Seit Monaten verlangt die Börse dem Nervenkostüm der Anleger einiges ab. Im Zuge der Corona-Pandemie erlebten die Märkte extreme Kursschwankungen. Stress im positiven Sinne löst diese Konstellation bei den Tradern aus. Gerade wenn die allgemeine Hektik groß ist, kribbelt es dieser Anlegerspezies in den Fingern - im Auf und Ab der Kurse warten unzählige kurzfristige Chancen. Ein Blick in die Statistik des Deutschen Derivate Verbands (DDV) zeigt, dass die Trader zuletzt besonders aktiv waren. Der Handel mit Hebelprodukten boomt. In den ersten fünf Monaten 2020 erreichte das Volumen an den Derivatebörsen in Frankfurt und Stuttgart insgesamt 19,4 Milliarden Euro - 134 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

Die Auswahl ist groß: Gut 1,1 Millionen Hebelprodukte sind aktuell in Stuttgart notiert. Bei etwa jedem zweiten Papier handelt es sich um einen Optionsschein mit den bestimmenden Merkmalen Basispreis - im Fachjargon Strike -, Bezugsverhältnis und Verfalltermin.

Während Anleger mit einem Call-Optionsschein auf steigende Kurse setzen, gehen sie beim Put von rückläufigen Notierungen aus. Der Kurs des Optionsscheins setzt sich aus dem Zeit- sowie einem inneren Wert zusammen. Wobei die zweitgenannte Komponente nur existiert, wenn etwa beim Call der Basiswert über dem Strike steht. In diesem Fall bewegt sich der Schein "im Geld". Gleiches gilt für den Put, sobald das zugrunde liegende Asset den Basispreis unterbietet.

Derweil kommt der Zeitwert einer Art Prämie gleich. Der Anleger bezahlt damit die Chance, dass seine Wette aufgeht respektive der Optionsschein am Stichtag im Geld notiert. Neben der verbleibenden Restlaufzeit nimmt vor allem die implizite Volatilität Einfluss auf diese Preiskomponente. Dabei gilt: Je heftiger die Kurse ausschlagen, desto höher der Zeitwert - und umgekehrt. Dieser Zusammenhang geht darauf zurück, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Entwicklung in die gewünschte Richtung mit der Volatilität zunimmt. Anders ausgedrückt: Ein stagnierender Basiswert droht das Ziel in Form der Über- oder Unterschreitung des Strikes zu verpassen.

Wetten auf solide Zahlen

Nur aus dem Zeitwert besteht der aktuelle Kurs eines Call-Optionsscheins auf Apple. Mit 400 US-Dollar liegt der Strike des in der Box rechts aufgeführten Produkts gut vier Prozent über dem Aktienkurs des Basiswertes. Angesichts der Rally im US-Technologiesegment scheint es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Apple-Aktie die nächste runde Marke durchbricht. Am 30. Juli könnte der iPhone-Hersteller für einen Schub sorgen. Dann präsentiert Apple die Zahlen für das dritte Quartal der Fiskalperiode 2019/20 (per 30. September). Da die Kalifornier wegen Corona keine Prognose für das abgelaufene Vierteljahr vorgelegt haben, ist das Enttäuschungspotenzial nicht besonders groß. Gleiches gilt für Adidas, nachdem der Sportartikelkonzern einen ziemlich düsteren Ausblick auf das zweite Quartal abgegeben hatte. Vorstandschef Kasper Rorsted rechnet für den Zeitraum April bis Juni mit einem Umsatzrückgang von 40 Prozent sowie einem negativen Betriebsergebnis. An dieser Prognose hielt der Däne fest, obwohl Adidas in China mittlerweile in die Wachstumsspur zurückgekehrt ist. Mit einem Call der UBS können sich Trader vor der für den 6. August geplanten Zahlenvorlage bei dem DAX-Konzern positionieren.

Optionsscheine sind nicht zwangsläufig auf steigende oder fallende Kurse angewiesen. Zu den exotischen Ausführungen zählen die Inliner. Mit ihnen können Anleger auf eine seitwärts laufende Kursentwicklung wetten. Solange der Basiswert weder eine obere Kursgrenze durchbricht noch die untere reißt, zahlt der Emittent den Höchstbetrag aus. Andernfalls gehen Produktinhaber leer aus. Es handelt sich also um hochspekulative Instrumente.


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Ein Korridor für den Euro

Seit Längerem befindet sich das Währungspaar EUR/USD in einer übergeordneten Seitwärtsbewegung. Bleibt es bei dieser Konstellation, könnte ein Inline-Optionsschein der Société Générale seine Wirkung entfalten. Die mit dem Derivatefundus der Commerzbank gestärkte Emittentin schränkt den Spielraum des Duos auf eine von 1,08 bis 1,17 US-Dollar reichende Spanne ein. Die Einheitswährung muss bis zum 16. Oktober innerhalb dieser Grenzen bleiben, damit die Société Générale eine Woche später den Höchstbetrag von zehn Euro überweist. Zum aktuellen Briefkurs errechnet sich eine mit dem Risiko des Totalverlusts einhergehende Gewinnchance von 50 Prozent.

