Ausbauzielen. Nur dann ist gewährleistet, dass Wasserstoff auch tatsächlich nachhaltig wird. Die Bundesregierung hat ihre Pläne in einer seit Monaten angekündigten und im Zuge des Corona-Konjunkturpakets im Juni endlich vorgestellten "Nationalen Wasserstoffstrategie" gebündelt. Sieben Milliarden Euro sollen in den "Hochlauf" der heimischen Wasserstoffwirtschaft fließen. Und auch die Wirtschaft macht Nägel mit Köpfen. Thyssenkrupp etwa hat mit dem Energieversorger RWE einen Vertrag zur Lieferung des grünen Gases für die Duisburger Hochöfen geschlossen. Zudem will die Firma selbst in großer Stückzahl Elektrolyseure bauen, die klimafreundlichen Wasserstoff produzieren.

Beim potenziellen Marktwachstum stellt das Gas fast alle anderen Branchen in den Schatten. So erwartet die EU, dass der Umsatz der Branche von zuletzt zwei Milliarden Euro bis 2030 auf 140 Milliarden Euro steigen könnte. Das würde zugleich 140.000 neue Arbeitsplätze bedeuten.

Das elektrisiert auch die Autobranche. Bisher haben Deutschlands Autobauer bei den neuen klimafreundlichen Technologien wenig zu melden. Zumindest im Schwerverkehr will Mercedes-Benz das nun ändern. Der Konzern arbeitet seit Jahrzehnten an der Entwicklung von Brennstoffzellen. Nun wollen die Stuttgarter Gas geben und gemeinsam mit Volvo ab 2025 ein Nutzfahrzeug zur Serienreife bringen, das auf deutschen Straßen mit Wasserstoff fährt. Dieselbe Idee verfolgt das US-Unternehmen Nikola zusammen mit dem italienischen Lkw-Spezialisten Iveco. Am Produktionsstandort in Neu-Ulm sollen ab 2023 marktreife Wasserstoffbrummis die Fabriktore gen Massenmarkt verlassen.


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Auch als Stromspeicher oder als Beimischung für Erdgas taugt der Wasserstoff. Er ist ein Tausendsassa, das grüne Versprechen, mit einem Strich prinzipiell alle Sektoren wie Verkehr, Industrie und Wärme grün zu färben.

Denn bisher ist die einzige wirklich klimafreundliche Alternative in der globalen Wirtschaftswelt der grüne Strom. Kraftstoffe basieren überwiegend noch auf Erdöl, genauso wie die Chemie, die produzierende Industrie und der größte Teil der Wärme. Im deutschen Stromsektor hingegen haben Wind, Solar und andere regenerative Quellen einen Anteil von mehr als 40 Prozent erreicht. 2030 sollen es bereits 65 Prozent sein.

Spezialisten mit Kurschancen

Strom aber kann nicht alles. Mit Elektromobilität allein kann der Verkehr kaum so schnell ökologisch werden, wie es der Klimavertrag von Paris vorschreibt. Nur mit Wasserstoff könne das gelingen, so das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Der soll zum einen aus heimischer Produktion, zum anderen aus dem Import kommen. Für internationale Partnerschaften sieht die hiesige Wasserstoffstrategie rund zwei Milliarden Euro vor. So soll Wasserstoff über Pipelines aus Nordafrika nach Deutschland kommen.

Während über die Notwendigkeit, grünen Wasserstoff einzusetzen, mittlerweile Einigkeit besteht, ist noch umstritten, wo er als Erstes zum Einsatz kommen soll. Überall dort, wo es keine Alternativen gibt, schlägt das Öko-Institut vor. Denn grüner Wasserstoff bleibe erst einmal ein knappes Gut.

Also weniger im Pkw-Bereich, wo es aktuell ohnehin kaum Fahrzeugmodelle gibt. Auch nicht unbedingt bei den Heizungen, wo Wärmepumpen im Vorteil sind. Dagegen sind neben der Industrie Flugzeuge und Schiffe auf grüne Alternativen angewiesen. In der Containerschifffahrt zum Beispiel, so sagte Hapag-Lloyd-Chef Habben Jansen vor Jahresfrist im Gespräch mit €uro am Sonntag, würden Batterien für den Antrieb den gesamten Stauraum für die Ladung in Anspruch nehmen und seien damit keine Option. Wasserstoff und Brennstoffzellen, die daraus Strom gewinnen, aber schon.

Für Flugzeuge kommt die Verbrennung von grünem Wasserstoff wegen der Sicherheit nicht in Betracht. Er kann aber die Basis für grünes Kerosin sein. Der synthetische Flugkraftstoff besteht statt aus Erdöl aus Wasserstoff sowie Kohlendioxid. Vorneweg in diesem Zukunftsmarkt fliegt der finnische Ölspezialist Neste. In Norwegen zum Beispiel ist er über seine deutsche Beteiligung Sunfire an einem Vorhaben beteiligt, das bis 2026 pro Jahr 100 Millionen Liter Kerosin aus Wasserstoff produzieren will. In Rotterdam arbeitet Neste an einer Raffinerie, um grünen Wasserstoff und Kraftstoffe zu produzieren.

