Europa, als was war das noch einmal gedacht? Es war gedacht als eine solidarische Völkergemeinschaft mit dem Ziel eines friedlichen Zusammenlebens, prosperierender Wirtschaft, der Wahrung der Menschenrechte, der Demokratie und der Freizügigkeit. Geschützt und garantiert werden sollte das durch die Verträge von Maastricht und Lissabon, das EU-Parlament, die Europäische Kommission, den Europäischen Rat, den EuGH und die EZB.

Die ersten wirklichen Herausforderungen für den Euroraum stellten pikanterweise ausgerechnet die Währung selbst und die zunehmende Ablehnung des aus Brüssel kommenden Direktionismus dar. Um den schönen Schein des Euro zu wahren, wurden Verträge gebrochen und die Solidargemeinschaft schleichend in eine Haftungsgemeinschaft überführt. Und die Regulierungswut der demokratisch in keiner Weise legitimierten EU-Kommission hat europafeindlichen Kräften mehrgenutzt als geschadet. Die neue Nagelprobe in Form der Flüchtlingsproblematik ist jedoch aus ganz anderem Holz geschnitzt. Vorgestern scheiterte der Versuch, die EU-Staaten auf einen solidarischen, ausgewogenen Umgang mit der Bewältigung der Krise einzuschwören. Und gestern gab das in London ansässige IISS, das als weltweit bedeutendste politisch-militärische Denkfabrik gilt, bekannt, dass man nicht davon ausgehe, dass die EU zu einer solidarischen Lösung der Flüchtlingsproblematik kommen werde.

Dass die Bundesregierung mit ihrem auf eine "einmalige Sondersituation" gestützten Einreisefreibrief gleich die nächste "einmalige Sondersituation" provozierte, die sie nach nur wenigen Tagen zu einer 180 Grad-Wende und der Wiedereinführung von Grenzkontrollen veranlasste, ein verheerendes Signal der Planlosigkeit aussendet, liegt auf der Hand. Dass die Kanzlerin mit ihrer ersten einsamen Entscheidung sehr viel Menschlichkeit bewiesen, mit diesem Verstoß gegen EU-Recht aber noch mehr Verunsicherung ausgelöst hat, lässt sich ebenfalls nicht wegdiskutieren.

Ich meine: Die EU/Europa zeigt beängstigende Auflösungserscheinungen. Die Unfähigkeit dieses durch die individuelle Hoffnung auf Vorteile zusammengeschusterten Staatengebildes, ernsthafte Probleme zu lösen, wird nun immer offenkundiger. Und damit schwindet der nötige Wille zum Zusammenhalt eines Wirtschaftsraums, der für andere Wirtschaftsregionen eine unliebsame Konkurrenz bedeutet.

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Die Hoffnung auf den Sechser im Lotto



Es gibt Leute - und vermutlich sind es gar nicht wenige - die hangeln sich mit ihrer persönlichen Glücksplanung Woche für Woche von Mittwoch zu Samstag. Zwischen diesen Tagen der Lottoziehungen hangeln sie sich dann so durch. Für viele Anleger, sowohl Bullen als auch Bären, stellen die Sitzungen der US-Notenbank ganz ähnliche Hotspots der Hoffnung dar. Für die Optimisten, weil sie hoffen, dass die FED angesichts der bekannt wenig vertrauenswürdigen US-Konjunkturdaten weiter an ihrer ultralockeren Geldpolitik festhält, die anderen, weil sie von einer in den letzten Jahren ebenso blind wie ineffektiv handelnden Notenbank nun endlich einmal eine Dummheit in die andere Richtung erwarten.



Quelle: www. secretz-online.de

Die Entscheidung über Wohl oder (sehr) Wehe an der Wall Street und damit auch an allen anderen Aktienbörsen hängt allerdings weniger vom Zinsentscheid der US-Notenbank ab als vielmehr von den Aktionen der institutionellen Anleger.

Was diese Klientel an Aktien kauft oder verkauft, entzieht sich allerdings weitgehend dem Blick oder Öffentlichkeit. Denn geschätzte 40 - 50 Prozent des Aktienhandels laufen heutzutage über sgn. Dark Pools ab. Die dort abgewickelten Transaktionen werden anderen Marktteilnehmern nicht bekannt. Wie gestern bekannt wurde, muss die schweizerische Crédit Suisse wegen intransparenter Geschäfte nun 80 Millionen US$ Strafe an die US-Behörden zahlen; die UBS hatte im Rahmen eines Vergleichs im Januar bereits der Zahlung von 14,4 Millionen Dollar zugestimmt.

Einen verlässlichen (und vermutlich den einzigen) Hinweis auf das marktentscheidende Verhalten der großen Anleger stellt nach wie vor die Veröffentlichung der im obigen Chart abgebildeten Margin Debt dar. Aus diesen an die New York Stock Exchange zu übermittelnden Daten lässt sich ablesen, inwieweit die Institutionellen bereit sind, Aktien auf Kredit zu kaufen. Im Juli zeigte sich eine deutliche Abwärtszacke. Die Augustdaten kommen erst in zwei Wochen. Aber ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf, dass sie weiter abwärts weisen werden.

