Viele Stiftungen können wegen Niedrigzinsen und Corona-Folgen ihren Zweck kaum mehr erfüllen. Welche Auswege es für die Wohltäter künftig gibt. Von Stefan Rullkötter, Euro am Sonntag

Erst kamen Mario Draghi und Christine Lagarde, dann kam Corona. Die dauerhafte Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank und die Pandemie stellen auch gemeinnützige Stiftungen vor große Herausforderungen. Weil sie ihr Stiftungsvermögen erhalten müssen und nur die jährlich erwirtschafteten Einkünfte ausgeben dürfen, bleibt vielen Organisationen derzeit nur wenig finanzieller Spielraum, um ihre wohltätigen Projekte effektiv zu fördern.

Besonders Stiftungen mit weniger als einer Million Euro Kapital haben es schwer, mit ihren Erträgen zumindest die Preissteigerung auszugleichen, hat der Bundesverband Deutscher Stiftungen (BDS) per Umfrage ermittelt. Demnach schätzten zu Jahresanfang 62 Prozent der kleinen Stiftungen, dass ihre Rendite 2019 oberhalb der Inflationsrate lag. Bei den großen Stiftungen waren es 84 Prozent. Die Fundraiser schauten somit optimistischer auf ihre Vermögensanlagen als im Vorjahr.

Doch seit Corona ist vieles anders. "Notleidend wegen der Pandemie werden muss aber keine Stiftung - selbst wenn die Erträge zumindest dieses Jahr geringer ausfallen", meint Reinhard Vennekold, Geschäftsführer der Munich Fundsraising School.

Anlagerichtlinien als Hemmnis

Weil Stiftungen in der Regel "auf Unendlichkeit" ausgerichtet sind, waren die Kursstürze sogar eher willkommene Kaufgelegenheiten. Die Buchverluste müssen nicht realisiert werden und können deshalb lange Zeit im Depot bleiben. "Viele Stiftungen müssen aber endlich ihre Anlagerichtlinien ändern - und statt der althergebrachten Staatsanleihen gute Unternehmensanleihen und Aktien in ihr Vermögensportfolio legen", fordert Vennekold.

Etwas weniger als die Hälfte der vom BDS befragten Stiftungen hat das Kapital bisher nicht außerhalb der Anleihe- und Aktienmärkte angelegt. Investieren sie doch, erfolgen die Anlagen überwiegend in Immobilien, gaben rund 40 Prozent an. Private-Equity- und Venture Capital spielen mit rund zehn Prozent eine untergeordnete Rolle.

Wird eine Stiftung als gemeinnützig anerkannt, ist sie steuerbegünstigt: Sie bietet Stiftern und Spendern Möglichkeiten, ihre Zuwendungen abgabenmindernd einzubringen. So können sie nicht nur bei Neugründung der Stiftung, sondern alle zehn Jahre erneut den Höchstbetrag von einer Million Euro für Zuwendungen in den Vermögensstock steuerlich geltend machen. Ehepaare haben die Möglichkeit, in Summe zwei Millionen Euro abzusetzen. Der Betrag lässt sich beliebig über den Zeitraum von zehn Jahren verteilen. "Weitere Erleichterungen bei gewerblichen Stiftungszweckbetrieben wären hier wünschenswert", sagt Vennekold.

Zu beachten ist: Wer Vermögen in eine gemeinnützige Stiftung einbringt, kann über das Geld nicht mehr verfügen. Ein klassisches Steuersparmodell sind solche Stiftungen daher nicht.

Zusätzlich gibt es die Möglichkeit des allgemeinen Spendenabzugs in Höhe von 20 Prozent des zu versteuernden Einkommens. Dies ist von Bedeutung, wenn zusätzliche Mittel für konkrete Projekte an die Stiftung fließen sollen. Spenden sind neben den Erträgen des Stiftungsvermögens eine wichtige Einkunftsquelle gerade für kleinere Stiftungen. Weil wegen Corona dieses Jahr zahlreiche Wohltätigkeitsveranstaltungen ausfallen, dürften diese Zusatzeinkünfte tendenziell sinken.

