Schicksalsjahr - ein großes Wort, das man mit Bedacht verwenden sollte. Doch für das Jahr 2017 scheint es angemessen. Europa entscheidet über seine Zukunft: Die Niederlande, Frankreich, Deutschland und voraussichtlich auch Italien - die Kernländer der Europäischen Union (EU) und der Eurozone - wählen neue Regierungschefs. Die Börsianer werden ihre Blicke kaum vom politischen Parkett wenden können.

Nach dem Entscheid der Briten für den Ausstieg aus der EU und der Wahl des Polit-Außenseiters Donald Trump in den USA gilt: Noch einmal will sich kein Fondsmanager auf dem falschen Fuß erwischen lassen. Noch einmal möchte niemand überrascht werden von der Stärke der populistischen und nationalen Bewegungen, die letztlich sogar EU und Eurozone in die Knie zwingen könnten.

Dazu sind die Erfahrungen mit den Börsenreaktionen auf den überraschenden Ausgang des Brexit-Referendums und die US-Wahl zu frisch. Zu unsicher ist auch der weitere Weg des Präsidenten Trump. Lässt er seiner schrillen Anti-Freihandelsrhetorik im Wahlkampf im Amt nun tatsächlich Taten folgen? Oder erweist er sich doch als pragmatischer Verhandler, der im Zweifel keinen Handelskrieg mit China, Mexiko oder dem Exportweltmeister Deutschland vom Zaun bricht?

Bei all den politischen Fragen des Jahres 2017 bleibt die wichtigste für Privatanleger: Wie sollte man sich für das Börsenjahr positionieren? Eine Antwort geben in diesem Jahr wieder die Top-Vermögensverwalter Deutschlands in unserem exklusiven Tischgespräch. Die wichtigste Botschaft: Auch 2017 geht in Sachen Vermögensbildung ohne Aktien gar nichts! Warum das trotz der enormen - vor allem politischen - Unsicherheiten gilt, hat viele Gründe.

So meint Peter Huber von StarCapital etwa, dass trotz aller politischen Störfeuer letztlich langfristig nur zwei Dinge den Aktienmarkt bewegen: Unternehmensgewinne und Zinsen. "Und beide sprechen heute klar für Aktien", meint der Routinier der Märkte.

Auch Urgestein Jens Ehrhardt, Gründer der DJE Kapital AG, ist optimistisch für das Aktienjahr 2017. Unter anderem weil "die Produzentenpreise überall steigen" - historisch ein klarer Indikator für steigende Unternehmensgewinne.

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Aktien ja, Flexibilität unbedingt



Auch die €uro-Redaktion ist überzeugt, dass ohne Aktien 2017 nichts geht. Doch sind wir auch der Meinung, dass Anleger beim Risiko - konkret dem Aktienanteil im Depot - im kommenden Jahr flexibel sein sollten. Unser Rat für 2017: nicht voll auf Aktien setzen, sondern Pulver trocken halten.

Die Redaktion ist eigentlich kein Freund von kurzfristigem Handeln und dem Versuch, mit Timing große Überrenditen zu erzielen. Meist bleibt es nämlich beim Versuch. Aber für die kommenden Monate heißt der beste Rat unserer Meinung nach: flexibel sein und Kurseinbrüche zum Einstieg nutzen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Wahlausgang in Europa zu Unsicherheit unter den Börsianern und heftigen Kursverlusten führt, ist sehr hoch. Doch die Wahl Donald Trumps und das verlorene Referendum des italienischen Premiers Matteo Renzi hat die Börse mit Kurssteigerungen quittiert. Es ist also davon auszugehen, dass nicht jede Wahl, die für die Vertreter des Establishments verloren geht, gleich zum Kurschaos führt. Für eine Wahl gilt das aber nicht.



