Kein etablierter Autohersteller setzt so stark auf Elektromobilität wie der Volkswagen-Konzern. Das Werk in Zwickau wurde bereits für 1,2 Milliarden Euro für die Produktion von Stromern umgerüstet. Dort laufen mittlerweile keine Verbrenner mehr vom Band, sondern der ID.3. Der erste reinrassige Elektrowagen von VW hat durchaus das Zeug, dem erfolgreichen Model 3 von Tesla Konkurrenz zu machen. Bei der Reichweite sind die beiden gleichauf. Der ID.3 kommt in der Basisversion mit einer Ladung nach dem Standard WLTP 426 Kilometer weit - 17 Kilometer mehr als Teslas Model 3 mit dem kleinsten Akku.

Ohne Extras kostet der Stromer von VW knapp 35.600 Euro. Beim preiswertesten Model 3 müssen die Kunden dagegen 45.900 Euro auf den Tisch legen, also gut 10.000 Euro mehr. Das wird zwar die "Tesla-Jünger" kaum abschrecken, für "normale" Käufer dürfte der kräftige Preisunterschied bei der Kaufentscheidung aber eine wichtige Rolle spielen. In beiden Fällen müssen von den Preisen noch die 9.000 Euro Kaufprämie für Elektrofahrzeuge abgezogen werden. Der ID.3 ist damit nicht mehr teurer als ein Golf mit Benzin- oder Dieselmotor.

Noch mehr Konkurrenz macht VW Tesla mit dem ID.4. Denn wie beim Model Y handelt es sich hier um einen Elektro-SUV. Den Wagen will VW angeblich schon im vierten Quartal im Gemeinschaftswerk mit SIAC in Shanghai produzieren. Der Preis ist bislang unbekannt. In Deutschland soll ab 2022 das VW-Werk in Emden die Produktion übernehmen. Dort will VW auch E-Autos der Marken Skoda und Seat bauen. Insgesamt sollen in Emden bis zu 300.000 Fahrzeuge mit Elektromotor pro Jahr vom Band rollen.

In der Premiumklasse macht der VW-Konzern Tesla mit dem Porsche Taycan schon seit Ende 2019 Druck. Der rein elektrisch angetriebene Sportwagen verkaufte sich in der ersten Hälfte des laufenden Jahres rund 4.500-mal. Zwar blieb er damit deutlich hinter dem Model S und X zurück, von denen im selben Zeitraum knapp 23.000 Stück verkauft wurden. Bei den in die Jahre gekommenen Tesla-Modellen sind jedoch schon seit Langem die Absatzzahlen rückläufig.

Noch in diesem Jahr will die Marke Volkswagen 100.000 seines jüngsten E-Modells herstellen. Dazu kommen noch in etwa 50.000 e-Golfs und E-Ups. Das soll aber erst der Anfang sein. VW gibt Gas. Schon im Jahr 2023 will Volkswagen rund eine Million reine Stromer produzieren. Zum Vergleich: Tesla will dieses Jahr 500.000 Fahrzeuge verkaufen. Allerdings lieferten die Amerikaner im ersten Halbjahr 2020 "nur" rund 185.000 Fahrzeuge aus.

Noch ist Tesla dreimal so viel wert wie Volkswagen

Vor allem für Europa sind die Aussichten gut. Hier ist spätestens ab kommendem Jahr mit deutlich steigenden Verkäufen zu rechnen. Denn dann gelten strenge Grenzwerte für den CO2-Ausstoß von Neuwagenflotten. Bei deren Überschreiten werden empfindliche Strafzahlungen fällig. Das könnte vor allem VW als größten Autohersteller der Welt hart treffen. Experten rechnen in der Spitze mit bis zu 4,5 Milliarden Euro, die VW zahlen müsste. Da dürfte es deutlich günstiger sein, den Verkauf von emissionsfreien E-Autos zu pushen und damit die CO2-Obergrenzen einzuhalten.

Neben der begrenzten Reichweite galt lange Zeit auch die zu geringe Zahl von Ladepunkten als ein Flaschenhals für die Verbreitung von E-Autos. Tesla hat hier frühzeitig begonnen, seine Absatzmärkte mit seinen Superchargern auszurüsten. Auch hier zieht jetzt VW nach. Allein in Deutschland sollen bis 2025 zusätzlich 4.000 Ladepunkte entstehen. Zusammen mit den Händlern will der Konzern in Europa für 36.000 neue Ladepunkte sorgen, die obendrein sogar erneuerbaren Strom verwenden.

Wenn VW seine Vorhaben tatsächlich umsetzt und bei E-Autos zum Weltmarktführer avanciert, dürfte die Aktie in Bewegung kommen. Wie groß der Hebel ist, verdeutlicht der Vergleich mit Tesla. Derzeit ist der amerikanische E-Auto-Pionier an der Börse etwa dreimal so viel wert wie der gesamte Volkswagen-Konzern. Erste Signale, wohin die Reise der Wolfsburger geht, dürfte der Verkaufsstart des ID.3 liefern.

Norbert Hagen
 


Kapitalmarktexperte

Hagen ist Vorstandssprecher bei der ICM InvestmentBank, Berlin. Vor 13 Jahren übernahm der promovierte Wirtschaftswissenschaftler zudem das Management des Mischfonds Leonardo, der wiederholt prämiert wurde. Seinen Anlagestil bezeichnet Hagen selbst als grundsätzlich opportunistisch, er investiert bevorzugt in ein sehr breites Spektrum an Unternehmensanleihen. Dabei vertraut er auf die detaillierte Fundamentalanalyse der jeweiligen Schuldner.