Die enorme Silber-Rallye führt zu immer neuen Rekordhoch: Industrieller Boom, Dollar-Schwäche und geopolitische Spannungen könnten die Preise bis 2026 weiter verdoppeln, glauben Analysten.
Silber erlebt im Herbst 2025 eine Preisrallye, wie es sie in dieser Form noch nie gegeben hat. Mit einem Anstieg um mehr als 80 % seit Jahresbeginn und einem neuen Allzeithoch bei 53 US-Dollar je Feinunze ist der „kleine Bruder“ des Goldes ins Rampenlicht der globalen Finanzmärkte gerückt.
Immer mehr Experten sprechen inzwischen nicht mehr nur von einer spekulativen Bewegung, sondern von dem Beginn eines neuen, möglicherweise historischen Superzyklus.
Ein Allzeithoch mit Signalwirkung
Der Sprung über die psychologisch bedeutende 50-Dollar-Marke markiert einen Wendepunkt. In der Vergangenheit hatte Silber dieses Niveau nur zweimal erreicht: 1980 während der Hunt-Brothers-Spekulationsblase und 2011 während der Nachwehen der globalen Finanzkrise. Beide Male folgten scharfe Korrekturen. Diesmal aber mehren sich die Zeichen, dass die Bewegung strukturell tiefer verankert ist.
Philippe Gijsels, Chief Strategy Officer bei BNP Paribas Fortis, bringt es auf den Punkt: „Wir stehen noch näher am Anfang als am Ende dessen, was einer der größten Bullenmärkte der Geschichte werden könnte.“ Gijsels rechnet mit einer temporären Verschnaufpause – nicht mit dem Ende der Rallye. Sein Preisziel: dreistellig.
Silver to hit $100 by the end of 2026 says BNP Paribas and Solomon Global 🚨🚨 pic.twitter.com/wshWWjE9LU
— Barchart (@Barchart) October 14, 2025
Ein perfekter Sturm aus Industrieboom, Inflation und Geopolitik
Mehrere Kräfte wirken derzeit zusammen und verleihen dem Metall eine neue Dynamik. Da ist zunächst der industrielle Bedarf: Silber ist ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Technologien – von Solarmodulen über Halbleiter bis hin zu High-End-Elektronik. Die globale Energiewende, insbesondere der massive Ausbau der Photovoltaik in China, Indien und den USA, treibt die Nachfrage auf Rekordniveau.
Hinzu kommt eine wachsende Wahrnehmung des Metalls als Wertspeicher. Die Aussicht auf fallende Zinsen in den USA, eine zunehmende Entwertung des Dollars und politische Unsicherheit – befeuert durch neue 100 %-Zölle der US-Regierung auf chinesische Importe – verstärken den Run auf Sachwerte. Während Gold traditionell als sicherer Hafen gilt, rückt Silber wegen seiner Doppelfunktion als Industrie- und Anlagegut zunehmend in den Fokus institutioneller Investoren.
Paul Syms von Invesco erklärt: „Das Interesse an Silber stieg sprunghaft an, als das Gold-Silber-Verhältnis nach der ‚Liberation Day‘-Rallye über 100 kletterte. Historisch folgt darauf oft eine starke Gegenbewegung zugunsten von Silber.“
Realwirtschaftliche Treiber statt Spekulationsblase
Anders als bei der Silberhausse von 1980 oder 2011 wird die aktuelle Aufwärtsbewegung nicht primär von spekulativen Exzessen, sondern von realwirtschaftlichen Kräften getrieben. Paul Williams von Solomon Global spricht von „einem sich vertiefenden strukturellen Defizit, Rekordnachfrage und einem Angebotsengpass“.
Die Fördermengen können mit der Nachfrage kaum Schritt halten. Große Minenbetreiber haben in den vergangenen Jahren zu wenig investiert. Gleichzeitig werden Silbervorräte weltweit zunehmend von staatlichen und institutionellen Investoren gebunkert. Für Williams ist das erst der Anfang: „Das duale Profil als Industriemetall und Wertspeicher ist der Katalysator für eine nachhaltige Neubewertung.“
Historischer Ausbruch: Warum die Marke von 50 Dollar diesmal eine andere ist
Jesse Colombo, Herausgeber des renommierten „The Bubble Bubble Report“, betrachtet den Ausbruch über 50 Dollar als Beginn eines neuen säkularen Bullenmarktes, der ein Jahrzehnt oder länger andauern könnte. „Kein Anleger, der jemals Silber gekauft hat, sitzt jetzt auf Verlusten – das verändert die Marktpsychologie dramatisch“, sagt Colombo.
Er weist darauf hin, dass der Silberpreis inflationsbereinigt trotz des nominalen Rekordhochs weit unter früheren Spitzenwerten liegt. Gemessen an der Geldmenge M2 oder der US-Staatsverschuldung sei Silber sogar historisch billig. So lag das Verhältnis von Silberpreis zur Geldmenge 1980 bei über 1.000 Punkten, 2011 bei 176 – und heute gerade einmal bei 66. Das spricht für erheblichen Aufholbedarf.
— Jesse Colombo (@TheBubbleBubble) October 16, 2025
Die ETF-Dynamik als Beschleuniger
Ein weiterer Faktor, der die Rallye verstärken könnte, ist der Kapitalzufluss in physisch hinterlegte Silber-ETFs. Der iShares Silver Trust (SLV), der größte Fonds seiner Art, hat seine Bestände in den vergangenen zwei Jahren um rund 19 % erhöht – deutlich weniger als die Preisentwicklung. Sollte sich diese Lücke schließen, könnten zusätzliche Nachfragewellen den Preis weiter nach oben treiben.
Colombo selbst erwartet sogar ein Verzehnfachungsszenario bis 2030 – auf 500 Dollar je Unze. Das ist extrem optimistisch, aber nicht völlig aus der Luft gegriffen, wenn man die strukturelle Knappheit, die grüne Industriepolitik vieler Länder und die wachsende Bedeutung von Silber im monetären Narrativ berücksichtigt.
Ausblick: Noch Luft nach oben
Ob Silber tatsächlich die 100-Dollar-Marke bis Ende 2026 erreicht, ist offen. Doch die Markttreiber sind real: strukturelles Angebotsdefizit, Rekordnachfrage aus Zukunftsbranchen, geopolitische Spannungen, ein schwächer werdender Dollar und ein wachsender Zufluss institutionellen Kapitals.
Was 2025 begann, könnte sich als Beginn eines neuen Superzyklus erweisen – vergleichbar mit den Rohstoffrallyes der 1970er und 2000er Jahre. Sollte der Ausbruch nachhaltig sein, könnte Silber nicht nur die Schlagzeilen, sondern auch die Portfolios vieler Investoren dominieren.
Silber ist mehr als nur ein „billigeres Gold“. Die Kombination aus industrieller Relevanz und monetärer Aufladung macht das Metall zu einem potenziellen Hauptprofiteur des aktuellen geopolitischen und makroökonomischen Umbruchs. Ein Preis jenseits von 100 Dollar ist längst kein Rand-Szenario mehr – sondern für viele Experten eine plausible Projektion.
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Hinweis auf Interessenkonflikte: Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Silber