Die digitale Transformation verändert das Mobilitätssystem grundlegend. Vernetzte Fahrzeuge tauschen sich zunehmend mit der sie umgebenden Infrastruktur und anderen Fahrzeugen aus. Außerdem ändern sich die Eigentumsmodelle für Fahrzeuge und neue Antriebsformen kommen auf den Markt. Diese ganz unterschiedlichen Entwicklungen werden gemeinsam zum Motor vier neuer Formen der Fortbewegung: vernetzt, autonom, shared und elek­trisch.

Vernetztes Fahren ist schon Alltag geworden - 80 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge folgen bereits diesem Trend und sind "verbunden". Auch Fahrerassistenzsysteme sind mittlerweile weit verbreitet. Es ist erwiesen, dass die Unterstützung des Fahrers durch diese Systeme dazu beiträgt, Fahrfehler und damit auch Unfälle zu vermeiden.

Der Wandel zum autonomen Fahrzeug als zweitem Trend ist ein langer Prozess. In der nächsten Dekade werden zunächst verschiedene Automatisierungsgrade eingeführt. Mit Zulassung des "highway pilot" rechnen wir 2022, mit der des "urban pilot" Ende des nächsten Jahrzehnts. Bis das autonome Auto Menschen von einem Termin zum nächsten chauffiert und man wahlweise ein Nickerchen halten oder einen Film streamen kann, dürften noch zehn bis 20 Jahre vergehen. Zunächst muss eine gesetzliche Grundlage für deren Straßenzulassung geschaffen werden. In ­­Europa entwickelt diese die United Economic Commission for Europe (UNECE). Ein komplexer Prozess, die Zeitskala ist schwer abzuschätzen.

Autohersteller wandeln sich zum Mobilitätsdienstleister


Außerdem: Damit Roboterautos wirklich Staus verhindern können, muss das gesamte Verkehrssystem mit allen Mobilitätsformen ganzheitlich gedacht und eine passende Infrastruktur geschaffen werden. Der Mischverkehr mit anderen Verkehrsteilnehmern stellt eine enorme Herausforderung für Städteplaner und Fahrzeugentwickler dar.

Weg vom Besitz, hin zur geteilten/gemeinsamen Nutzung von Fahrzeugen -die Shared Mobility beschreibt einen Systemwechsel in der individuellen Automobilität. Die Konzepte dieser dritten Mobilitätsform reichen von professionellen Anbietern bis zur Peer-to-Peer-Vermietung von Privatfahrzeugen oder Mitfahrgelegenheiten. Die ständig steigende Zahl von Anbietern, Apps und Dienstleistern macht den Markt immer nutzerfreundlicher, sodass bei jüngeren Generationen das Auto seine Funktion als Statussymbol schon verliert. Autohersteller wandeln sich daher zum Mobilitätsdienstleister mit übergreifenden Verkehrsinfrastrukturlösun­gen für die vernetzte Fortbewegung.

Die E-Mobilität als alternative Antriebsart zu den traditionellen Verbrennungsmotoren beginnt sich durchzusetzen und wird stark an Fahrt gewinnen. Noch ist der Anteil dieser Fortbewegungsform mit rund 110.000 Elektro­autos im Vergleich zu 47 Millionen zugelassenen Pkw auf deutschen Straßen sehr gering. Die größte Herausforderung stellen immer noch die Reichweite der Batterie und die Lade-Infrastruktur dar - gerade mal 11.000 Ladestationen gibt es in ganz Deutschland verteilt.

Diese vier Trends haben großen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten. Jahrzehntelang haben wir uns auf drei Arten fortbewegt: Auf entweder zwei oder vier eigenen Rädern, oder aber mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Gerade befinden wir uns in einer Umbruchphase. In 20 Jahren werden viele Menschen konventionelle Fortbewegungsmittel wie Zug, Bus, S- und U-Bahn mit Sharing­angeboten bis hin zu Robo-­Shuttle-Taxis kombinieren, um je nach persönlicher Präferenz möglichst schnell, günstig, bequem und umweltfreundlich zu ­ihrem Ziel zu kommen. Fluide und nahtlose Übergänge von einem Transportmittel zum anderen werden für diese ­intermodal reisenden Menschen dank digitaler Vernetzung und integrierter Konzepte möglich sein. Dies ­bedeutet für Versicherer einen Paradigmenwechsel, auf den sie sich einstellen müssen.

Das Versicherungsgeschäft wird sich durch die vielen Mobility-Anbieter zum Teil vom Kfz-Privat- auf das Flotten­geschäft verlagern. Die klassische Autoversicherung entwickelt sich noch weiter zu einer integrierten Versicherungslösung inklusive Dienstleistung, die vielfach von Fahrzeugherstellern oder über Mobilitätsplattformen angeboten wird. Außerdem nimmt die Unfall­frequenz mit fortschreitender Automatisierung ab - die Kosten für Reparaturen wiederum steigen durch den Einbau sensibler Technik wie Sensoren. Diese gegenläufigen Effekte werden sich in den kommenden Jahren zum Teil kompensieren.

Auf lange Sicht wird es für Versicherer vermutlich günstiger. Dann sind Systemeffekte sichtbar, außerdem wird die Technik weniger kosten. Einer Studie des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) zufolge, die unter Mitwirkung des Allianz Zentrums für Technik durchgeführt wurde, werden Assistenzsysteme und automatisierte Fahrfunktionen den Schadenaufwand bis 2035 insgesamt um sieben bis 15 Prozent im Vergleich zu 2015 reduzieren können.

Evolution der Mobilität bietet Chancen für alle Akteure


Auch im Bereich der Haftung kommt es zu Verschiebungen: Die Hersteller­haftung wird an Bedeutung gewinnen, auch die der Softwarehersteller und entlang der Lieferketten. Für Unfallgeschädigte hat dies keine Auswirkungen. Denn in Deutschland und vielen anderen Kernmärkten haften der Fahrzeughalter beziehungsweise der Eigentümer weiterhin verschuldensunabhängig für Unfälle. Zudem kann der Geschädigte seinen Anspruch direkt gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer geltend machen und erlangt dadurch schnelle Hilfe.

Durch die intermodale Mobilität entwickelt sich der Trend weg vom Eigentums- und Vermögensschutz hin zur ­Absicherung eines reibungslosen Mo­bilitätserlebnisses des Individuums. ­Gefragt sein wird künftig nicht mehr ausschließlich die Versicherung des privaten Kraftfahrzeugs - sondern mehr und mehr auch die On-Demand-Absicherung einer Reise mit verschiedensten Transportmitteln.

Was wir erleben, ist eine Evolution der Mobilität. Eine große Chance nicht nur für die Akteure. Sondern auch für Versicherer - wenn sie diesen Wandel für sich nutzen und mit geeigneten Produkt- und Servicelösungen sowie durch technologisches Know-how in enger ­Kooperation mit der Mobilitätsindustrie aktiv mitgestalten.

Kurzvita

Axel Theis
Vorstandsmitglied bei der Allianz
Axel Theis ist seit 2015 Mitglied des Vorstands der Allianz und verantwortet dort seit 2018 das Versicherungsgeschäft in Deutschland, der Schweiz, Zentral- und Osteuropa sowie das globale Sachversicherungsgeschäft. Der ­promovierte Jurist ­ ist bereits seit 1986 für die Allianz tätig. Die Allianz Gruppe zählt zu den weltweit führenden Versicherern und Asset-Managern und betreut mehr als ­ 92 Millionen Privat- und ­Unternehmenskunden.