China Die Aufhebung der Corona-Restriktionen schürt Hoffnungen auf die Erholung der Wirtschaft Chinas. Für Börsianer ist es eine chancenreiche, aber gewagte Anlage. Von Emmeran Eder

An den Flughäfen in Peking und Shanghai gibt es lange Schlangen vor den Schaltern. Die Chinesen dürfen wieder ins Ausland reisen, nachdem die strikten Covid-Maßnahmen aufgehoben wurden. Und das tun sie auch, nachdem sie lange in ihrem Land quasi eingeschlossen waren. "Die Bereitschaft zu reisen, ist bei den Chinesen schnell zurückgekehrt", sagt Chen Xin, Analyst für Freizeit und Transport beim Finanzinstitut UBS Securities.

Besonders davon profitieren dürfte Hongkong. Viele Festlandchinesen machen gerne Ausflüge in die ehemalige Kronkolonie und geben dort beim Shopping viel Geld aus. 4,5 Prozent des BIP der Stadt macht das aus. Aber auch andersherum ist das Reisen wieder einfach. Bei der Einreise nach Festlandchina werden keine Quarantäne-Maßnahmen mehr durchgeführt. Nur ein aktueller Corona-Test ist noch erforderlich. Allerdings hält die derzeitige Viruslage noch viele Touristen davon ab, nach China zu fliegen.

Das dürfte auch einer der Gründe sein, warum der Hongkonger Aktienindex Hang Seng seit Ende Oktober mit einem Plus von 40 Prozent eine kräftige Rally hingelegt hat, während der in Shanghai und Shenzhen ermittelte CSI-300-Aktienindex im selben Zeitraum nur um zwölf Prozent zugelegt hat. Andere Ursachen dafür sind, dass der Kapitalmarkt in Hongkong liquider und transparenter ist, weshalb viele ausländische Investoren, die auf eine Erholung in China setzen, ihr Geld dort angelegt haben.

Die Aufhebung der Reisebeschränkungen sind aber nicht der einzige Grund, warum Anleger wieder zuversichtlicher für das Reich der Mitte werden. Hinzu kommt, dass die zuletzt immer strikter gehandhabte Regulierung der Technologiebranche offenbar gelockert wird. "Das Schlimmste dürfte vorbei sein", meint die US-Investmentbank Goldman Sachs in einer Einschätzung zu dem Sektor (s. S. 46). Das sehen auch Börsianer so. Der Branchenindex China Tech Share ist seit Anfang November um 60 Prozent geklettert.

China: Regulatorisches Umfeld bessert sich

Trotzdem haben Goldman Sachs und Morgan Stanley ihre Prognosen für chinesische Tech-Titel angehoben, weil sie von einer Normalisierung des regulatorischen Umfelds und einer schnellen Erholung der Wirtschaft nach der Wiedereröffnung des Landes ausgehen. Auch ein drohendes Delisting chinesischer Unternehmen von der New Yorker Börse ist nicht mehr so virulent, wie es vor ein paar Wochen noch schien. Inspektoren der US-Börsenaufsicht erhielten jüngst den geforderten Einblick in die Bücher chinesischer Firmen.

Goldman Sachs rechnet daher mit einem BIP-Wachstum von 4,5 Prozent für 2023, Morgan Stanley sogar von gut fünf Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet dagegen nur 4,4 Prozent. Ob die optimistischeren Prognosen eintreffen, hängt nicht zuletzt von der politischen Lage ab.

Zuletzt haben die Spannungen zwischen den USA und dem Reich der Mitte wieder nachgelassen. "China hat zudem erkannt, dass es sich es mit zu vielen wichtigen Handelspartnern gleichzeitig verscherzt hat", sagt Jean-Pierre Cabestan, China-Spezialist an der Baptist Universität in Hongkong.

Zudem rechnen viele politische Beobachter damit, dass Staatspräsident Xi Jinping durch den langwierigen Krieg in der Ukraine davon abgeschreckt wird, Taiwan anzugreifen.

Noch wichtiger als die internationalen Handelsbeziehungen ist für Chinas Wirtschaft der Immobilienmarkt. Der ist weiterhin schwach und wird durch das Liquiditätsrisiko und die stockenden Verkäufe belastet. Die Behörden sind sich der Risiken offenbar bewusst. Sie haben das Angebot an qualitativ hochwertigem Land erhöht und Geschäftsbanken ermutigt, Bürgschaftsschreiben an Immobilienentwickler auszustellen, damit diese Zugang zu Kapital auf eingeschränkten Treuhandkonten erhalten.

Trotz aller Gegenmaßnahmen bleibt der Häusermarkt die Achillesferse der chinesischen Wirtschaft. Sollte es hier zu einem massiven Einbruch kommen, dürften die Erholungsszenarien Makulatur bleiben. "Bisher scheint es aber so, dass die betroffenen Hypotheken nur einen kleinen Prozentsatz der Kredite im gesamten Bankensystem ausmachen", beruhigt Nicholas Yeo, China-Experte der Investmentgesellschaft Abrdn Investments.

Er sieht auch den Vorteil, dass die Kerninflation mit 1,2 Prozent im Reich der Mitte anders als in den Industrieländern niedrig ist, was der Zentralbank die Gelegenheit geben würde, mit weiteren Zinssenkungen die Wirtschaft zu stimulieren.

China-Aktien: Corona bleibt ein Risiko

Trotz aller Zuversicht bleiben Risiken. Sollte die Corona-Welle länger anhalten als von den meisten Gesundheitsexperten erwartet, könnte sich die Erholung der Ökonomie deutlich verzögern. Das würde Verbrauchern die Konsumlaune verderben und die Produktion wegen hoher Krankenstände deutlich einschränken. Im ersten Quartal rechnet Harald Oberhofer, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, mit einem Einbruch der Wirtschaft. Danach geht er aber davon aus, dass sich die Abkehr von der Null-Covid-Politik positiv auswirken sollte. Es gebe zwar viele Infektionen, aber die radikalen Lockdowns seien schlimmer und unberechenbarer gewesen.

Das sehen auch die Aktionäre so, weshalb die Börsen in Festlandchina und Hongkong angezogen haben. Trotz des Kursanstiegs sind besonders die Titel in China selbst noch günstig zu haben. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des CSI-300-Index für 2023 beträgt 11,7. Das ist die günstigste Bewertung seit 2013. Vor der Pandemie lag das KGV noch bei 18.

Die Aktienstrategen von Goldman Sachs sehen noch viel Potenzial in chinesischen Aktien. "Der Ausgangspunkt für eine Erholung ist sowohl bezüglich der Kurse als auch der Bewertung niedrig", schreiben die Anlageprofis und erwarten für dieses Jahr höhere Kurse bei Aktien aus dem Reich der Mitte.

Trotzdem sollten nur risikobereite Investoren einsteigen, da wegen Covid weiterhin viele Unwägbarkeiten bestehen. Wer sich engagiert, sollte Festlandchina übergewichten, da die Aktien in Hongkong schon gut gelaufen sind.

Dieser Text erschien zuerst in Euro am Sonntag 02/2023. Hier erhalten Sie einen Einblick ins Heft.

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