Zu viel steht Ende April und Anfang Mai auf dem Spiel, wenn Frankreich in zwei Wahlgängen bestimmt, wer der nächste Präsident der Grande Nation wird - oder die nächste Präsidentin. Sollte Marine Le Pen, Anführerin des rechtsnationalen Front National, siegen, droht eines der wichtigsten Länder der EU und Eurozone, sich von der Idee eines Vereinigten Europas abzukehren. Die Folge wäre wohl ein politisches Beben, das auch die Börse erzittern ließe. Denn Marine Le Pen hat mehrfach angekündigt, im Fall eines Wahlsiegs die EU-Mitgliedschaft in einem Referendum zur Abstimmung zu stellen. Die EU ohne Großbritannien? Schmerzlich, aber irgendwie verkraftbar. Die EU ohne Frankreich? Unvorstellbar.

Zwar halten Demoskopen einen Sieg der rechten Frontfrau Anfang Mai für sehr unwahrscheinlich. Aber erstens haben diese schon beim Brexit und bei den US-Wahlen die Stimmung gegen die politischen und wirtschaftlichen Eliten unterschätzt. Und zweitens sind es noch ein paar Monate, bis gewählt wird. Ein Wahlsieg des EU-Gegners Geert Wilders im März in den Niederlanden - nach neuesten Umfragen liegt seine rechtspopulistische Partei PVV vorn - könnte die Chancen Le Pens befeuern. Durchaus vorstellbar, dass ein politischer Dominoeffekt entsteht, von einem Wahlsieger Wilders in den Niederlanden über eine Präsidentin Le Pen in Frankreich bis zu einem Regierungsauftrag für die italienischen Populisten und Europa-Kritiker der Bewegung Fünf Sterne bei Neuwahlen in Italien, die 2017 wahrscheinlich auch anstehen werden.

Umso wichtiger ist es, vor starken Kursrückgängen mit einer niedrigeren Aktienquote gewappnet zu sein. Sie schützt nicht nur vor Verlusten. Sie gibt Anlegern auch die Möglichkeit, auf niedrigerem Niveau günstiger einzusteigen. Denn so heftig die Ausschläge 2017 wegen der politischen Börsen auch sein können - sie werden wohl eher Kaufgelegenheiten für geduldige, langfristig orientierte Anleger bedeuten. Denn ein großer Crash, bei dem sich etwa die Aktienkurse der Weltbörsen halbieren, ist aus verschiedenen Gründen unwahrscheinlich.



Zum Ersten sind die Bewertungsniveaus am Aktienmarkt in vielen Ländern historisch gesehen nicht hoch. Richtig günstige Aktien findet man nach vielen Jahren Hausse jedoch nur noch in Nischen. Und im Leitmarkt USA sind die Bewertungen nach einem weiteren guten Aktienjahr 2016 mittlerweile ambitioniert. Aber gerade viele europäische Märkte sind noch weit davon entfernt, Warnsignale zu senden.

So befinden sich beispielsweise beim deutschen Leitindex DAX sowohl das Kurs-Buchwert-Verhältnis als auch die Dividendenrendite im neutralen Bereich (siehe Grafiken unten). Italienische und französische Aktien sind noch günstiger.

Natürlich gab es historisch auch von solchen Bewertungsniveaus beginnend heftige Kurseinbrüche. Aber Abwärtsbewegungen von 40, 50 oder mehr Prozent erlebten die Börsen bisher fast nur, wenn zuvor die Bewertungen weit aus dem Ruder gelaufen waren.



Zum Zweiten fehlen Investoren nach wie vor die Alternativen zu Aktien. Gerade große institutionelle Investoren müssen immer investiert sein und werden kaufen, wenn solide Aktien mit Dividendenrenditen zu haben sind, die fünf- oder zehnmal so hoch liegen wie die Rendite von Staatsanleihen. Das dürfte in unruhigen Phasen die Kurse stabilisieren.

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Europa wählt



15. März 2017 - Niederlande: In Umfragen zu den Parlamentswahlen liegt die PVV um Chef Geert Wilders vorn. Damit wäre sie stärkste Kraft. Die Rechtspopulisten wettern immer wieder gegen EU und Euro. Regieren die Nationalisten im kleinen Herzland der EU, wäre das wohl kein Grund für größere Börsenturbulenzen. Ein Sieg Wilders’ könnte aber anderen Rechtsparteien bei den folgenden Wahlen Auftrieb verleihen.

