Auch US-Landwirte kennen launige Bauern­regeln. Ein bekannter Reim zum Maisanbau lautet beispielsweise "Knee-high by the Fourth of July". Übersetzt heißt das, dass Maispflanzen am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, mindestens Kniehöhe erreicht haben sollten, wenn es eine gute Ernte geben soll.

Mit den heutigen Hochleistungssorten hat sich der Spruch eigentlich überholt. Jetzt überragt der Mais zu diesem Zeitpunkt häufig schon einen Erwachsenen. Im Juli 2019 zeigten allerdings unzählige US-Landwirte in den sozialen Medien Fotos von kümmerlichen Pflänzchen in matschigem Boden, die ihnen höchstens bis an die Knöchel der Gummistiefel reichten.

Schuld daran sind beispiellose Überschwemmungen im Mittleren Westen der USA, die den Maispreis zwischenzeitlich um über 30 Prozent auf den höchsten Stand seit fünf Jahren katapultierten. Dabei ist die Mais­misere nur ein Faktor von mehreren, die den Landwirtschaftssektor gerade durcheinanderwirbeln. "Die historischen Überschwemmungen in den USA, der Handelskonflikt und die afrikanische Schweinepest in China sind im laufenden Jahr die wichtigsten Treiber mit massiven Implikationen für den ­Agrarmarkt", sagt Stephan Werner, Manager des Fonds DWS ­Invest Global Agribusiness. Globale Lieferströme haben sich dadurch verschoben, manche womöglich dauerhaft. Für Anleger ergeben sich somit neue Chancen in einem ohnehin für langfristige Investments attraktiven Sektor.

Hohe Ernterisiken


Die Maisaussaat in den USA hat sich durch die Überflutungen so weit nach hinten verschoben, dass bis dato unklar ist, wie viele Felder eigentlich bepflanzt wurden. Planten US-Bauern ursprünglich 92,8 Millionen Morgen, beliefen sich die Schätzungen zwischenzeitlich auf nur 87 Millionen Morgen Anbaufläche. Zuletzt gingen die Zahlen aber wieder nach oben. "In jedem Fall war das kein optimales Aussaatfenster", gibt Michaela Kuhl, Rohstoffanalystin der Commerzbank, zu bedenken.

So spät ausgebrachten Pflanzen setzt eine Hitzeperiode oder ein Herbststurm eher zu als zeitgerecht gepflanztem Mais. Da sich auch die Ernte nach hinten verschieben dürfte, steigt die Gefahr zum Beispiel für Frostschäden. Mit niedrigeren Erträgen ist deshalb zu rechnen, erst recht wenn das Wetter im Sommer und Frühherbst nicht hundertprozentig mitspielt. "Ich könnte mir vorstellen, dass die Ernterisiken sich noch erhöhen", meint Jörg Dehning, Fondsmanager des DJE Agrar & Ernährung. Das würde die Preise, die inzwischen wieder etwas zurückgekommen sind, erneut in die Höhe treiben.

Ob die erwarteten Umsatzeinbrüche der US-Bauern dadurch kompensiert werden, ist ­jedoch fraglich. Sie haben im laufenden Jahr aller Voraussicht nach besonders stark auf Mais gesetzt, nachdem Soja für sie keine attraktive Alternative mehr ist. Denn in diesem Bereich ist wegen des Handelsstreits mit China die Nachfrage weggebrochen. China hatte in den vergangenen Jahren mehr als die Hälfte der US-Sojabohnenexporte abgenommen.

Südamerika profitiert


Profiteure der Zollblockade zwischen China und den USA sind vor allem die Anbieter aus Südamerika. "Vor dem Handelskonflikt hatten sich die Lieferanten auf der Nord- und Südhalbkugel saisonal abgewechselt. Doch das Anziehen der chinesischen Nachfrage nach der US-Sojabohnenernte blieb im Herbst 2018 aus. Stattdessen liefen die Bestellungen Chinas in Brasilien weiter auf Hochtouren", sagt Analystin Kuhl.

Die Preise für Sojabohnen aus Brasilien zogen entsprechend an. Im vergangenen September mussten Kunden umgerechnet mehr als zwei Dollar pro Scheffel gegenüber US-Soja drauf­legen, ein Aufschlag von etwa ­einem Fünftel. Tatsächlich kaufte Europa aufgrund des Preis­unterschieds wieder mehr US-Soja ein. Die Kunden aus China jedoch blieben den Brasilianern erhalten. Aktuell kostet brasilia­nisches Soja umgerechnet immer noch rund 50 Cent mehr als amerikanisches. Das lässt die Kassen von Anbaukonzernen und Händlern wie SLC Agricola oder Terra Santa Agro in Südamerika klingeln.

Selbst wenn es zu einer schnellen Einigung im Handelskonflikt käme - wonach es derzeit nicht aussieht -, bezweifeln viele Experten, dass die umgelenkten Warenströme in gewohnte Bahnen zurückkehren. "Es ist möglich, dass das Vertrauen der Chinesen in US-Lieferbeziehungen gestört bleibt. China wird sich zumindest nicht mehr in eine so starke Abhängigkeit zu den USA begeben wollen", sagt DJE-Manager Dehning. Auch Michaela Kuhl glaubt nicht, dass sich das Rad wieder vollständig zurückdrehen lässt. Für die südamerikanischen Agrarriesen bedeutet das die Aussicht auf längerfristige Gewinnsteigerungen.