Sieht man sich die Übereinstimmung der Margin Debt mit S&P 500 an, wäre es fast schon verblüffend, wenn ein Trendwechsel - und ich meine einen richtigen - an der Wall Street ausbliebe.

Auf Seite 3: Trendbrüche fast überall





Trendbrüche fast überall



Notenbanksitzungen gibt es wie Lottoziehungen immer wieder. Und dem allgemeinen Gackern darüber, was die FED nun morgen tun oder aber auch lassen wird, will ich keinen eigenen Senf hinzufügen, zumal ich keinen blassen Schimmer habe. Sehen wir uns stattdessen einfach einmal an, was die großen US-Indizes treiben:



Quelle: www. secretz-online.de

Der NYSE Composite als marktbreitester US-Index hat bereits 2014 seine seit Frühjahr 2009 bestehende Aufwärtstrendlinie nach unten durchbrochen. Seitdem befand er sich in einer sgn. Distributionsphase, in der in der Regel versucht wird, Aktien von großen Anlegern auf Kleinanleger umzuschichten, denen sehr positive Aussichten avisiert werden. Glaubten die großen Spieler dieses Spiels selbst daran, würden die Kurse steigen.

Zuletzt mündete dieses Spielchen allerdings in einen Abwärtsbreak unter die Hochs von 2007 ein. Ein sehr deutliches Warnsignal, das vom Absacken des Momentum-Indikators auf ein Mehrjahrestief bestätigt wurde.



Quelle: www.secretz-online.de

Beim S&P 500 ergibt sich ein ganz ähnliches Bild. Sehen Sie sich bitte auch hier den Momentum-Indikator an. Richtig böse wird es hier erst werden, wenn der Index die Marke von 1.800 unterschreiten sollte. Das sieht vielleicht auf den ersten Blick "weit weg" aus, ist es aber angesichts des ersten Kursschubs nach unten nicht.



Quelle: www.secretz-online.de

Für Charttechniker noch interessanter ist zweifellos der Chart des weltweit bekanntesten Aktienindex, des Dow Jones. Denn hier sehen wir ein sehr langfristiges, potentiell sehr bearishes "Magaphon", aus dem der Index zum Jahreswechsel 2012/2013 nach oben ausgebrochen ist, um nun wieder in diese Formation zurückzufallen. Und das ist ausgesprochen bearish!



Quelle: www. secretz-online.de

Der einzige maßgebliche US-Index, der noch nicht unter die 2009er Aufwärtstrendlinie gefallen ist, ist der NASDAQ. Aber auch er hat ein kleines Problem, vor dem ich vor längerer Zeit bereits hingewiesen hatte: Der Index ist an den zu Zeiten der "New Economy" markierten Hochs gescheitert und hat exakt nach Erreichen dieses Topps nach unten abgedreht. Noch ist der Trend hier intakt, das Unvermögen, zu neuen Hochs durchzustechen, ist jedoch auch nicht als bullish zu bewerten.

Charttechnisch ist die Wall Street bereit für den "Blattschuss". Vielleicht, wenn Sie wissen, was ich meine, fliegt ja bald mal ein schwarzer Schwan vorbei. …

Auf Seite 4: Gold: Vor letztem Ausverkauf





Gold: Vor letztem Ausverkauf



Krisen, wohin man schaut - und die Edelmetalle kommen nicht auf die Füße, obwohl in London angeblich keine physische Arme mehr zu kaufen ist, das "Papiergold" (verbriefte Rechte zum Goldbezug) mittlerweile das 200fache des überhaupt verfügbaren Goldes übersteigt und sich Indien und China dumm und dämlich mit Gold eindecken.

Der Goldmarkt ist ein Ding für sich. Zweifellos ist auch er manipuliert. Und genau deswegen mag ich auch hier nur den Chart:



Quelle: www. secretz-online.de

Und was ich da sehe, das weckt alte Erinnerungen. Denn meine Prognose eines Goldpreises von unter 1.000 US$/oz. hat schon einen etwas längeren Bart. Erfüllen dürfte sie sich m. E., sobald der Unzenpreis in London unter 1.080 US$ schließt. Einen Put wäre das dann wert, meine ich.

Da mich Börse Online als Wirtschafts-/Börsenmagazin bat, den "politischen Teil" meiner Kolumnen zielgruppenorientiert zu reduzieren, komme ich dem nach, habe aber die Erscheinensweise meiner Beiträge von wöchentlich auf 14tägig geändert. Wer an meinen wöchentlichen Kommentaren interessiert ist, für den gibt es ja meinen immer samstags erscheinenden, kostenlosen pp-Newsletter, für den Sie sich unter https://www.private-profits.de/newsletter.html an- und natürlich auch jederzeit wieder abmelden können.

Viel Erfolg und beste Grüße

Axel Retz

Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt die Portale www.private-profits.de und www.moneyversum.de .