Irrtum Nummer 1 lautet: Negative Zinsen gab es noch nie, und deshalb sei das aktuelle Umfeld für alle Marktakteure ein unbekanntes Terrain. Zugegebenermaßen ist es historisch betrachtet selten, dass Sparer für die Verwahrung ihres Geldes draufzahlen müssen. Aber es gibt ein Beispiel: Ende 1931, inmitten von Wirtschaftskrise und Deflation, führte Michael Unterguggenberger, Bürgermeister der Gemeinde Wörgl in Tirol, eine Parallelwährung ein, den Wörgler Schilling.

Das Prinzip ist bestechend: Die Geldscheine mussten jeden Monat gestempelt werden, damit sie gültig blieben. Dieses Stempeln kostete für einen Fünf-Schilling-Schein eine Gebühr von fünf Groschen - der Geldwert schrumpfte also jeden Monat um ein Prozent. Deshalb haben die Bürger das Geld nicht mehr gehortet, sondern waren bemüht, es so schnell wie möglich auszugeben, um den Stempelgebühren zu entgehen. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes stieg und durch die gesteigerten Umsätze kam die Wirtschaft in Schwung. Die Deflation wurde überwunden und die Arbeitslosigkeit ging zurück - das nannte man das "Wunder von Wörgl".

Dabei setzte der Bürgermeister ein Konzept des Volkswirts Silvio Gesell um, der heute von führenden Geldpolitikern als geistiger Vater der Negativzinsen genannt wird. Allerdings gibt es gravierende Unterschiede zur heutigen Situation. Heute haben wir annähernde Vollbeschäftigung im Euroraum und die Wirtschaftsleistung übersteigt das langfristige Produktionspotenzial. Deshalb gibt es auch keine Deflation, und zudem kann der Staat zu sehr günstigen Konditionen Schulden aufnehmen. Daher scheinen Negativzinsen nicht angemessen. Anstatt die Finanzstabilität wieder herzustellen, könnten die Negativzinsen zu einer Gefahr für die Finanzstabilität werden, unter anderem weil der Bankensektor seiner Funktion nicht mehr nachkommen kann.

Außerdem: Wenn die Zentralbank das Geld mit immer negativeren Zinsen ausstattet, werden sich die Bürger nach Alternativen für die Wertaufbewahrung umschauen. Sie könnten beispielsweise Geldscheine in den Tresor legen, statt der Bank Negativzinsen zu zahlen.

Es wäre aber ohnehin unvernünftig, das Geld in den Tresor zu legen, und damit zum zweiten Irrtum: Mit Anleihen lassen sich keine Erträge mehr erwirtschaften. Denn das kann man durchaus, wenn man vier Regeln beachtet. Die erste Regel: investiert bleiben - und keine Angst vor der Zinsbindung! Solange die Renditen fallen, steigen auch die Kurse festverzinslicher Anleihen.

Die zweite Regel lautet: Roll-Ertrag anstreben! In der Eurozone haben wir eine steile Zinskurve. Das bedeutet: Lang laufende Anleihen haben eine höhere Rendite als kurz laufende Anleihen. Wer eine zehnjährige Anleihe kauft und ein Jahr wartet, wird einen Kursgewinn erzielen, denn die Rendite dieser Anleihe wird in diesem Zeitraum wahrscheinlich sinken. Mit dem Gewinn kann man dann eine neue zehnjährige Anleihe erwerben.

Mit Anleihen Renditen von mehr als sieben Prozent erzielen


Die dritte Regel lautet: faule Äpfel aussortieren! Man braucht Experten mit viel Erfahrung, um Schuldenprofile von Staaten und Unternehmen analysieren zu können. Die Pleite des Möbelkonzerns Steinhoff vor zwei Jahren und jetzt der Thomas-Cook-Bankrott hat Union Investment nicht betroffen, weil die entsprechenden Anleihen schon Monate zuvor veräußert wurden - beide Insolvenzen hatten sich abgezeichnet.

Die vierte Regel ist: über den Tellerrand blicken! Die weltweiten Obliga­tionsmärkte bieten immer attraktive Gelegenheiten, auch bei negativen Zinsen in den Kernmärkten: Anleihen aus den Peripheriestaaten der Eurozone sind nach dem großzügigen Abschiedsgeschenk einer weiteren Einlagezinssenkung von Ex-EZB-Chef Mario Draghi ­sicherlich attraktiv, aber es gibt noch viele andere interessante Märkte - beispielsweise Nachranganleihen europäischer Industrieunternehmen, Verbriefungen von Unternehmenskrediten oder Anleihen aus Schwellenländern.

Durch das Beherzigen dieser vier einfachen Regeln ließen sich 2019 durchaus Renditen von sieben bis elf Prozent erzielen. Denn Nullzinsen heißt nicht null Ertrag!

Kurzvita

Christian Kopf
Leiter Rentenfondsmanagement bei Union Investment
Kopf leitet seit 2017 das Rentenfondsmanagement von Union Investment mit mehr als 50 Mitarbeitern und gut 60 Milliarden Euro an Kundengeldern. Er ist eines von sechs Mitgliedern des Union Investment Committee (UIC). Das UIC formuliert auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment und setzt damit die Leitplanken für die ­taktische Steuerung der Fonds durch die einzelnen Portfoliomanager.