Wird eine Aktie erstmals an der Börse gehandelt, erlaubt der Kursverlauf des ersten Tages (IPO-Tag) keinen Rückschluss auf die zukünftige Wertentwicklung. Und bei rund der Hälfte der Börsengänge entwickelten sich die Kurse später gegenläufig zur Tendenz des ersten Börsentags. Das ist das ­Ergebnis unserer Untersuchung, bei der wir die Kurse von 41 Neuemissionen am deutschen Aktienmarkt seit Januar 2014 über einen Zeitraum von zwei Jahren nach deren Börsengang beobachteten.

Bei 20 Unternehmen entwickelten sich die Kurse in den folgenden zwei Jahren entgegen der Tendenz des ersten Börsentags. Bei 13 Unternehmen, deren Schlusskurs bei der Premiere über dem Ausgabepreis lag, waren in den zwei Folgejahren teilweise deutliche Kursverluste festzustellen. Dagegen konnten sieben Gesellschaften abweichend vom ungünstigen Kursverlauf des ersten Handelstags in der Folgezeit teilweise deutliche Kursgewinne verzeichnen. Also sollten Kursgewinne am ersten Tag des Börsenhandels weder zu Euphorie verleiten noch rechtfertigen Kursverluste am ersten Börsentag, den Stab über einem Unternehmen zu brechen.

Bei 21 der untersuchten 41 Aktien setzte sich die Tendenz des ersten Handelstags in den folgenden zwei Jahren fort. Davon zeigten 14 Gesellschaften einen weiteren Kursanstieg - genau wie an Tag eins. Zugleich offenbarten sieben Gesellschaften, deren Schlusskurs bereits am ersten Handelstag unterhalb des Ausgabepreises lag, auch in den beiden Folgejahren eine anhaltende Kursschwäche. Der Erfolg eines Börsengangs wird auch nicht durch die Kursentwicklung am ersten Handelstag bestimmt, sondern steht schon vor Handelsstart fest. Denn die Aktien sind in der Regel bereits bei den neuen Investoren platziert, bevor überhaupt der erste Kurs an der Anzeigetafel erscheint. Entscheidend ist, dass die Unternehmen ihr Selbstverständnis als "public company" verinnerlichen. Dazu müssen sie nicht nur die vor dem Börsengang angekündigten Ergebnisse liefern, sondern auch kontinuierlich und professionell mit dem Kapitalmarkt kommunizieren.

In den zwei Jahren nach dem Börsengang verzeichnete Covestro mit plus 198 Prozent die beste Wertentwicklung. Die Aktie des Chemieunternehmens lag bereits am IPO-Tag mit zehn Prozent im Plus und entwickelte sich nach zwei Jahren mit einer Kapitalisierung von rund 13 Milliarden Euro zu einem echten Schwergewicht. Auf Platz 2 liegt die Aktie von Siltronic. Der Hersteller von Wafern für die Halbleiterindustrie erreichte mit plus 174 Prozent innerhalb von zwei Jahren einen Börsenwert von mehr als zwei Milliarden Euro. Platz 3 belegt die Aktie von Brain. Das Biotechnologieunternehmen erreichte mit plus 171 Prozent innerhalb von zwei Jahren einen Börsenwert von rund 400 Millionen Euro und boxt in einer mittleren Gewichtsklasse.

Dagegen büßten die Aktionäre einiger leichtgewichtiger Neu­emissionen ihren Einsatz weitgehend ein. Wer etwa am 27. Januar 2014 Aktien des chinesischen Textilproduzenten Tintbright beziehungsweise dessen deutscher Holding erwarb, erlitt einen Totalverlust. Die Papiere wurden zwei Jahre später nicht mehr an der Börse notiert. Vorstand und Aufsichtsrat sind abgetaucht und die Gesellschaft ist auch postalisch nicht mehr erreichbar. Auch Aktionäre, die am 5. November 2015 die Aktie des Bekleidungsherstellers Steilmann erwarben, hatten mit einem Verlust von 99 Prozent nahezu ihr gesamtes Kapital verloren. ­Aktionäre des chinesischen Automobilzulieferers JJ Auto, der ab Mitte 2014 an der Frankfurter Wertpapierbörse notierte, mussten gleichfalls eine Wertminderung um 99 Prozent verkraften. Der Schlusskurs der JJ-Auto-Papiere lag am ersten Handelstag zwar noch sechs Prozent über dem Erstausgabepreis, doch schon bald sanken die Kurse und brachen nach einem Jahr weiter ein.

Zur Person: Henryk Deter
Deter hat International Business Administration in Wiesbaden und den USA studiert. Seit 2001 arbeitet er für Cometis, seit 2007 ist er im Vorstand der Beratungsgesellschaft für Kapitalmarktkommunikation. Die 2000 gegründete Cometis hat seither mehr als 500 Kapitalmarktprojekte aus allen Börsensegmenten erfolgreich abgeschlossen und in den letzten Jahren über 25 Börsengänge zum Erfolg geführt.