Einer der größten Börsen für Kryptowährungen droht nach einem gescheiterten Verkaufsversuch der Kollaps. Am Markt herrscht Panik. Von Stephan Bauer und Florian Hielscher

Crash in der Kryptowelt: Die dominierende Handelsplattform Binance sagte am Mittwoch kurzfristig die geplante Übernahme des in Schieflage geratenen Konkurrenten FTX ab. Daraufhin stürzten die Kurse der wichtigsten Digitalwährungen dramatisch: Der Bitcoin fiel zwischenzeitlich erstmals seit Anfang 2020 wieder unter die Marke von 16 000 Dollar. Die zweitwichtigste Währung Ether büßte über 14 Prozent ein und stürzte bis auf etwa 1100 Dollar ab. Nach positiven Inflationsdaten aus den USA konnten die Cyber-Devisen im freundlichen Marktumfeld einen Teil der Verluste wieder reinholen. Besonders stark vom Kursbeben betroffen waren Anleger, die den von FTX selbst herausgegebenen Token FTT besitzen, der über die Hälfte seines Werts verlor.

FTX-Gründer Sam Bankman-Fried sagte Investoren, er sei auf der Suche nach einer Notfallfinanzierung, denn Kunden zögen massiv Kapital ab. Laut „Wall Street Journal“ fehlen etwa acht Milliarden Dollar, die Plattform steht damit wohl vor der Insolvenz. Investoren wie der Vermögensverwalter Blackrock oder Japans Tech-Holding Softbank müssen sich auf einen Totalverlust einstellen — ebenso Kryptoanleger, die Assets bei FTX halten.

Noch am Dienstag hatte Binance-Chef Changpeng Zhao eine nicht bindende Absichtserklärung zur Übernahme von FTX abgegeben, was die Kryptowelt zunächst beruhigte. Den Auslöser für die Kehrtwende brachte wohl ein Blick in die Bücher der auf den Bahamas ansässigen Plattform. Es gebe große Lücken in der Bilanz, zudem bestehe das Risiko, dass Binance auch Kundengelder veruntreut habe, hieß es. „Unsere Hoffnung war es, den Kunden von FTX Liquidität bereitzustellen. Doch die Probleme übersteigen unsere Möglichkeiten“, verbreitete Binance über Twitter.


Krypto-Imperium in Not

An diesen Problemen scheint Binance nicht gänzlich unschuldig zu sein. Nach einem Report der auf digitale Währungen spezialisierten Nachrichtenseite Coindesk zu Ungereimtheiten in der Bilanz von Alameda Research verkaufte Binance unter anderem im größeren Stil Einheiten von FTT. Diese hatte das Unternehmen im Rahmen einer früheren Beteiligung erhalten. Dem Verkauf folgte eine spekulative Attacke auf die Währung, durch die FTX gezwungen war, Liqudität bereitzustellen. Dennoch sollte Binance als Retter einspringen. Da selbst die nach Volumen größte Krypto-Börse nicht zugreift, ist eine Übernahme von FTX nach Ansicht von André Dragosch, Head of Research bei der Investmentgesellschaft Iconic Funds, nun unwahrscheinlich. Vielmehr erwartet der Experte eine zeitnahe Insolvenz der Börse. 

Damit droht das Krypto-Imperium des FTX-Geschäftsführers Sam Bankman-Fried zu implodieren. Der US-Amerikaner betreibt neben der Börse noch den Krypto-Hedgefund Alameda. Dessen Bilanz enthält unter anderem große Mengen von FTT sowie Solana. Der Wert der Token brach zuletzt rapide ein. Dass es nicht nur bei FTT, sondern in erster Reaktion marktbreit zu Kursverlusten kam, führt Dragosch auch auf Alameda zurück. Dieser hält auch Assets anderer Kryptowährungen. Für Liquidität waren Verkäufe notwendig. Dragosch zufolge musste sich Alameda bereits im September Liquidität bei FTX beschaffen. Der Experte sieht Alameda in stärkerer Schieflage als die verbundene Börse FTX selbst. 

Lehman 2.0 ?

Angesprochen auf mögliche Parallelen zwischen den Problemen bei FTX und dem Zusammenbruch von Lehman Brothers als Auftakt der Finanzkrise erkennt Dragosch  Ähnlichkeiten beim Aspekt der Kreditvergaben. Bei der Finanzkrise florierte das "subprime"-Geschäft, bei der Schuldner mit eingeschränkter Bonität Darlehen erhalten hatten. Im aktuellen Fall wurden wohl FTT-Token genutzt, um Assets bei Alameda für Kredite nachzuweisen. Ein deutlicher Unterschied: Bei Krediten am Kryptomarkt übersteigen die Sicherheiten meist den Wert der Verbindlichkeiten. Dafür schwanken diese Verbindlichkeiten stärker im Wert. 

Ob nun wie bei Lehman oder nicht: Der Experte sieht den kurzfristigen Boden bei Kryptowährungen noch nicht erreicht. Der Verkaufsdruck halte noch an, zudem sei unklar wie groß das Liquiditätsloch bei Alameda wirklich ist. 

Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Vorstandsvorsitzende und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Bitcoin