Gut positioniert für das Geschäft sind auch Linde und Air Liquide. Sie haben Wasserstoff, wenn auch nur grauen, schon seit Jahrzehnten im Angebot. Und geht es nach der EU, wird zumindest für eine Übergangszeit sogenannter blauer Wasserstoff eine Rolle spielen. Das ist klassischer Erdgaswasserstoff, dem das Kohlendioxid entzogen wird, das dann gespeichert wird. Linde hat sich zudem im vergangenen Jahr an dem Entwickler von Elektrolyseuren, der britischen ITM Power, beteiligt. Die Firma plant die größte Fabrik der Welt für die Wasserstoffproduktion.

Mit dem Einstieg von Linde ging der Aktienkurs der Sheffielder durch die Decke. Seit Anfang des Jahres hat er sich mehr als verdreifacht. Auch andere Wasserstoffwerte, beispielsweise die norwegische Nel, die auf Tankstellen und Elektrolyse setzt, oder der schwedische Brennstoffzellenexperte Powercell, an dem die deutsche Bosch beteiligt ist, haben ihren Anteilseignern in den vergangenen zwölf Monaten viel Freude gemacht.

Mittelfristig sind all jene gut positioniert, die Kernprodukte für die Wasserstoffwirtschaft liefern. Dazu zählt neben ITM Power, Nel und Powercell die britische Ceres Power mit ihrer Brennstoffzelle auf Basis von Stahl, an der Bosch ebenfalls Anteile hält. AFC Energy ist mit günstigeren Elektrolyseuren unterwegs, schloss zuletzt eine Kooperation mit Spaniens Infrastrukturkonzern Acciona. Die deutsche SFC bietet Brennstoffzellen an, die auch andere Gase nutzen können, und ist damit gut im Geschäft. Weltweit haben sich die Brennstoffzellenaltmeister Ballard Power und Plug Power, die Gabelstapler mit Wasserstoff bewegen, etabliert. Der noch Ende des Jahres vor der Insolvenz stehende Brennstoffzellenfertiger Fuel Cell Energy kooperiert mittlerweile mit dem Ölriesen Exxon.

In Japan dürfte das Thema im nächsten Jahr Fahrt aufnehmen, wenn die Olympischen Sommerspiele als Schaufenster für Japans Wasserstoffgesellschaft dienen sollen. Konkret aktiv sind hier die Chemiemischkonzerne Iwatani und Asahi Kasei, bei denen die Technologie aber nur einen Teil des Gesamtgeschäfts ausmacht.

Und es gibt eine Reihe von Branchen, die ebenfalls, aber erst auf den zweiten Blick, profitieren. Dazu zählen Gasnetzbetreiber, die künftig Wasserstoff durch ihre Pipelines bringen. Börsennotierte Transporteure wie Snam in Italien und Enagas in Spanien bereiten das vor. Dazu werden die Entwickler und Betreiber von regenerativen Energieanlagen wie Encavis und Solarproduzenten wie Meyer Burger profitieren. Denn der Wasserstoff braucht große Mengen grüner Energie.

Die größten Chancen für Anleger bieten in der neuen Wasserstoffwelt aber die Spezialisten. Denn sie profitieren eins zu eins vom Boom, haben keine anderen Geschäftsfelder. Der Nachteil: Sie sind noch auf öffentliche Projekte und finanzstarke Partner angewiesen und schreiben fast ausnahmslos rote Zahlen. Doch wenn die Wasserstoffwelt kommt wie erwartet, wird sich das ändern - und in Städten wie Duisburg auch deutlich zu sehen sein.
 


INVESTOR-INFO

Nikola

Der Wasserstoff-Tesla

Was Tesla in der Elektromobilität ist, will Nikola beim Wasserstoff werden. Dass auch die Börse das für möglich hält, zeigt das fulminante Börsendebüt, das die Firma im Juni teurer machte als Ford. Die Perspektiven des Unternehmens um Gründer Trevor Milton im Bereich Hybridantriebe sind exzellent, weil bisher noch weitgehend einzigartig. Angeblich liegen bereits 14.000 Bestellungen für die Wasserstoffbrummis vor. Schon 2023 soll die Serienfertigung starten. Die Aktie ist attraktiv, aber aktuell sehr teuer. Anleger warten eine Korrektur ab.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 75,00 Euro
Stoppkurs: 50,00 Euro

Powercell

Schwedisches Kraftpaket

Die Schweden produzieren Brennstoffzellen für die Mobilität. Im Blickpunkt: Autos und Fähren. Größter Kunde ist Bosch, der an den Göteborgern mit elf Prozent beteiligt ist. Die Massenproduktion soll 2022 starten. Einer der zentralen Kunden ist Nikola. Daneben sind die Schweden auch aussichtsreich in China positioniert. Dank des Deals mit Bosch hat Powercell 2019 als einer der wenigen Wasserstoff-Pure-Plays schwarze Zahlen geschrieben. Klarer Kauf.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 35,00 Euro
Stoppkurs: 22,00 Euro

Index-Zertifikat

Globaler Mix

Als Investment geeignet ist das Solactive Hydrogen Top Selection Zertifikat von Vontobel. Es umfasst global 15 Unternehmen, die in dem Sektor führend sind. Die Titel sind gleichgewichtet. Halbjährlich wird die Zusammensetzung geprüft. Nordamerika hat 67, Europa 33 Prozent Gewicht. Bekannte Titel sind Ballard Power, Plug Power und Nel. Es gibt ein Währungsrisiko. Nur für risikobereite Anleger, die hohe Schwankungen ertragen.