Neben der gezielten Spekulation kommen Optionsscheine für die Depotabsicherung zum Einsatz. Wer beispielsweise in deutschen Standardwerten positioniert ist, kann sich mithilfe von DAX-Puts für eine Korrektur wappnen. Sollte eine zweite Corona-Welle die Kurse auf Talfahrt schicken, würde ein steigender Optionsschein die Verluste aus den Aktienpositionen kompensieren. Umfang und Kosten dieser im Fachjargon als Hedge bezeichneten Strategie lassen sich über den Strike sowie die Laufzeit steuern.

Ab einen DAX-Stand von 11 000 Punkten würde die Absicherung mit dem Put-Optionsschein der Citigroup per Mitte Dezember greifen. Um beispielsweise ein 100 000 Euro schweres Depot über diesen Schein abzusichern, sind gerundet 781 Stück des Hebelpapiers erforderlich. Zur Ermittlung dieser Anzahl wurde der Quotient aus Portfoliowert und DAX-Stand (100 000 Euro/12 800 Punkte) gebildet und anschließend durch das Bezugsverhältnis (0,01) dividiert. Die Lücke zwischen Indexniveau und Strike kommt einer Art Eigenbeteiligung gleich. Geschmälert wird der Absicherungseffekt überdies durch das in den Put eingepreiste Aufgeld.

Hedging-Strategien sind grundsätzlich auch mit Knock-outs, der zweiten großen Gattung der Hebelprodukte möglich. Allerdings kann hier eine laufende oder einmalige Anpassung erforderlich sein, falls das eingesetzte Derivat zu früh verfällt. Die K.-o.-Schwelle ist der zentrale Unterschied zum Optionsschein. Sobald der Basiswert diese auch als Stop Loss bezeichnete Marke erreicht, endet die Laufzeit vorzeitig. Dieser Mechanismus geht auf die Bauweise des Knock-outs zurück. Der Hebeleffekt entsteht hier durch einen geringeren Kapitaleinsatz. Obwohl der Trader beispielsweise bei einer Aktie nur einen Bruchteil von deren Wert einsetzen muss, partizipiert er vollumfänglich an ihrer Entwicklung. Da die Emittenten dem Anleger also Kapital zur Verfügung stellen, fallen Finanzierungskosten an. Sie werden fortlaufend in den Kurs eingepreist.

Knock-outs werden mit einer begrenzten Laufzeit oder im Open-End-Format angeboten. Ein weiteres Differenzierungsmerkmal sind Stop Loss und Finanzierungslevel - sie können identisch sein, aber auch voneinander abweichen. Für alle Varianten gilt: Anders als beim klassischen Optionsschein spielt die Volatilität eine eher untergeordnete Rolle.

Einen ziemlichen Zickzackkurs erlebte die Lufthansa zuletzt. Nachdem das staatliche Rettungspaket der Airline zwischenzeitlich Auftrieb gab, ist die Aktie nun wieder mit einer reduzierten Flughöhe unterwegs. BÖRSE ONLINE rechnet damit, dass der Kursverfall weitergeht und stuft die Lufthansa mit "Verkaufen" ein (siehe Heft 27/2020). Zu dieser Einschätzung passt ein Turbo Bear der HVB. Das Mitte September fällige Derivat münzt fallende Notierungen mit einem Hebel von aktuell 4,9 in Gewinne um. Mit 10,30 Euro liegen Basispreis und Stop Loss deutlich über dem aktuellen Kurs. Gleichwohl drohen stattliche Verluste, falls die Kranichaktie nach oben drehen sollte.

Mit einem Fuß in der Tür

Zu den K.-o.-Papieren ohne Laufzeitbegrenzung zählt der Mini-Future. Mit einer Long-Variante lässt sich auf eine mögliche Übernahme von ProSiebenSat.1 spekulieren. In der Aktionärsstruktur des TV-Konzerns gärt es: Die italienische Mediaset hält knapp neun Prozent der Aktien, während sich der tschechische Investor Daniel Kretinsky mit annähernd einem Zehntel eingekauft hat. Darüber hinaus mischen der US-Finanzinvestor KKR, der norwegische Staat sowie die Credit Suisse mit größeren Aktien- oder Optionspaketen mit. Diese Gemengelage spricht insgesamt dafür, über den Mini-Future einen Fuß in die Tür zu stellen und dann der weiteren Dinge zu harren. Wegen der Open-End-Struktur kann das Timing vernachlässigt werden. Allerdings sollte die Medienaktie nicht zu stark unter Druck geraten. Denn sobald sie den Knock-out erreicht, ist die Wette Geschichte, und Anleger müssen sich mit einem kleinen Restwert begnügen.

Übrigens: Die Emittenten machen Anlegern den Einsatz von Call, Put und Co mit Tradingaktionen schmackhaft. Ihre Produkte können dann bei bestimmten Brokern entgeltfrei geordert werden. Aktell sind etwa Société Générale und Comdirect sowie das Duo Citi/Consors gemeinsam am Start.