Der FC Bayern München hat fast so etwas wie ein Abonnement auf den Titel des Deutschen Fußballmeisters. In der Welt der Zinsen gibt es ein Pendant: Christoph Rieger. Der Zinsexperte der Commerzbank holt nun schon das vierte Mal in Folge den Titel "Zinsexperte des Jahres".

Um den Titel zu gewinnen, müssen zwölf Experten jeden Monat für zwei Größen - den Euribor für drei Monate und die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen - Prognosen abgeben. Jeweils drei unterschiedliche Termine fragt €uro dabei ab. Erstmals wurde dabei in der Auswertung die Renditeprognose höher gewichtet als der Euribor. Grund: Die Schwankungen beim Euribor sind verschwindend gering, die Prognosen unterscheiden sich allenfalls um Nuancen. Bei der Rendite der Bundesanleihen ist dagegen die Schwankungsbreite höher und so auch die Prognosequalität wichtiger. Dass der 48 Jahre alte zweifache Vater gesiegt hat, liegt daran, dass er gleich zu Beginn des Jahres mit 0,50 Prozent die niedrigste Prognose abgegeben hatte.

Im Durchschnitt lagen die Schätzungen da bei 0,87 Prozent, die höchste gar bei 1,50 Prozent. Mitte des Jahres stiegen die Prognosen an, mit 0,80 Prozent aber gab Rieger immer noch die niedrigste ab (Schnitt 1,03 Prozent).

Am Ende des Jahres lag die Rendite bei 0,16 Prozent. Der Börsencrash im Dezember trieb Investoren in den sicheren Hafen Bundesanleihen und sorgte so für steigende Kurse und spiegelbildlich fallende Renditen. Damit hat Rieger erneut den richtigen Riecher gehabt. Im nachfolgenden Interview gibt der "Zinsexperte des Jahres" einen Ausblick auf 2019.



Auf Seite 2: Interview mit Christoph Rieger





Interview mit Christoph Rieger



€uro: Herr Rieger, Glückwunsch zum vierten Titel in Folge als "Zinsexperte des Jahres". Sie dominieren den Wettbewerb ja wie Bayern München die Bundesliga …


Christoph Rieger: … obwohl mein Fußballherz für den 1. FC Köln schlägt und Borussia Dortmund in diesem Jahr die Meisterschaft holt.

Welches ist Ihr Erfolgsrezept?


Ich habe ein gutes Team (meine Kollegen meinen übrigens, dass Eintracht Frankfurt den Europapokal holt). Und ich setzte darauf, dass Zinsen und Renditen nicht so stark steigen wie allgemein erwartet.

Bleibt das auch in diesem Jahr so?


Ja. Die Renditen am Euro-Anleihemarkt dürften vor allem in den Kernländern auf absehbare Zeit sehr niedrig bleiben. Ein begrenztes Angebot an sicheren Euro-Anlagen trifft angesichts vieler politischer und wirtschaftlicher Risiken sowie regulatorischer Anforderungen auf eine hohe Nachfrage.

Hohe Nachfrage? Die Europäische Zentralbank (EZB) hat doch ihr Bonds-Kaufprogramm (Quantitative Easing; QE) gerade erst beendet.


Auch wenn die EZB in ihrem QE-Programm seit Anfang des Jahres netto keine Anleihen mehr kauft, bleibt ihr Einfluss an den Anleihemärkten massiv.

Wieso?


Das Anleihe-Portfolio der EZB umfasst 2,6 Billionen Euro. Läuft eine Anleihe aus, reinvestiert die Zentralbank das Geld an den Märkten wieder.

Und was macht sie bei den Zinsen?


Eine Zinswende ist weiter nicht in Sicht. Die EZB-Zinsen dürften am Jahresende genau da stehen, wo sie heute sind. Das heißt, der wichtigste Leitzins, der Einlagensatz, wird wohl bei minus 0,4 Prozent weiter tief negativ bleiben.

Das bedeutet?


Geschäftsbanken müssen der EZB Zinsen zahlen, wenn sie dort Geld parken.

Dann bleibt bei den Renditen der Bundesanleihen alles beim Alten?


Ähnlich wie im vergangenen Jahr erwarte ich, dass die Rendite bei den zehnjährigen Bundesanleihen in einer Bandbreite von 0,00 bis 0,75 Prozent liegen wird.

Warum hält sich die EZB so bedeckt? Konjunktursorgen?


Ja, das auch. Zudem gibt es aktuell viele Krisenherde. Die fünf großen Risiken für das 2019 sind: der Handelsstreit, das Platzen der Kreditblase in China, ein ungeordneter Brexit, ein Käuferstreik in Italien und politische Risiken in der EU rund um die Europawahl und die Besetzung wichtiger neuer Posten, wie etwa in der EU-Kommission und der EZB.