07. Mai 2017 - Frankreich: Bei der wichtigsten Wahl 2017 geht es wohl nur darum, ob der konservative François Fillon oder Marine Le Pen vom rechtsnationalen Front National in der Präsidenten-Stichwahl gewinnt. Hier geben Demoskopen der blonden EU-Gegnerin derzeit nur 35 Prozent der Stimmen. Umso größer wäre die Überraschung, sollte sie dennoch vorn liegen, umso größer die Unruhe an den Börsen. Denn Le Pen kritisiert nicht nur die EU und den Euro. Im Falle des Wahlsiegs hat sie ein Referendum über den Verbleib in der EU angekündigt.

Sep/Okt 2017 - Deutschland: Laut Umfragen liegen CDU/CSU zwischen 32 und 36 Prozent, die Union bleibt mit Abstand stärkste Kraft. Da Rot-Rot-Grün keine Alternative zu werden scheint, bleibt es wohl bei einer Kanzlerin Merkel. Selbst bei einem sehr starken Ergebnis der AfD sollte es zumindest für eine Koalition mit der SPD reichen. Deutschland bleibt der politische Stabilitätsanker der EU.

Sommer - Italien: Staatspräsident Sergio Mattarella hat den neuen Ministerpräsidenten Paolo Gentiloni mit der Regierungsbildung beauftragt. Die nächste Technokraten-Regierung ist aber keine dauerhafte Lösung für die wirtschaftliche und politische Krise des Landes. Spätestens im Sommer, nach den vorangegangenen Wahlen in den Niederlanden und Frankreich, könnte der Druck steigen, vorgezogene Parlamentswahlen einzuleiten. Sonst bricht sich der Ärger der Italiener weiter in steigenden Zustimmungsraten für die EU-kritischen Populisten der Fünf-Sterne-Bewegung bahn.

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Yellen und Co weiter wichtig



Die Notenbanken - in den vergangenen Jahren die Garanten für steigende Kurse - sind weiter wachsam. Janet Yellen, oberste Notenbankerin in den USA, gilt weiterhin als skeptisch, was die Konjunktur angeht. Die Unsicherheit, die mit der Wahl des politischen Nobodys Trump einhergeht, wird dafür sorgen, dass sie zumindest 2017 vorsichtig bleibt. Rapide Zinserhöhungen sind daher sehr unwahrscheinlich.

Und in Europa wird EZB-Chef Mario Draghi auch künftig monieren, dass die Politiker die Zeit, die er ihnen mit der lockeren Geldpolitik geschenkt hat, nicht für Reformen nutzen. Aber sollte es wegen politischer Unsicherheiten am Kapitalmarkt krachen, wird er wieder einschreiten. Er kann gar nicht mehr anders. Die Problemländer der Eurozone sind auf die Nullzinsen angewiesen. Bei höheren Zinsniveaus lassen sich die Schuldenberge nicht mehr bezahlen.

Auch Philipp Vorndran, Chefstratege des Vermögensverwalters Flossbach von Storch aus Köln, glaubt an mehr Unterstützung für die Märkte vonseiten der Notenbanken. In unserem Tischgespräch sieht er sie nicht am Ende ihrer Mittel angekommen: "In Zukunft werden die Notenbanken möglicherweise in großem Stil Aktien kaufen, die Bank of Japan und die Schweizerische Nationalbank machen es vor." Er verweist darauf, dass die Nationalbank schon mehr als 127 Milliarden Schweizer Franken in Aktien hält. Seine Einschätzung: "Der Trend zur kreativen Geldpolitik setzt sich fort."

Viel Angst, niedrige Erwartungen und viel billiges Geld - 2017 kann ein sehr gutes Aktienjahr werden. Das gilt vor allem für Anleger, die mit Barreserven gezielt auf Einstiegsmöglichkeiten nach scharfen Einbrüchen warten. Die könnten - wenn sie kommen - ähnlich schnell und heftig auftreten wie Anfang 2016.

