BÖRSE ONLINE: Nach den Kursstürzen bei Wirecard um bis zu 30 Prozent haben gerade Privatanleger die Aussetzung des Handels bei derart heftigen, von Gerüchten getriebenen Turbulenzen eines DAX-Werts gefordert. Warum haben Sie das nicht gemacht?


CORD GEBHARDT: Eine Handelsaussetzung ist ein hoheitlicher Eingriff in den Börsenhandel und eben keine betriebswirtschaftliche Maßnahme, um unerwünschte Preisentwicklungen zu verhindern. Sie kommt nur infrage, wenn die Ordnungsmäßigkeit des Börsenhandels gefährdet erscheint. Das ist nicht automatisch bei Schwankungen gegeben, selbst wenn sie erheblich sind. Und selbst wenn die Börse den Handel aussetzt, würde die Handelsaktivität keineswegs gestoppt, sondern sich auf unregulierte Handelsplätze verlagern. Das würde zu Intransparenz und weiterer Unsicherheit führen - insbesondere bei Privatanlegern, die dort keinen Zugang haben - und einen Verkaufsdruck womöglich verstärken.

Und wann setzen Sie den Handel aus?


Wichtigster praktischer Fall für eine Aussetzung ist ein Informationsungleichgewicht im Markt. Gemeint sind damit nicht bloße Marktgerüchte, sondern konkrete, objektive Anhaltspunkte, etwa eine Ad-hoc-Mitteilung. Dagegen reicht es für eine Aussetzung nicht aus, dass offenbar erhebliche Teile des Markts eine Aktie veräußern. Dafür gibt es etablierte Schutzmechanismen wie die Volatilitätsunterbrechung, die es auch bei den Wirecard--Turbulenzen gab.

Was ist der Unterschied zur Aussetzung?


Diese Unterbrechung entschleunigt den Handel bei starken Preissprüngen durch den Wechsel in eine Auktion. Das gibt Zeit zur Orientierung und verhindert, dass der Markt ungebremst in eine Richtung läuft. Marktteilnehmer können weiter ihre Orders eingeben. Und es wird fortlaufend ein aktueller Preis angezeigt. Die Folgen der Situation bleiben kalkulierbar.

Wie bewerten Sie eigentlich Kursabstürze eines DAX-Wertes wie Wirecard aufgrund von Spekulationen und vagen Betrugsvorwürfen?


Als neutraler Börsenbetreiber bewerten wir keine Preisentwicklung von Wertpapieren. Die durch das Gesetz definierte Aufgabe einer Börse besteht vor allem darin, einen ordnungsgemäßen Handel zu organisieren und dafür eine effiziente Intrastruktur bereitzustellen.

Stellen derart starke Schwankungen eines DAX-Wertes wie bei Wirecard nicht auch ein Imagerisiko für den deutschen Leitindex und für den Finanzplatz Deutschland dar?


Bei starken Marktbewegungen ist vor allem eines gefragt: Verlässlichkeit durch Aufrechterhaltung eines fairen, transparenten und überwachten Marktes. Aus gutem Grund sind die Wertpapierbörsen in Deutschland öffentlich-rechtliche Institutionen, die streng reguliert sind. Und auch die Zusammensetzung des DAX-Index erfolgt nach transparenten Kriterien.