Tesla ist jetzt der wertvollste Automobilhersteller der Welt. Der Konzern macht zwar nur ein Zehntel des Umsatzes von Volkswagen, ist aber an der Börse mal eben am größten Autobauer der Welt vorbeigezogen. Nicht schon wieder Tesla? Kann man nicht vergleichen? Das habe ich schon 2014 in einem Gespräch mit Rupert Stadler, damals noch CEO von Audi, gehört. Die Geschäftsmodelle und auch die Ziele seien zu unterschiedlich. Wohl wahr, denn dem Geschäftsmodell von Tesla wird heute deutlich mehr zugetraut als den etablierten Fahrzeugherstellern rund um den Globus.

Klar, das Ganze ist zuerst eine Frage, welche Vision man von der Mobilität und Antriebstechnologie der Zukunft hat. Abgesehen davon, dass Wasserstoff noch nicht aus dem Rennen ist, sind dann jetzt doch alle Hersteller losgelaufen in Richtung Batterie. Immerhin! Aber während Tesla in der Corona-Krise schon beginnt, Mini-Fabriken für die Impfstoffproduktion zu bauen, ist das Innovativste aus Deutschland der Ruf von Conti nach staatlich finanzierter 30-Stunden-Woche, um unsere Überkapazitäten in der Automobilindustrie möglichst lange zu erhalten.

Überhaupt ist der Staat gerade sehr gefragt, wenn es darum geht, mit Veränderungen klarzukommen. Doch die Staatssubventionen werden vor allem für etablierte Geschäftsmodelle und nicht für Innovations- oder Modernisierungsprojekte gefordert. Der Staat wird es so oder so nicht richten, die Corona-Krise als Treiber dringend notwendiger Veränderungen schon eher. Wenn sich nach nicht mal zwei Monaten Lockdown 21 Prozent aller Unternehmen als existenzgefährdet bezeichnen, zeigt das den Handlungsdruck.

Dabei hat Corona mehr für die Digitalisierung unserer Wirtschaft bewirkt als alle Förderprogramme und Digitalstrategien der öffentlichen Hand zusammen. Buchstäblich über Nacht konnte plötzlich flächendeckend virtuell gearbeitet werden, und die Erkenntnis "Geht doch!" setzte sich selbst in den skeptischsten Chefetagen durch.

Die große Frage aktuell ist, ob und wie man das Momentum der Krise nutzen kann oder ob man zügig wieder zurückfällt in alte Arbeits- und Denkmuster. Einige Unternehmen haben es verstanden, jetzt eine strategische Übung zur Neugestaltung ihrer Arbeitswelt aufzusetzen. Die Potenziale sind riesig: Verringerung von Geschäftsreisen um 30 Prozent, Verkürzung von Meetings um 20 Prozent, Reduktion von Büroflächen um 20 Prozent - vorsichtig überschlagen kommen da selbst für mittelgroße Betriebe Millionensummen zusammen. Das schlägt jedes Konjunkturprogramm (wenn man denn überhaupt in deren Genuss kommt). Und das Beste: Richtig gemacht ist das Ganze eine Win-win-Situation für das Unternehmen selbst und für seine Beschäftigten. Seit Jahren steigt die Präferenz für flexibles Arbeiten, und mit der Covid-Krise erleben wir einen regelrechten Hype.

Vertrauen als Grundlage einer neuen Arbeitskultur

In Frankfurt, München und Hamburg verkaufen sich hochwertige Zwei-Zimmer-Wohnungen nicht mehr so leicht, weil der Young Urban Professional verstanden hat, dass er ein richtiges Arbeitszimmer braucht. Konnte man sich in der Vergangenheit mit flexiblen Arbeitsmöglichkeiten als Arbeitgeber noch positiv differenzieren, gilt jetzt nur noch das Gegenteil: unzureichende Optionen für flexibles Arbeiten werden zu einem Ausschlusskriterium für viele kritische Zielgruppen am Arbeitsmarkt. Und den Fachkräftemangel haben wir auch mit der schwersten Wirtschaftskrise der letzten 50 Jahre nicht überwunden.

Nicht jeder kann oder will von zu Hause aus arbeiten? Viele Jobs erfordern eine Anwesenheit am Arbeitsplatz, zum Beispiel im Bereich Fertigung, Krankenhaus, Baustelle und Supermarkt? Das virtuelle Arbeiten hat auch seine Risiken, wie etwa die Entfremdung vom Team und Unternehmen? Alles richtig! Daher brauchen wir ein strategisches Vorgehen zur Gestaltung der neuen Arbeitswelt.

Jetzt darauf zu vertrauen, dass schon das rechte Maß an Flexibilität gefunden wird, ist fahrlässig und verspielt einen guten Teil des Potenzials, das in dem Thema steckt. In vielen Unternehmen wurde schon für weit weniger weit mehr an Aufwand betrieben.

Die Tarifstrukturen und Betriebsvereinbarungen lassen da keinen Spielraum? Die Mitbestimmung in vielen Unternehmen ist bei diesem Thema zu einem guten Teil weit progressiver, als man denkt. Zumindest, wenn man die Arbeitnehmervertreter früh genug in den Prozess einbindet.

Das Argument "Die Leute müssen zurück in die Büros, weil wir sie sonst nicht kontrollieren können" zählt in der Post-Corona-Zeit nicht mehr. "Command & Control" war das Betriebssystem des 20. Jahrhunderts. Die Maxime unserer Zeit heißt Vertrauen, auch wenn es noch so schwerfällt. Vertrauen als Grundlage einer neuen Arbeitskultur braucht Zeit - und die sollten wir uns nehmen. Es wäre doch nicht schlecht, wenn zur Abwechslung mal wir hier in Europa zuerst eine neue, nachhaltigere Arbeitswelt zum Nutzen aller etablieren.

Vorstand der Promerit AG

Wirtschaftsingenieur Kai Anderson arbeitete mehrere Jahre für Unternehmensberatungen, bevor er 1999 gemeinsam mit einem Studienfreund die auf Talentmanagement spezialisierte Promerit AG gründete, die inzwischen zum weltweit tätigen Beratungsunternehmen Mercer gehört.

Anderson ist auch Co-Autor des neuen Buchs "Digital Human - Der Mensch im Mittelpunkt der Digitalisierung".