Damals griff die Angst vor einer harten konjunkturellen Landung Chinas um sich und der DAX verlor in den ersten sechs Handelswochen knapp 20 Prozent an Wert. Ein Grund für den rapiden Einbruch: Automatische Handelssysteme und Algorithmen spielen eine immer größere Rolle an den Märkten und verschärfen mit gleichgerichteten Verkaufssignalen Börsenabstürze. Das gilt auch im kommenden Jahr.



Und was außer Aktien sollten Anleger 2017 noch im Depot haben? Zwar gibt es immer noch Anleihen, die ein gutes Verhältnis aus Chance und Risiko bieten. Und in einem breit aufgestellten Depot ist immer Platz für ein paar sichere Staatsanleihen höchster Bonität. Aber als trockenes Pulver für den Aktienkauf empfehlen wir 2017: Cash.

Tagesgeld wirft bei guten Anbietern für Neukunden über ein Prozent ab und ist vor Kursverlusten sicher. Das gilt nicht für Anleihen. Hier haben die Wochen nach Donald Trumps Wahl gezeigt, wie schnell man mit Bonds bei hohen Kursen Geld verlieren kann, wenn die Zinsen steigen: fünf Prozent bei deutschen und US-Papieren mit zehn Jahren Restlaufzeit.

Waren die Kursverluste im November schon die Vorboten einer Trendwende an den Anleihemärkten mit höheren Inflationsraten und fallenden Bond-Kursen? Eher nein, meint Vermögensverwalter Michael Reuss: "Die US-Notenbank Fed wird ihre Geldpolitik nach dem nächsten Zinsschritt nicht zu sehr straffen." Und auch Vermögensverwalter Jens Ehrhardt meint: "Die Inflation wird nicht so weit nach oben schießen, dass die Fed bremsen muss."





Die Redaktion geht davon aus, dass die Teuerungsraten - vor allem in der Eurozone - steigen, aber nicht zu stark. Zwar wird schon der Ölpreis mit seinem Anstieg dafür sorgen, dass die offizielle Inflationsrate anzieht. Aber es wird wohl beim Basiseffekt im ersten Halbjahr - Erdöl war im Januar und Februar 2016 besonders günstig - bleiben.

Denn auch wenn sich OPEC- und Nicht-OPEC-Mitglieder tatsächlich an die neu vereinbarten Fördermengen halten, wird der Effekt begrenzt sein. Die amerikanischen Fracking-Unternehmen werden immer effizienter und günstiger darin, Öl und Gas aus Schiefergestein zu lösen. Ihre kleinen Bohrvorrichtungen können bei steigenden Preisen schnell angeschlossen werden. Schon in den vergangenen Monaten stieg die Zahl der aktiven Bohrlöcher stark an.



Gold bleibt wichtig. Weil ein starker konjunktureller Aufschwung in Europa nicht in Sicht und der Arbeitsmarkt noch immer schwach ist, gibt es keinen echten Inflationsdruck. Langfristig orientierte Investoren sollten trotzdem weiter auf Gold setzen. Weniger als Inflationsschutz, sondern als Versicherung gegen große Verwerfungen im Finanzsystem. Fünf bis zehn Prozent des Vermögens sollte man im Krisenmetall Nummer 1 anlegen.

Denn so wahrscheinlich es ist, dass extreme Notenbankpolitik und das ein oder andere staatliche Investitionsprogramm auch 2017 die Finanzmärkte bei Laune halten werden, so sicher ist auch, dass Negativzinsen und Staatsschulden lediglich Zeit kaufen. Die Strukturprobleme in den Krisenstaaten Europas können nur die Politiker lösen - mit unpopulären Entscheidungen. Ob das die vielen Staatslenker, die 2017 neu gewählt werden, wollen und können? Mit einer flexiblen Aktienquote, trockenem Pulver in Cash und Gold als Versicherung im Depot kommen Anleger jedenfalls gut durch das Schicksalsjahr 2017 und können an den vielen Wahlabenden den Ausgang entspannter verfolgen.

Lesen Sie in Teil zwei der Serie ein Interview mit den fünf Top-Vermögensverwaltern, in Teil drei Tipps zur Anlage in Aktien, Anleihen und Rohstoffen und in Teil vier Tipps zu Steuern und privaten Finanzen.