Experten beurteilen die wirtschaftliche Lage in Deutschland wieder etwas skeptischer als in den Vormonaten. Mehrheit der Experten im Ökonomen-Barometer sieht Zusammenhang und neue Konjunkturrisiken

Das Ökonomen-Barometer von €uro am Sonntag, eine monatliche Umfrage unter führenden Volkswirten, ist im März um 6,3 Prozent auf 37,7 Punkte zurückgegangen. Noch stärker, nämlich um fast 13 Prozent auf 36 Punkte, sackte die Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden zwölf Monaten ab. Damit ist der Aufwärtstrend des Barometers erstmals seit mehr als einem halben Jahr unterbrochen worden.

Laut einer aktuellen Prognose des Ifo-Instituts wird das Bruttoinlandsprodukt 2023 um 0,1 Prozent schrumpfen. Die Bundesregierung geht dagegen noch von einem leichten Wachstum von 0,2 Prozent aus. Das Ifo-Ins-titut rechnet mit einer Winterrezession, also zwei Quartalen mit negativer Wirtschaftsentwicklung im vierten Quartal 2022 und im ersten Quartal 2023, bevor die Binnenkonjunktur sich wieder erhole, angetrieben auch von steigenden Reallöhnen. Dazu würden sinkende Inflationsraten, aber auch die hohen Tarifabschlüsse beitragen, so die Ifo-Forscher.

Die im Ökonomen-Barometer befragten Experten sehen allerdings in hohen Tarifabschlüssen eher eine potenzielle Gefahr für die Preisstabilität. Das tarifpolitische Klima hatte sich zuletzt weiter aufgeheizt. Angesichts der hohen Inflationsraten hatten Gewerkschaften wie Verdi oder EVG teilweise Lohnzuwächse von 15 bis 18 Prozent gefordert und ihre Forderungen mit Streiks an Flughäfen und Einrichtungen des öffentlichen Dienstes wie Krankenhäusern oder Kitas untermauert.

In der Zwickmühle

Die große Mehrheit der Teilnehmer des Ökonomen-Barometers, 74,5 Prozent, hält die Tarifforderungen für überhöht. 25,5 Prozent sehen sie angesichts der hohen Inflationsrate für gerechtfertigt. „Hohe Lohnabschlüsse sind im derzeitigen Umfeld angemessen und tragen über eine Stärkung des privaten Konsums zu einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung bei“, sagen die Befürworter. Die Gegner hoher Tarifabschlüsse wiederum warnen vor einem Wiederanziehen der Inflation und einer deshalb weiter restriktiven Zinspolitik der EZB, was wiederum die Rezessionsgefahren erhöhe.

Die Kritiker hoher Lohnabschlüsse wie Oliver Landmann von der Uni Freiburg, Michael Frenkel von der Otto Beisheim School of Management oder Friedrich Heinemann vom ZEW lehnen die Forderungen nicht nur ab, sie verweisen auch da-rauf, dass durch höhere Importpreise ausgelöste Wohlstandsverluste ohnehin nicht durch höhere Nominallöhne zurückgeholt werden könnten.

Eine Gegenposition nimmt Thomas Gehrig von der Uni Wien ein, der die EZB als Hauptverantwortliche für den Einstieg in die Lohn-Preis-Spirale sieht. „Die Gewerkschaften stehen ihren Mitgliedern gegenüber in der Verantwortung und nicht gegenüber der EZB, die möglichst billig aus dem selbst geschaffenen Schlamassel he-rauskommen will.“

Auf eine mögliche Kompromissformel verweisen mehrere Ökonomen, darunter Cyrus de la Rubia, Chefvolkswirt der Hamburg Commercial Bank. Demnach könnten überdurchschnittliche Lohnabschlüsse zu verantworten sein, wenn sie mit einer längeren Laufzeit versehen sind. „Dadurch wird Planungssicherheit geschaffen und das Risiko von baldigen Nachforderungen reduziert.“

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