Was würde der deutsche Anleger bloß ohne den DAX machen? Das Aushängeschild des deutschen Aktienmarkts hat dringend eine Erneuerung gebraucht und sie endlich bekommen. Ab September gewinnt der Index an Statur: Von 30 geht es auf 40 Mitglieder hoch. Noch immer gilt der DAX vielen als Spiegelbild der deutschen Wirtschaft. Diesem Ruf wird er nun etwas besser gerecht als zuvor.

Auch wenn der Umbau viel Zeit gekostet hat und erst einen Skandal (den Wirecard-Betrug) als Anstoß brauchte - mit der Modernisierung hat sich die Attraktivität und Qualität des Index verbessert. Er ist breiter aufgestellt und umfasst mehr Branchen. Damit wird er auch besser investierbar. Die permanenten Wechsel, das Kommen und Gehen von Auf- und Absteigern, haben trotz der bislang überschaubaren Zahl an Indexmitgliedern Tradition. Das wirkt sich zukünftig nicht mehr so stark aus, weil die Streuung breiter ist. Der neue DAX dürfte also etwas mehr Kontinuität zeigen.

Doch Kontinuität ist nicht mit Stillstand gleichzusetzen. Der DAX kann nun auch den - langsamen - Strukturwandel der deutschen Wirtschaft besser reflektieren. Wie im echten Leben braucht ein Wandel auch bei einem Börsenindex seine Zeit. Aber mit dem DAX 40 wird die schrittweise Modernisierung, die "made in Germany" durchläuft, besser sichtbar. So kommen einige Unternehmen hinzu, die in ihren jeweiligen Geschäftssegmenten international sehr gut positioniert sind und daher ein hohes strukturelles Wachstum aufweisen können. Wer hätte etwa vor fünf Jahren gedacht, dass auch ein internationaler Essenslieferant (Delivery Hero) aufgrund seines Erfolgs einmal zur Top-Liga des deutschen Aktienmarkts gehören würde? Dagegen ist der DAX-30-Index noch näher an der "Old Economy": Viele bestehende Indexmitglieder agieren in reifen Märkten und wachsen entsprechend weniger.

Für Anleger ist das eine gute Nachricht. Sie haben nicht nur einen besser investierbaren Index, sondern können auch auf einen zurückgreifen, der gerade eine Blutauffrischung durchläuft. Ab September haben Unternehmen die Perspektive, in den DAX aufzusteigen, die bisher aufgrund der Auswahlkriterien durch das Raster fielen, etwa weil sie zu klein waren. Insgesamt steigen daher die Chancen, dass auch jüngere Unternehmen mit mehr Wachstumspotenzial in die erlauchte Auswahl der 40 wichtigsten börsengehandelten Unternehmen Deutschlands kommen.

Was wird aus den "jungen Wilden" des DAX 40?

Der DAX wird dabei sein Gesicht nicht komplett verändern, sondern nur ein bisschen. Das ist auch gut so. Denn nebenbei läuft ein umfassender Umbau in der "Old Economy", der von vielen Investoren, ob einheimischen oder internationalen, immer noch nicht so richtig wahrgenommen wird. So strengen sich die bisher im Index dominierenden Automobilhersteller gerade stark an, um auch im Zeitalter der Elektromobilität noch wettbewerbsfähig zu bleiben.

Auch andere Traditionsunternehmen arbeiten an neuen Geschäftsmodellen, Produkten oder Strukturen, um weiter mithalten zu können und sich neue Wachstumsfelder zu erschließen. Es findet also eine doppelte Blutauffrischung statt - durch etwas mehr Wachstumsimpulse und zugleich, weniger offensichtlich, indem reife Unternehmen ihre Geschäftsmodelle auffrischen.

Sicherlich wird nicht immer jedes DAX-40-Mitglied erfolgreich sein. Die nächsten Krisen und Höhenflüge werden genauso kommen wie es sie in den 34 Jahren seit Bestehen des Index immer schon gegeben hat. Auch für die "jungen Wilden" des DAX 40 wird nicht immer alles so glatt laufen wie in der Vergangenheit. Mahnende Beispiele gibt es genug. Der Aufstieg und Fall des Zahlungsdienstleisters Wirecard oder die kurzen Gastspiele des Finanzdienstleisters MLP und des Kali- und Salzanbieters K + S haben sich tief in das Elefantengedächtnis der Investoren eingebrannt. Auch wird der DAX 40 nie ein so dominanter Index werden können wie der US-Aktienindex S & P 500. Dazu ist die Auswahl der Unternehmen dann doch zu schmal.

Aber wer bisher auf den DAX als Anlage gesetzt hat, ist trotz aller Skandale und Krisen damit gut gefahren - und das sollte auch in der erweiterten Form weiterhin möglich sein. Zudem bleiben im DAX die Dividenden mit einberechnet, was die Wertentwicklung verbessert. Und gemessen an der Wirtschaftsleistung des Landes ist der Börsenwert der deutschen Unternehmen insgesamt noch deutlich geringer als andernorts. Es ist also noch Luft nach oben.

 


Benjardin Gärtner
Leiter Portfoliomanagement Aktien bei Union Investment

Gärtner ist Mitglied des Union Investment Committee, das auf monatlicher Basis die Kapitalmarktstrategie von Union Investment formuliert.

Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit aktuell rund 370 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.