Unterdessen ist noch eine weitere Handelsachse zwischen China und Südamerika in den vergangenen Monaten deutlich stärker geworden: Seit dem Ausbruch der afrikanischen Schweinepest im Reich der Mitte vor etwa einem Jahr exportieren Brasilien und seine Nachbarn auch verstärkt Fleisch nach China. Die Chinesen lieben Schweinefleisch, etwa die Hälfte aller Schweine auf der Erde leben in China - oder besser gesagt: lebten. Denn inzwischen sind erhebliche Mengen geschlachtet worden, um die Verbreitung der ansteckenden Tierseuche einzudämmen. "Die Schweinepopulation in China ist etwa um ein Drittel gesunken und der Höhepunkt der Schweinepest-Epidemie ist womöglich noch nicht erreicht", sagt Stephan Werner.

Auch hier ist noch unklar, wie groß der Zuwachs bei Fleischkonzernen wie JBS konkret ausfällt. Viele der geschlachteten chinesischen Schweine wurden zum Verzehr freigegeben (die Krankheit ist für Menschen ungefährlich), sodass die Notwendigkeit für Importe wohl erst nach und nach gewachsen ist.

Konkrete Zahlen dürften bei den bevorstehenden Quartalsberichten bekannt werden. Schweinefleisch hat sich an den internationalen Agrarbörsen jedenfalls deutlich verteuert. Der Aktienkurs des größten brasilianischen Fleischkonzerns, JBS, der maßgeblich in Bestechungs­skandale um drei Staatspräsidenten verwickelt war, kletterte in den vergangenen zwölf Monaten bereits um rund 150 Prozent.

Huhn als Alternative


Die Chinesen greifen seit Beginn der Schweinepest-Epidemie offenbar vermehrt zu Hühnerfleisch. Nachfrage und Preise haben auch dort stark angezogen. In der vergangenen Woche schnellten Eier-Futures in China auf den höchsten Stand seit November 2014 - werden die Hennen verspeist, sinkt logischerweise das Eierangebot.

Der chinesische Geflügelkonzern Shandong Yisheng, der über 90 Prozent seines Umsatzes mit Hühnerfleisch macht, will seinen Gewinn in diesem Jahr um fast 2.700 Prozent steigern, meldet der Nachrichten- und Datendienst Bloomberg. Shandongs Aktienkurs hat sich seit Jahresbeginn verdreifacht.

Auch hier gilt: Handelsbeziehungen und Essgewohnheiten werden nicht unbedingt wieder komplett revidiert werden, wenn die Schweinepest überwunden ist. Bis der Verlust in der chinesischen Schweine­population wieder ausgeglichen ist, könnten eineinhalb Jahre ins Land ziehen. Viel Zeit, in der sich die Chinesen vielleicht ein Stück weit an neue Lieferanten, anderes Fleisch und höhere Preise gewöhnen.

Nur deutlich steigende Getreidepreise könnten die Party bei den Fleischproduzenten stören, da höhere Futterkosten ihre Marge drücken. Danach sieht es momentan aber nicht unbedingt aus, wobei sich die Bedingungen auf den Rohstoff­märkten schnell ändern können. Zumindest Weizen, der Mais als Futter teilweise ersetzen kann, hat in Europa und Russland die jüngste Hitzewelle recht gut überstanden, hier sinken die Preise.

Investor-Info

ETFs und ETCs
Direkte Rohstoffinvestments


Es gibt verschiedene Möglichkeiten, um an der Entwicklung des Preises eines oder mehrerer Rohstoffe zu partizipieren. Anleger sollten sich dabei jedoch bewusst sein, dass es sich um sehr riskante Investments handelt, da Rohstoffpreise stark schwanken. Außerdem werden an den Rohstoffbörsen Futures mit kurzen Laufzeiten gehandelt. Anbieter etwa von ETCs müssen diese Future-Kontrakte ständig austauschen, wodurch es zu Roll­verlusten kommen kann, die Performance kosten. Für die Spekulation auf einen ­steigenden Maispreis bietet sich der ETC von ­WisdomTree an (ISIN: DE 000 A0K RJV 8).

Im Market Access RICI Agriculture Index ETF (ISIN: LU 025 932 145 2) sind verschiedene Agrar­rohstoffe enthalten, der Anteil von Mais beträgt 13,3, der von Vieh 8,2 Prozent.

DWS Invest Glob. Agribusiness
Das ganze Spektrum


Fondsmanager Stephan Werner investiert bei diesem DWS-Klassiker entlang der gesamten Wertschöpfungskette der Landwirtschaft. Im Moment liegt der Fokus einerseits auf Nahrungsmittelherstellern, zum Beispiel Fleischkonzernen, andererseits auf Agrochemie- und Düngemittelproduzenten. In den vergangenen drei Jahren erzielte der Fonds durchschnittlich eine Performance von über acht Prozent pro Jahr, allerdings gibt es auch nicht unerhebliche Schwankungen.

DJE Agrar & Ernährung
Die Trends von morgen


Alle Fonds von DJE sind seit Ende 2018 ESG-konform. Gerade im Agrar- und Nahrungsmittelsektor ist die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien ausgesprochen sinnvoll. Das bedeutet aber auch, dass Fonds­manager Jörg Dehning auf Kursgewinne bei Mon­santo oder JBS verzichten musste. Er ­investiert indexunabhängig und setzt auch auf Trends und Lösungen von morgen, zum Beispiel auf Fleischersatz, Insektenprotein als Tierfutter oder nachhaltigere Aquakultur.