Der Manager des Immobiliendienstleisters JLL über die Metropolregion München  Von  Stefan Rullkötter

€URO AM SONNTAG: Herr Gombert, wirft die Corona-Krise alle bisherigen Prognosen zum Immobilienmarkt über den Haufen?
GUNNAR GOMBERT: Zu Beginn des Jahres aufgestellte Prognosen für 2020, wie etwa Expansions- und Vermietungsziele, Transaktions-, Finanzierungs- oder Bauvolumen, werden sicher schwer zu erreichen sein. Auch damit verbundene Ausschüttungs- und Renditeziele werden wohl teils verfehlt. Was die langfristige Entwicklung betrifft wird es sehr darauf ankommen, wann und wie schnell das öffentliche Leben und die Wirtschaft wieder hochgefahren werden können. Auch ist derzeit noch nicht absehbar, mit welchen langfristigen Veränderungen wir leben müssen. Das wird sich vor allem auf Nutzer, Finanzierer und damit auf Projektentwickler sowie zeitlich versetzt auf Investoren auswirken.

Wie wird sich die Corona-Krise auf die Preise für Büro- und Wohnimmobilien im Schlüsselmarkt München auswirken?
Eine Prognose für das Gesamtjahr ist derzeit nicht möglich. Aber es sind bundesweit einige signifikante Trends zu beobachten, die auch für München als drittgrößten Bürostandort Europas gelten. So gibt es nach wie vor eine Reihe institutioneller Investoren, die in Immobilen anlegen möchten und ihre Chance darin sehen, dass das Bieterfeld reduziert ist. Hier haben Markteilnehmer mit guter Eigenkapitaldeckung aktuell bessere Karten, als jene, die auf Fremdkapital setzen. Denn das ist derzeit - abhängig vom Risikostil der Immobilie - schwerer zu beschaffen.

Werden die Immobilienpreise demnächst sinken?
Bei bestimmten Produkten, insbesondere bei Wohn- und Büroimmobilien, sehen wir nach wie vor eine Reihe an Geboten - teilweise auch auf Vor-Corona-Niveau. Core-Produkte, als Objekte in Top-Lagen mit solventen Mietern, werden in einer Krise besonders nachgefragt, weil sie als langfristiges Investment gesehen werden. Objekte mit höherem Risiko und kurzer Haltedauer werden dagegen derzeit etwas weniger gehandelt.

Wie wirkt sich die Corona-Krise speziell auf Immobilien-Mietverträge in München aus?
Bislang kann man hier nur bundesweite Trends identifizieren, die sich sicherlich auch für München abzeichnen werden. Mehr als die Hälfte, der von uns befragten Unternehmen bestätigt, Büro-Neuanmietungen oder -Verlängerungen zu vertagen. "Flexible Office"- Betreiber merken dies gerade unmittelbar. Internationale Technologieunternehmen sind trotz Corona in München aber weiter auf Expansionskurs.

Welche Folgen wird der Trend zum Home-Office für den Immobilienmarkt bundesweit haben?
Die Optimierung der angemieteten und eigenen Flächen dürfte für Unternehmen zunehmend in den Fokus rücken, weil das Home Office für immer mehr Beschäftigte zum festen Bestandteil werden wird.

Welche Entwicklungen sind für Immobilien zu erwarten, die von stark gebeutelten Branchen genutzt werden?
Unmittelbarer sind die Auswirkungen im Gastgewerbe und im Handel, wo viele Unternehmen ums Überleben kämpfen. Logistikflächen sind hingegen trotz aktuell gebremster Lieferketten langfristig, aber auch wegen kurzfristigem Lagerflächenbedarf des stationären Handels, stark nachgefragt. Auf Wohnflächen dürfte sich die Krise indes nur moderat auswirken. Speziell für München kommt allerdings hinzu, dass in fast allen Bereichen seit Jahren Angebotsmangel bei steigender Nachfrage herrscht. Das sollte die Auswirkungen von Corona deutlich abfedern.

Welche Folgen hat die Corona-Pandemie für die bayerische Landeshauptstadt im internationalen Städte-Ranking?
München ist weltweit eine der gefragtesten Städte - für Unternehmen wie Investoren. Aus unserer JLL-Studie zu globalen Kapitalströmen geht hervor, dass 2019 rund fünf Milliarden US-Dollar aus anderen Ländern in München investiert wurden. Das zeigt, wie groß das Vertrauen in den Standort und seine Widerstandsfähigkeit gegen Krisen ist. Hinzu kommt, dass sich hier vor allem Zukunftsindustrien wie die Technologiebranche ansiedeln. Eine weitere JLL-Studie "Innovation Geographies" nennt zwei Gründe: In München finden Unternehmen ein innovatives Klima und einen großen Pool an Talenten vor. Ergänzt um die gute Infrastruktur und Lebensqualität hat die Landeshauptstadt auch in der Krise sehr gute Karten, sogar gestärkt aus einer solchen Situation hervorzugehen.

