Ist sie der Meinung, dass sie mit zwei Zinssenkungen bereits genug für die Wirtschaft getan hat? Oder will sich die Fed gegen ihre zunehmende Politisierung durch Präsident Trump wehren. Statt klarer Zinsnavigation für die Finanzmärkte orientiert sich die Fed am Liebesorakel mit Gänseblümchen: Ich senke die Zinsen, ich senke die Zinsen nicht.

Die US-Konjunktur verliert an Robustheit. Die Effekte der markanten Steuersenkungen und Infrastrukturprojekte sind auch angesichts der Bremsspuren des Handelskonflikts verpufft. So ist die von der New York Fed ermittelte Wahrscheinlichkeit für eine US-Rezession innerhalb der nächsten 12 Monate zuletzt auf ca. 40 Prozent gestiegen. Ein derartiges Niveau hat die letzten beiden Rezessionen 2001/2002 und 2008/2009 treffsicher vorhergesagt. Um den längsten Aufschwung der US-Geschichte zu unterstützen, hat die US-Notenbank mit der zweiten Leitzinssenkung in Folge reagiert.

Wachstumsprojektionen der Fed weder Fisch noch Fleisch


Einerseits kommen die sich mehrenden Anzeichen für eine Konjunkturabkühlung noch nicht in den sogar minimal angehobenen Wachstumsprojektionen der Fed zum Ausdruck: 2019 2,2 statt 2,1, 2020 unverändert 2,0 und 1,9 statt 1,8 Prozent in 2021. Andererseits spricht die Fed von schwachen Exporten und Unternehmensinvestitionen. Laut National Federation of Small Business schaut insbesondere der Mittelstand im Vergleich zum Vorjahr deutlich pessimistischer in die Zukunft. Eine gedämpfte Investitionsplanung unterstreicht diese Einschätzung.

Angesichts einer abflauenden Neuauftragslage zeigt sich ebenso der bislang robuste Beschäftigungsaufbau - gemessen am Sechsmonatsdurchschnitt - in Industrie und Dienstleistungsgewerbe rückläufig.

Inflation ist kein Grund für Zinssenkungszurückhaltung


Ein nachhaltiger Ölpreisanstieg im Falle einer Verschärfung am Persischen Golf, der im Energie verschwendenden Amerika wie eine Steuererhöhung wirkt, gäbe der Fed sicherlich weitere Rechtfertigung für noch mehr freizügige Geldpolitik. Dies gilt umso mehr, als dass sich Inflation antreibende, energieseitige Effekte bislang in Grenzen halten.

Auch das US-Lohnwachstum als historisch gefürchteter Inflationstreiber hat sich zurückbewegt. Die Lehrbuchtheorie, wonach billiges und viel Geld über eine Lohn-Preis-Spirale zu höherer Inflation führt, bestätigt sich weiterhin - man denke auch an die geldpolitischen Freizügigkeitsorgien seit 2008 - nicht. Produktivitätsfortschritte über z.B. Digitalisierung wirken sich merklich aus. Von ihrem Zwischenhoch im Sommer 2018 hat sich die US-Inflation deutlich entfernt und liegt aktuell mit 1,7 Prozent unter der für die Fed kritischen Preisschwelle von zwei Prozent.

Die US-Notenbank hält an ihren mauen Inflationsprognosen fest: 1,5 Prozent für 2019, 1,9 Prozent für 2020 sowie 2,0 Prozent für 2021. Überhaupt, historisch betrachtet ist der Fed das Konjunktur-Hemd ohnehin schon immer näher gewesen als der Inflations-Rock.

Die Fed zwischen Konjunktur-Baum und Trump-Borke


In ihren vollständig überarbeiteten Zinsprojektionen - "Dot Plot" genannt - kommt eine Spaltung im Fed-Direktorium zum Ausdruck. Sieben von 17 Geldpolitikern erwarten in diesem Jahr eine weitere Zinssenkung. Die anderen zehn verteilen sich gleichmäßig auf jene, die das aktuelle Zinsniveau für angemessen halten und diejenigen, die denken, dass der Leitzins etwas höher liegen sollte. Insgesamt soll der US-Notenbankzins bis Ende 2020 nun zunächst auf dem aktuellen Niveau verharren, bevor 2021 und 2022 jeweils eine Zinsanhebung geplant ist.

In Stein gemeißelt ist diese falkenhafte Vision allerdings nichts. Die Treffsicherheit von Zinsprojektionen der Fed ist schlecht: Während sie in ihren Juni-Projektionen für 2019 noch keine Senkungen vorsah, hat sie ihre Leitzinsen bis heute zwei Mal verringert. Und tatsächlich lässt sich Powell die Tür für weitere Zinssenkungen offen, indem er bekräftigt, "in Anbetracht der Risiken angemessen zu handeln".

So ist Spielraum für weitere Zinssenkungen vorhanden, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, Erfüllungsgehilfe Trumpscher Zinssenkungswünsche zu sein, der für seinen Wahlkampf gerne Handelsfeindbilder aus China und Europa nutzt und entsprechende Kollateralschäden für Wirtschaft und Aktienmarkt durch die Geldpolitik abfangen lassen will. Unabhängig davon schneidet sich der US-Präsident mit seinen mittlerweile beleidigenden Breitseiten, die Fed solle den Leitzins wie die EZB auf "Null oder weniger" senken, ins eigene Fleisch. Damit ist die US-Notenbank gezwungen, im Kampf um Standing, Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im Zweifel falkenhafter als konjunkturell geboten zu sein. Hätte Trump geschwiegen, wäre er Philosoph geblieben.