Verbrauchsstiftungen im Kommen

Liegt das Vermögen bei geplanten Neugründungen von "Ewigkeitsstiftungen" bei weniger als einer Million Euro, empfehlen die Aufsichtsbehörden als Alternative immer öfter eine Verbrauchsstiftung. Sie wird nur für einen bestimmten Zeitraum von mindestens zehn Jahren etabliert.

Ein Beispiel dafür ist der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden. Die eigens für diesen Zweck gegründete Stiftung gab sowohl die Erträge als auch das Stiftungsvermögen für den Wiederaufbau des Gotteshauses aus - und löste sich nach dessen baulicher Fertigstellung auf. Es besteht zudem die Möglichkeit, die spätere Umwandlung in eine Verbrauchsstiftung in die Satzung zu schreiben.

Fest steht aber, dass Stiftungen in Zukunft digitaler und globaler auftreten werden. Dafür benötigen viele Stiftungen ein zeitgemäßes Update: Sie werden sich besonders in den Bereichen Fundraising und Kommunikation professionalisieren müssen.
 


Ursula becker-Peloso, Munich Fundraising School (MFS)

"Es liegt zu viel totes Kapital herum"

Stiftungs-Management » Die Gesellschafterin des Bildungsinstituts und Beratungsunternehmens MFS über die aktuellen Herausforderungen


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€uro am Sonntag: Was raten Sie Stiftungen, die infolge der Corona-Krise Ertragausfälle haben?

Ursula Becker-Peloso: Werden nicht mehr genügend Erträge erzielt, um den Stiftungszweck zu erfüllen, sollte für die nächsten Jahre ein strategisches Fundraising aufgebaut werden. Es dauert in der Regel zwei bis vier Jahre, damit auch hier nennenswerte Einnahmen erzielt werden. Aber es ist in dem Fall für die Zukunft einer Stiftung notwendig, hier und jetzt zu agieren.

Die lange diskutierte Stiftungsrechts-Reform sollte bis Jahresende in Gesetzesform gegossen werden. Wird das trotz Corona klappen?

Die Hoffnung besteht. Es ist nicht zu befürchten, dass die Bundesregierung die Prioritäten infolge der Pandemie verschieben wird. Dennoch muss die Dringlichkeit der Reform für die Stiftungen deutlich gemacht werden, gerade jetzt.

Warum sind die Neuregelungen so wichtig?

Das gewährleistet und schafft nachhaltig bessere Bedingungen für die Stiftungsarbeit. Der Gesetzgeber könnte mit der Stiftungsreform für einheitlichere Aufsicht, klare Haftungsregeln und vor allem verbesserte Möglichkeiten der Satzungsänderung und Zusammenlegung sorgen.

Und welche Fehlentwicklungen in der Praxis sollte die Stiftungsrechts-Reform beseitigen?

In Deutschland liegen rund zehn Milliarden Euro Stiftungsgeld als totes Kapital herum, weil rund drei Viertel aller Stiftungen mit ihrem Vermögensstock von unter einer Million Euro regelmäßig keine nennenswerten Erträge für ihre gemeinnützigen Zwecke erwirtschaften. Diese werden derzeit von den Verwaltungskosten aufgefressen. Außerdem wird uns der Niedrigzins bis auf Weiteres erhalten bleiben. Für den eigentlichen Stiftungszweck fällt so nichts mehr ab.

Welche Auswege könnte die Reform eröffnen?

Kleine Stiftungen mit gleichem Satzungszweck müssen zusammengelegt werden können. Auch die Gründung von Verbrauchsstiftungen, die nur für bestimmte Zeit errichtet werden und währenddessen ihr gesamtes Vermögen zweckgebunden verbrauchen, sollte erleichtert werden.

Wie wird sich die Stiftungslandschaft verändern?

Kleinere Stiftungen werden verschwinden. Auch Vorstände, die sich ehrenamtlich um die Anlage des Stiftungskapitals kümmern, wird es nicht mehr geben. Stiftungen bleiben aber ein großer und wichtiger Bestandteil der Zivilgesellschaft.