BÖRSE ONLINE: Die Wirecard-Aktie ist nach Betrugsvorwürfen steil abgestürzt, die Diskussion über Konsequenzen aus diesem Vorgang ist voll entbrannt: Die Aktionärsvereinigung DSW fordert strengere Börsenregeln, die Deutsche Börse sieht keinen Handlungsbedarf. Wie bewertet das Deutsche Aktieninstitut, das sich ja als Hüterin des Finanzplatzes Deutschland versteht, den Vorgang bei Wirecard?
Christine Bortenlänger: Der Fall Wirecard zeigt wieder einmal, dass der Kurs einer Aktie ohne eigenes Zutun des betroffenen Unternehmens durch das Verbreiten von Gerüchten und falschen Fakten ohne fundamentalen Grund nach unten gezogen werden kann.

BÖRSE ONLINE: Und wie reagiert man auf eine solche Attacke?
Christine Bortenlänger: Wichtig ist, dass die Aufsichtsbehörden die wahren Verursacher der Marktmanipulation unverzüglich aufspüren und das Fehlverhalten empfindlich sanktionieren. Hierzu bedarf es einer engen Zusammenarbeit der Finanzaufsicht Bafin und der Staatsanwaltschaft, gegebenenfalls auch grenzüberschreitend mit den ausländischen Aufsichtsbehörden. Hartes Sanktionieren wird hier eine abschreckende Wirkung erzielen.

BÖRSE ONLINE: Müssen auch strengere Börsenregeln her, beispielsweise eine vorübergehende Aussetzung des Handels einer betroffenen Aktie? Oder ein vorübergehender Ausschluss aus einem Index wie dem DAX?
Christine Bortenlänger: Nein. Ich sehe bei solchen Vorgängen keinen Grund, eine Aktie beispielsweise kurzfristig aus dem Index zu nehmen, denn damit würde man die Masse der rechtschaffenen Aktionäre zusätzlich schädigen. Das kann nicht gewollt sein, denn man würde die Leidtragenden und nicht die Verursacher bestrafen. Die Deutsche Börse hat nicht ohne Grund die Indexrevisionen auf wenige Tage im Jahr, beim DAX sogar nur auf einen Tag im Jahr beschränkt.

BÖRSE ONLINE: Hätte man den Handel bei Wirecard nicht vorübergehend aussetzen sollen, wie es die DSW jetzt fordert?
Christine Bortenlänger: Mit Aussetzungen sollte man sehr vorsichtig umgehen, schließlich ist die Börse zum Handeln da. Nach den Regeln der Deutschen Börse soll eine Aussetzung auch nur stattfinden, wenn ein ordnungsgemäßer Handel nicht gewährleistet ist - und mit dem Ziel, dass sich alle Teilnehmer auf den aktuellen Informationsstand bringen können. Aussetzung ist also eine zweischneidige Sache und vor allem verteilungsrelevant.

BÖRSE ONLINE: Inwiefern?
Christine Bortenlänger: Wenn ein Anleger daran gehindert wird, zu einem um 25 Prozent gesunkenen Kurs zu verkaufen, und der Handel erst bei 50 Prozent Abschlag wieder eröffnet, ist er sicher sauer. Wer aber als Käufer gehindert wird, bei minus 25 Prozent zu kaufen und erst bei minus 50 Prozent kaufen kann, ist eher dankbar für die Aussetzung. Wer von beiden ist schützenswert? Und umgekehrt sieht es aus, wenn der Kurs sich wieder erholt: Der verhinderte Verkäufer ist dankbar für die Aussetzung, der verhinderte Käufer verärgert. Weder die Börsengeschäftsführung noch sonst jemand kann aber voraussehen, ob der Kurs nach Aussetzung weiter absackt oder sich stabilisiert. Das Einzige, was die Börse da meines Erachtens machen kann, ist die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit des Börsenhandels zu beurteilen. Da hat man bei Wirecard offensichtlich keinen Anlass zum Eingreifen gesehen.

BÖRSE ONLINE: Was raten Sie Anlegern, die in solche Kursturbulenzen geraten wie bei Wirecard?
Christine Bortenlänger: Den Anlegern kann man nur raten, Ruhe zu bewahren. In der Regel werden manipulativ verursachte Kursrückschläge schnell wieder aufgeholt. Es wird auch Anleger geben, die besonders starke Nerven haben, und einen solchen Vorgang auch zur Aufstockung ihres Depots nutzen. Oder solche, die regelmäßig sparen und genau so einen Tag zufällig erwischen. Die haben dann Glück gehabt.