Insgesamt rechnen die Finanzmärkte fest mit weiteren Zinssenkungen der Fed. Mindestens eine weitere Zinssenkung um 25 Basispunkte bis Anfang 2020 wird von ihnen fest eingepreist. Anschließend rechnen sie mit weiteren Zinsnachlässen auf schließlich 1,25 Prozent bis Anfang 2021.

Selbst eine weitere Runde quantitativer Lockerung ist nicht auszuschließen. Denn zusätzlich zu den Konjunktursorgen nehmen auch die Verspannungen am US-Interbankenmarkt wegen fehlender Liquidität zu. Die Fed war erstmals seit der Lehman-Pleite 2008 zu kurzfristigen Liquiditätsspritzen von insgesamt rund 205 Mrd. US-Dollar gezwungen. Da die damalige Finanzkrise mit einer Austrocknung am US-Geldmarkt begann, will man eine Wiederholung im Keim ersticken. Insofern denkt die Fed über zukünftig regelmäßige Liquiditätszuschüsse durch erneute Anleiheaufkäufe nach, die renditesenkend wirken.

Marktstimmung - Stabile Seitenlage jetzt, spätere Jahresend-Rallye nicht auszuschließen


Die Finanzmärkte bewegen sich im Spannungsverhältnis zwischen hartnäckigen Konjunktursorgen und geldpolitischer Frohlockung.

Der kurzfristige Angebotsschock am Ölmarkt mit vorübergehend sprunghaften Preissteigerungen nach den Drohnenangriffen auf die saudischen Ölanlagen konnte die Aktienmärkte nicht aus der Ruhe bringen. Mediale Dramatisierungen, die bereits Parallelen zu den Ölpreiskrisen 1973 und 1979/1980 mit anschließender Weltrezession gezogen haben, verfangen nicht, solange militärische Auseinandersetzungen ausbleiben und eine ausreichende Ölversorgung gewährleistet ist. In der Tat dürfte die saudische bzw. Welt-Ölförderung bereits Ende September wieder auf dem Niveau der vergangenen Monate liegen.

In puncto Brexit laufen die bislang ergebnislosen Verhandlungen zwischen Johnson und der EU auf einen Showdown auf dem EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober hinaus. Wenn das Oberste Gericht in London die Zwangspause des Parlaments final als unrechtmäßig einstufen sollte, hätten die Hard Brexit-Gegner Zeit gewonnen, um an einer Verschiebung des Austritts zu arbeiten.

An der US-chinesischen Handelsfront ist es zunächst ruhig. Immerhin jedoch haben sich die über den Sommer vorherrschenden Befürchtungen einer weiteren Verschärfung des Handelskonflikts bis dato nicht bewahrheitet. Insofern sind auch die ZEW Konjunkturerwartungen zuletzt weniger pessimistisch ausgefallen. Eine Befriedung des transpazifischen Handelskonflikts bleibt allerdings die konjunkturelle Bringschuld für fundamental nachhaltig steigende Aktienkurse. Käme es dazu, würden insbesondere zyklische Aktien und Indizes eine Jahresend-Rallye zeigen.

Konjunkturunterstützend wirkt das umfängliche Lockerungspaket der EZB, das die Fiskalpolitik in den Euro-Ländern jeweils für umfangreiche Infrastrukturprojekte nutzen sollte. Europa darf Amerika und China nicht weiter hinterherhumpeln.

Aus Sentimentsicht ist es erstaunlich, dass Anleger nach einer langanhaltenden Korrektur so schnell wieder in Euphorie verfallen. Historisch folgte solchen Euphorieschüben oft die nächste Konsolidierung. Tatsächlich sind vorübergehende Gewinnmitnahmen nicht auszuschließen.

Charttechnik - Wie weit trägt die Aktien-Rallye?


Der DAX trifft bei fortgesetzter Erholung bei 12.500 Punkten auf ersten Widerstand. Wird dieser durchbrochen, nimmt der Index Kurs auf die Marken bei 12.600 und darüber 12.657. Kommt es zu einer Gegenbewegung nach unten, sollte der Index bei 12.254 Halt machen. Ansonsten droht ein Fall bis auf 12.035 und 12.000 Punkte.

Der Wochenausblick für die KW 39 - ifo Geschäftsklima bleibt trüb


In China unterstreichen unter Druck stehende Industriegewinne die angeschlagene Konjunkturlage.

Die US-Konjunktur bleibt trotz zaghafter Stabilisierungsanzeichen der Einkaufsmanagerindices für Industrie und Dienstleistungen anfällig. Die Auftragseingänge langlebiger Güter fallen auch für August schwach aus. Angeschlagen zeigen sich ebenso die Konsumentenausgaben und das -vertrauen gemäß University of Michigan.

In der Eurozone bleibt die Industrie laut Einkaufsmanagerindex auf Schrumpfungs-Kurs, während der Dienstleistungssektor noch dagegen ankämpft.

In Deutschland deutet der ifo Geschäftsklimaindex auf anhaltenden Konjunkturpessimismus hin. Gemäß nachgebendem GfK Konsumklimaindex und schwachen Einzelhandelsumsätzen nimmt auch die Binnenkonjunktur zunehmend Schaden.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.