Trifft das die deutsche Wirtschaft?


Die Wachstumsdynamik der vergangenen Jahre hat bereits nachgelassen, sowohl global als auch in Deutschland. Die Konjunktursorgen, die aktuell am Markt um sich greifen, erscheinen mir jedoch überzogen.

Inwiefern?


Das Wachstum wird zwar nachlassen, aber dank robuster Inlandsnachfrage wird es in diesem Winter keine Rezession geben. Im Verlauf des Jahres bekommt die deutsche Wirtschaft dann wieder mehr Schwung, der Export profitiert von der expansiven EZB-Geldpolitik und den Konjunkturmaßnahmen in China. Die Beschäftigung könnte auf neue Rekordniveaus steigen, die Arbeitslosenquote bis auf fünf Prozent sinken. Eine Gefahr gibt es aber …

Welche?


Ein ungeordneter Brexit ohne Austrittsabkommen würde viele unserer makro-ökonomischen Annahmen infrage stellen, da Produktionsketten und Absatzwege auf vielschichtige Weise beeinträchtigt würden. Wir gehen allerdings davon aus, dass eine Übergangsphase vereinbart wird und es schließlich eine gütliche Einigung gibt.

Wichtig ist aber auch, was in den USA passiert, der mit Abstand größten Volkswirtschaft der Welt.


Dort wird sich die Wachstumsdynamik abschwächen, weil der Impuls von Trumps Steuermaßnahmen ausläuft und die Geldpolitik der dortigen Notenbank Fed anders als in Euroland kaum noch expansiv ist.

Droht in den USA eine Rezession?


Nein. Die Wachstumsraten dürften zum Jahresende allerdings unter zwei Prozent fallen.

Einige Marktteilnehmer gehen davon aus, dass es bei US-Staatsanleihen zu einer inversen Zinskurve kommt, also kurz laufende Bonds höher rentieren als Langläufer.


Mitte 2019 könnte es so weit sein, ja.

In der Vergangenheit war solch eine Zinskurve ein guter Indikator für eine bevorstehende Rezession …


Stimmt. Aber es gibt einen großen Unterschied: Die sogenannte Laufzeitenprämie am langen Ende wird durch die globalen Niedrigzinsen "künstlich" niedrig gehalten. Die Kurve ist dadurch flacher als normal und verliert so ihre Prognosequalität früherer Zeiten.

Das bedeutet für die US-Leitzinsen?


Nach den jüngsten Zinsanhebungen wird die Fed den Autopiloten ausschalten und auf Sicht fliegen. Wir rechnen angesichts der gestiegenen Unsicherheit mit einer Pause der Zinserhöhungen im ersten Quartal. Im Juni und September sollte sie die Zinsen dann weiter bis auf drei Prozent anheben. Womit dann auch das Ende des Zinserhöhungszyklus erreicht ist.

Was bedeutet das für den Dollar?


Die Phase der Dollarstärke ist vorbei. Zum Jahresende rechnen wir mit einer Aufwertung des Euro auf 1,22 Dollar.

Was halten Sie vom Bitcoin?


Der Hype ist zweifellos vorbei. Auch wenn man Digitalwährungen nicht abschreiben sollte, dürfte es doch angesichts der technischen Herausforderungen der Kryptowährungen eher um das Überleben von Bitcoin und Co gehen.

Und was macht das als sicherer Hafen geltende Gold im Jahr 2019?


Gold als Anlage wird wieder attraktiver werden. Das andauernde strukturelle Niedrigzinsumfeld und steigende Unsicherheit eröffnen dem Goldpreis ein Potenzial bis auf 1500 Dollar.

Auf Seite 3: Tendenz steigend





Tendenz: steigend


Die monatlich von €uro befragten Zinsexperten glauben: 2019 werden die Renditen von Bundesanleihen und die Zinsen zulegen

Im vergangenen Jahr hat Christoph Rieger von der Commerzbank die niedrigste Prognose für die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen gestellt - und ist damit "Zinsexperte des Jahres" geworden. Auch mit seiner aktuellen Schätzung von 0,50 Prozent für Ende 2019 liegt er wieder im unteren Bereich. Er wird aber noch von Carsten Klude von M.M. Warburg unterboten, der im vergangenen Jahr bei den Renditeprognosen hinter Rieger den zweiten Platz belegt hat.

Aber selbst diese beiden Experten sehen die Rendite deutlich über dem aktuellen Niveau von 0,14 Prozent. Damit scheint für die Expertenrunde festzustehen, dass die Rendite der Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit im Jahresverlauf deutlich zulegen wird. Auch bei den Zinsen am Geldmarkt (gemessen am Euribor für drei Monate) erwarten die meisten Finanzinstitute bis zum Jahresende einen Anstieg.