BÖRSE ONLINE: Herr Felsenheimer, 2018 haben der DAX und europäische Leitindizes deutlich verloren. Für 2019 prognostizieren einige deutsche Banken wieder steigende Kurse. Teilen Sie den Optimismus?

Jochen Felsenheimer: Nein. Ich fürchte, dass wir erst einen Teil der Korrektur gesehen haben und dass sich die Abwärtstendenzen noch beschleunigen beziehungsweise die Schwankungen zunehmen. Zehn Prozent VDAX, das werden wir in diesem Jahr nicht erleben. Wir sind in einem neuen Volatilitätsregime angekommen.

Weil das globale Wirtschaftswachstum geringer ausfallen wird?

Das hat sicherlich einen Einfluss, ist aber nicht der entscheidende Punkt. Dem deutschen Leitindex ist es relativ egal, ob die Weltwirtschaft um drei oder nur um 2,7 Prozent zulegt. In erster Linie hängt die Kursentwicklung an den Aktienmärkten von Geldströmen ab.

Diese fließen künftig weniger?

Ja, wir beobachten in fast allen großen Volkswirtschaften die Tendenz, die Phase des billigen Geldes zu beenden. Der dramatische Anstieg der Aktienmärkte in den vergangenen Jahren hatte ja keine fundamentalen Gründe, sondern ist im Wesentlichen auf das Eingreifen der Europäischen Zentralbank (EZB) in den Markt zurückzuführen. Das billige Geld hat zu einer Inflationierung der Vermögenswerte geführt. Es war völlig klar, dass bei einer Normalisierung der Geldpolitik die Kurse wieder sinken werden. So weit sind wir im Gegensatz zu den USA in Europa aber noch gar nicht, es genügt schon die Ankündigung eines nahenden Ende des billigen Geldes.

Sind denn die Probleme nicht gelöst, welche die Notenbanken zum massiven Eingreifen in die Märkte motiviert haben?

Die EZB hat den Euro nicht gerettet. Die strukturellen Probleme in vielen Ländern bestehen weiter, die Verschuldung in den südeuropäischen Staaten ist sogar gestiegen. Auch der Bankensektor in einigen Ländern ist heute genauso kaputt, wie er es schon vor acht Jahren war. So haben italienische Banken immer noch 150 Milliarden Euro an faulen Krediten in den Büchern. Zieht sich die EZB zurück, werden die vielen Bau- und Schwachstellen in der Eurozone wieder sichtbar.

Es wurden aber auch die Eigenkapitalvorschriften für Banken erhöht. Reduziert dies nicht die Gefahren?

Im Bankensektor ist eine Finanzkrise weniger wahrscheinlich geworden. Allerdings ist das Kreditrisiko mittlerweile auf die Vermögensverwalter übergegangen. Sie wurden durch die Niedrigzinspolitik der EZB gezwungen, in risikoreichere Anlagen zu investieren. Doch bei den Asset-Managern, aber auch bei Exchange Traded Funds, gibt es keine Eigenkapitalregelungen. Das Risiko eines Überspringens einer Finanzkrise von den Asset-Managern auf die reale Wirtschaft ist weiterhin gegeben.

Können negative politische Entwicklungen zusätzliche Schwankungen an den Märkten auslösen?

Ein harter Brexit - und danach sieht es bislang aus - ist sicherlich noch nicht voll in den Kursen eingepreist. Zudem können bei den Europa-Wahlen im Mai populistische Parteien deutlich zulegen. Die Fliehkräfte in der Europäischen Gemeinschaft drohen dann stärker zu werden, was wiederum ausländische Investoren davon abhalten würde, sich zu engagieren. Die Wirtschaftspolitik populistischer Parteien ist eher wachstumsfeindlich als wachstumsfreundlich ausgerichtet. Sollten sich jedoch diese Unsicherheiten positiv auflösen, können die optimistischen Prognosen der Bankanalysten eintreffen. Ich mag daran aber nicht so recht glauben.

Ist der Stimmenzuwachs für populistische Parteien eine Folge der Finanzkrise beziehungsweise eine Reaktion auf die Maßnahmen, um diese in den Griff zu bekommen?

Die Einkommensunterschiede wurden sicherlich erhöht. Ein Hartz-IV-Empfänger hat nun mal kein fettes Aktienportfolio. Er profitiert nicht davon, wenn die EZB die Zinsen senkt. Und steigende Ungleichheit stärkt populistische Parteien.

Die Anleiherenditen sind zuletzt zwar ein wenig gestiegen, dennoch werfen sichere Zinspapiere nach wie vor nicht viel ab. Sind unabhängig von rückläufigen Geldströmen Aktien nicht doch die bessere Alternative?

Seit den 90er-Jahren schaue ich mir die Märkte an, seither wird immer wieder argumentiert, Aktien seien das probate Mittel zur Altersvorsorge. Auch Anfang vorigen Jahres wurde zum Kauf von Aktien mit den Argumenten aufgerufen: Es gebe nur wenige Störfaktoren, die Wirtschaft sei auf einem soliden Wachstumspfad, zudem falle die Dividendenrendite höher aus als die zehnjähriger Staatsanleihen. 2018 haben Anleger jedoch auf der Fixed-Income-Seite Geld gewonnen, mit Aktien viel Geld verloren. Das kann auch 2019 der Fall sein.

Fed-Chef Jeremy Powell sieht die US-Wirtschaft in einem guten Zustand. Sollten sich die Aussichten wieder verschlechtern, will er alle geldpolitischen Instrumente einsetzen. Beruhigt das nervöse Anleger?

Zunächst einmal ist die Aussage glaubwürdiger, da die US-Notenbank die Zinsen ja schon mehrfach erhöht hat und so im Gegensatz zur EZB wieder über Spielräume verfügt, die Konjunktur zu beleben. Meiner Ansicht wäre es jedoch fatal, wenn sie es täte. Denn wir haben ja schon eine sehr expansive Fiskalpolitik in den USA. Kommt da eine expansive Geldpolitik hinzu, dürfte die US-Wirtschaft überhitzen. Wir setzen immer mehr wirtschaftspolitische Munition ein, um ein klein bisschen reales Wachstum zu generieren. Doch dieser Trend wird sich nicht unendlich fortsetzen lassen.

Zur Person: Jochen Felsenheimer ist Geschäftsführer der Münchner Xaia Investment GmbH. Bevor er im Jahr 2009 Xaia mitbegründete, leitete der promovierte Volkswirt das globale Credit Strategy Research bei der UniCredit Group.