Die Preis-Explosion bei Silber lässt selbst erfahrene Fachleute staunen. Unser Gastautor Ulf Heyen erklärt, warum die Mechanismen hinter dem Kursanstieg auch für andere Märkte relevant sind - und was das für die Entwicklungen bei Gold und beim Bitcoin bedeuten kann.

Der kräftige Silberpreisanstieg auf zeitweise knapp 75 US-Dollar rund um Weihnachten hat eine lange verdrängte Frage mit Wucht zurück auf die Agenda der Finanzmärkte gebracht: Wie stabil sind Märkte, in denen ein Vielfaches an Ansprüchen zirkuliert, verglichen mit dem tatsächlich verfügbaren Basiswert? Beim Silber wird dieses Spannungsfeld seit Jahren theoretisch diskutiert, doch zum Jahreswechsel 2025/26 wurde es erstmals praktisch relevant. China stoppte in dieser Phase faktisch den Abfluss physischen Silbers und band das Metall im eigenen Markt. 

Damit wurde sichtbar, was bislang abstrakt blieb: Wer die physische Verfügbarkeit kontrolliert, kontrolliert im Zweifel den Markt. Damit drängt sich die Frage auf: Lässt sich dieses Muster auch auf Gold und Bitcoin übertragen? Droht dort ein ähnliches Szenario? Und wer könnte dort jeweils die Rolle des Gatekeepers übernehmen?

Silber: China, Industrie und der engste Markt

Beim Silber ist die Lage vergleichsweise klar. Der Markt ist klein, die Nachfrage stark industriegetrieben und der Handel in Silber weist traditionell eine hohe Diskrepanz zwischen Ansprüchen auf Papier (Futures) und physischer Nachfrage nach dem Metall auf. Je nach Schätzung liegt die Silver-Paper-Ratio zwischen etwa 200:1 und über 300:1, also mehrere Hundert Unzen Papier-Silber pro tatsächlich verfügbarer Unze.

China spielt in diesem Markt eine Schlüsselrolle. Das Land ist nicht nur einer der größten Produzenten, sondern auch der wichtigste industrielle Verbraucher, etwa für Solarzellen, Elektronikbauteile und in der Elektromobilität. In Phasen physischer Knappheit exportiert China faktisch weniger oder gar kein Silber, sondern bindet das Metall im eigenen Industriekreislauf. In Kombination mit steigender Nachfrage aus ganz Asien bedeutet das: Der Westen kann den Papiermarkt zwar weiter handeln, aber physisch wird die Grenze dichtgemacht. Genau das macht Silber so explosiv. Wer Lieferung will, muss bezahlen - oder er geht leer aus.

Silber (WKN: 965310)

Gold: Zentralbanken und das unallocated System

Beim Gold ist der Markt deutlich größer und träger, aber strukturell ähnlich aufgebaut. Ein erheblicher Teil des weltweiten Goldhandels läuft über unallocated Konten im Londoner OTC-Markt. Diese läuft nicht über den konkreten Austausch von Barren, sondern über einen Anspruch gegen den Verwahrer. Schätzungen zur Gold-Paper-Ratio variieren stark, bewegen sich aber meist in einer Größenordnung von etwa 50:1 bis 100:1, abhängig davon, ob man Futures, OTC-Kontrakte und ETFs einbezieht.

Der entscheidende Unterschied zu Silber ist, wer hier die Grenze dichtmachen kann. Bei Gold sind es nicht Industrieabnehmer, sondern Zentralbanken und staatliche Akteure. Seit Jahren akkumulieren vor allem Schwellenländer physisches Gold und reduzieren so gleichzeitig ihre Abhängigkeit vom Dollar. Sollte das Vertrauen in unallocated Strukturen sinken, würden genau diese Akteure nicht liefern, sondern weiter horten. Das physische Gold verschwindet dann nicht wegen Knappheit, sondern wegen strategischer Zurückhaltung.

Ein Goldmarkt unter Stress würde daher weniger chaotisch wirken als Silber, aber die Auswirkung auf den Preis wäre nicht minder stark. Die Grenzen wären nicht plötzlich geschlossen, sondern still verriegelt. Wer physisches Gold will, zahlt einen Aufpreis oder wartet. Papierpreise könnten noch existieren, aber sie verlören an Relevanz.


Bitcoin: Börsen, Verwahrer und die Illusion von Papier-BTC

Bitcoin scheint mit den oben genannten Märkten auf den ersten Blick nicht vergleichbar. Die maximale Menge ist bekannt, jede Einheit ist auf der Blockchain überprüfbar. Dennoch existiert auch hier eine Form von Papiermarkt. Dieser entsteht nicht allein durch Futures, sondern durch Börsenguthaben, Kreditvergabe, Derivate und synthetische Produkte (Perpetuals).

Eine exakte Bitcoin-Paper-Ratio lässt sich nicht seriös beziffern. Grobe Marktschätzungen gehen jedoch davon aus, dass auf liquide verfügbare On-Chain-Bestände zeitweise ein Vielfaches an ökonomischem Exposure entfällt. Betrachtet man offene Derivatepositionen, verliehene Coins und nicht selbst verwahrte Bestände, bewegen sich die impliziten Hebelverhältnisse oft im Bereich von 2:1 bis 5:1, in Extremphasen auch darüber. Das ist deutlich niedriger als bei Silber oder Gold, aber durchaus ebenso strukturell relevant.

Die Frage der Grenzschließung stellt sich hier anders. Bei Bitcoin sind es Börsen und Verwahrer, die im Stressfall die Grenze dichtmachen können; etwa durch Auszahlungsstopps oder verzögerte Abhebungen. Gleichzeitig sind es die Nutzer selbst, die durch Selbstverwahrung die Grenze aktiv verschieben können. Jeder Coin, der eine Börse verlässt, entzieht dem Papiermarkt Substanz.


Ein gemeinsames Muster mit unterschiedlichen Akteuren

Der Vergleich zeigt: Das Prinzip ist identisch, die Akteure sind es nicht.

Bei Silber ist es China und die Industrie, die physisch abschotten.

Bei Gold sind es Zentralbanken und staatliche Strategien.

Bei Bitcoin sind es Börsen, Verwahrer und letztlich die Nutzer selbst.

Die Paper-Ratios unterscheiden sich deutlich, Silber ist in dieser Kategorie der extremste Markt, Gold der systemisch wichtigste und Bitcoin der transparenteste - aber auch der jüngste. Gerade deshalb wirkt Silber oft wie ein Frühwarnsystem. Wenn dort das Vertrauen in Papier-Verträge kippt, beginnt eine Diskussion, die sich zwangsläufig auf andere Märkte ausdehnt.

Fazit

Die Frage ist nicht, ob Papiermärkte existieren. Die Frage ist, wer im Ernstfall entscheidet, ob geliefert wird. Silber macht dieses Problem gerade sichtbar. Gold trägt die Frage seit Jahren leise mit sich herum. Bitcoin stellt sie erstmals in digitaler Form. Wer die Grenze kontrolliert, kontrolliert nicht nur den Preis, sondern das Vertrauen. Und genau dieses Vertrauen steht derzeit wieder zur Debatte.


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