In München gibt es unter der Ägide des SPD-Bürgermeisters Dieter Reiter nun eine grün-rote Koalition im Stadtrat. Was bedeutet das für den regionalen Immobilienmarkt?
Die neue Koalition wird für Münchens langfristiges Wachstum eine bedeutende Rolle spielen. Sie definiert die Stadt als europäische, zukunftsgewandte, offene Metropole, die sich ihren Spitzenplatz weiterhin sichern sollte. Wachstum wird als Gestaltungsmöglichkeit begriffen, um München zur Vorbildkommune in Sachen Lebensqualität, Zusammenleben sowie Umwelt- und Klimaschutz zu formen. Im Neubau will Grün-rot deshalb hohe Energiestandards festlegen, für öffentliche Gebäude auf Null- oder Plusenergiehäuser setzen. Wo möglich, sollen Solaranlagen und Dachbegrünung verordnet werden. Das sind starke Eingriffe, werden der Metropole aber langfristig noch mehr Lebensqualität sichern.

Was meinen Sie damit konkret?
Die Koalition strebt eine aktive Bodenpolitik an, um das Wohnungsproblem zu lösen und soziale Durchmischung zu fördern. Die Münchner Sozialgerechte Bodennutzung (SoBoN) soll weiterentwickelt werden. Die Hälfte privater Entwicklungsflächen soll die Stadt künftig zu entwicklungsunbeeinflusstem Preis übertragen bekommen, um dauerhaft bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Bei Investoren und Entwicklern könnte dies allerdings zu Abstrichen bei frei finanzierten Eigentumswohnungen und, unterstützt durch eine angestrebte konsequente Ausübung von Vorkaufsrechten somit zu weniger Produkt im Markt führen.

Wird es in München wieder Hochhäuser geben, die höher sind als 100 Meter?
Auch wenn München als wachsende Großstadt durchaus in der Lage wäre, Hochhäuser über 100 Meter zu vertragen, spricht Rot-Grün nur von maßvoller Nachverdichtung, anstatt auf die aktuelle Hochhausstudie Bezug zu nehmen. Aus Sicht der Immobilienwirtschaft ist das eine vertane Chance, denn ein klares Bekenntnis zu Hochhausbau wäre ein wichtiges Signal an Nutzer und Investoren, in München zu investieren und zu bauen.

Was ist an dieser Strategie nicht schlüssig?
Zum Teil im Widerspruch dazu steht der effiziente Umgang mit vorhandenen Flächen. So soll die Revitalisierung bestehender Gewerbegebiete zuerst geprüft werden, bevor neue Flächen ausgewiesen werden. Unternehmen sollen zudem einen Beitrag zur benötigten Infrastruktur leisten, indem zum Beispiel Werkswohnungen als Bedingung bei der Ansiedlung neuer Betriebe errichtet werden. Bei der Zukunftsfrage Mobilität haben Fuß-, Rad- und öffentlichem Verkehr künftig Priorität. Dies bedeutet möglichst autofreie Innenstadt und Quartiere, den Wegfall öffentlicher Parkplätze sowie den Ausbau von Sharing-Systemen und des ÖPNV. Hier wird sich zeigen, in wie weit sich dies mit den finanzstärkeren Klientel in München vereinbaren lässt. Ob die geplanten Maßnahmenbündel finanzierbar sind, bleibt insbesondere mit Blick auf die Corona-Krise abzuwarten.

Wie werden potenzielle Kapitalgeber für Immobilienprojekte darauf reagieren?
Bei Investoren und Entwicklern würde dies zu Abstrichen bei frei finanzierten Eigentumswohnungen führen. Um Wohnungsbau auch auf gewerblichen Flächen zu ermöglichen, könnte es zur Ausweisung weiterer urbaner Gebiete kommen. Nicht zuletzt gehe ich davon aus, dass die Stadt ihren Wohnungsbestand weiter erhöhen wird. München hat die Möglichkeit als internationale, zukunftsgerichtete Stadt klimaverträglich zu wachsen und zugleich das gesellschaftlich, soziale Gleichgewicht zu halten und seinen Charakter zu bewahren.

Zur Person: Gunnar Gombert ist seit Oktober 2018 Niederlassungsleiter bei JLL München. Der studierte Ingenieur war zuvor bei der Unicredit-Tochter Wealthcap als Head of Investment & Asset Management sowie als Geschäftsführer zahlreicher Immobilienfonds tätig und arbeitete als Unternehmensberater für PwC und KPMG im Real Estate Advisory.