Vor der Bundestagswahl wächst der Druck, die Erbschaftsteuer zu verschärfen, denn in der Staatskasse klafft durch die Corona-Krise ein riesiges Loch. Doch das ist nicht der einzige Grund, warum eine Reihe von Parteien in ihren Programmen die Erben ins Visier nimmt.

Denn beim Erben gilt: "Wer hat, dem wird gegeben". Studien zufolge machen Erbschaften die Vermögenden in Deutschland noch reicher. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) geht fast die Hälfte des Erbschafts- und Schenkungsvolumens an die reichsten zehn Prozent der Begünstigten. Die anderen 90 Prozent teilt sich die verbleibende Hälfte.

Wer ohnehin ein gut gefülltes Konto hat, erbt am häufigsten und zugleich die höchsten Beträge. Das stößt vor allem bei SPD, Grünen und Linken auf, die in ihren Wahlprogrammen Reformen versprechen. Am konkretesten wird dabei die Linke. "Wir wollen hohe Vermögen und Erbschaften stärker besteuern", schreibt sie und kritisiert: "Reichtum wird vererbt - meist ohne dass nennenswerte Steuern bezahlt werden."

Union und FDP dagegen lehnen eine schärfere Erbschaftsteuer ab, weil sie dadurch Unternehmen und Arbeitsplätze gefährdet sehen. Wenn ein Betrieb vererbt werde, stecke der Großteil des Vermögens ja in der Firma. Die Erben hätten nicht automatisch viel Geld, von dem sie hohe Erbschaftsteuern zahlen könnten, argumentieren sie. Die AfD will die Erbschaftsteuer gleich ganz abschaffen.

Dass auch die Union den Reformdruck spürt, zeigt aber eine Äußerung des CDU-Politikers Friedrich Merz. Im Frühsommer sagte er dem "Handelsblatt", über eine breiter gestreute Erbschaftsteuer könne man reden. Allianz-Konzernchef Oliver Bäte sagte der "Süddeutschen Zeitung" ebenfalls: "Ja, die Erbschaftsteuer muss steigen. Das wäre sinnvoll, bevor man andere Steuern erhöht."

Auch die Industriestaatenorganisation OECD ruft dazu auf, Erbschaften verstärkt zu besteuern. Die Einnahmen aus Erbschafts- und Schenkungssteuer machten nur 0,52 Prozent des gesamten deutschen Steueraufkommens aus - auch wegen großzügiger Steuerbefreiungen, die vor allem den wohlhabendsten Haushalten zu Gute kämen, so die Kritik.

Tatsächlich profitierten nach Angaben des Finanzministeriums im Jahr 2019 mehr als 90 Prozent aller Erbschaften und Schenkungen im Wert von mehr als 100 Millionen Euro von Steuerbefreiungen. Das galt auch für zwei Drittel aller Erbschaften zwischen 10 und 100 Millionen und für fast ein Drittel aller Erbschaften über eine bis 10 Millionen Euro.

So eine Steuerbefreiung kann es geben, wenn Betriebsvermögen, landwirtschaftliche Betriebe und Anteile an Kapitalgesellschaften vererbt werden. Betriebsvermögen können sogar zu 100 Prozent steuerfrei vererbt werden, wenn man den Betrieb über sieben Jahre hält und andere Voraussetzungen zu Lohn und Personal zutreffen.

Auch generell können in Deutschland beträchtliche Summen ohne einen Cent Steuern vererbt werden. Die meisten Erbschaften und Schenkungen liegen laut Statistischem Bundesamt innerhalb von Freibeträgen. So können etwa Ehepartner bis zu 500 000 Euro, die eigenen Kinder bis zu 400 000 Euro steuerfrei erben. Je enger man mit dem Verstorbenen verwandt war, desto höher sind die Freibeträge. Urenkel erben nur noch 100 000 Euro steuerfrei, Freunde 20 000 Euro.

Deshalb weiß auch niemand genau, wie viel Geld in Deutschland jedes Jahr vererbt oder verschenkt wird. Wer unter den Freibeträgen bleibt, taucht in der Statistik der Finanzbehörden nicht auf. Geschätzt wird, dass jährlich 200 bis 400 Milliarden Euro durch Erbschaften und Schenkungen den Besitzer wechseln.

Reformideen greifen vor allem bei der derzeit geltenden Zehnjahresfrist, die es erlaubt, große Summen steuerfrei zu verschenken. So können Mutter und Vater ihrem Kind derzeit alle zehn Jahre zusammen 800 000 Euro steuerfrei übertragen, nach zehn Jahren zählt das Geschenk nicht mehr als Erbmasse. Wer es rechtzeitig angeht, kann so enorme Summen vermachen, ohne den Staat zu beteiligen. Ökonomen schlagen vor, diese Frist abzuschaffen und große Erbschaften so effektiver zu besteuern.

dpa-AFX