Der Umbau dises Traditionsunternehmens schreitet voran, und die Abspaltung einer zentralen Spare wird immer wahrscheinlicher. Gelingt das, dann scheint die Aktie deutlich unterbewertet 

Beim Essener Industriekonzern Thyssenkrupp deutet sich ein historischer Wendepunkt an. Denn die Verhandlungen mit dem indischen Stahlriesen Jindal Steel über den Verkauf der Stahlsparte treten in die entscheidende Phase. Die geplante Übernahme wäre dabei Jindals erster größerer Einstieg in den europäischen Stahlmarkt. Dies wäre strategisch bedeutsam, um dort Fuß zu fassen und die EU-Handelsbeschränkungen zu umgehen. Zudem verfügt Thyssenkrupp Steel über hoch entwickelte Technologien für die Stahlproduktion, was den Bereich für den potenziellen Käufer noch wertvoller macht. 

Knackpunkt sind die Pensionslasten von ThyssenKrupp

Die Gespräche mit Jindal, die schon konkrete Investitionspläne für Thyssenkrupp Steel angekündigt haben, drehen sich nun vor allem um ein komplexes finanzielles Konstrukt, bei dem die Pensionslasten von 2,5 bis 2,7 Milliarden Euro den Knackpunkt darstellen. Branchenexperten diskutieren dabei zwei grundlegend verschiedene Szenarien: Viele Beobachter gehen davon aus, dass Thyssenkrupp dem Käufer Jindal eine finanzielle „Mitgift“ zahlen müsste, damit die Inder die Stahlsparte mit ihren Pensionslasten überhaupt übernehmen. Es gibt aber auch Stimmen, wonach Jindal über zwei Milliarden Euro plus Pensionsübernahme bieten würde — ein deutlich positiveres Szenario, das die Konzernbilanz erheblich entlasten würde.

Nach der kürzlich erfolgten Einigung zwischen Thyssenkrupp und der IG Metall über einen umfassenden Sanierungstarifvertrag 2025 sind die Weichen für den möglichen Verkauf jedenfalls gestellt. Jindal Steel prüft anscheinend derzeit in einer intensiven Due-Diligence-Phase die Bücher der Thyssen-Stahlsparte. 

Nach den jüngsten Quartalszahlen fiel der Aktienkurs erst einmal zurück. Ein Verkauf würde dem Traditionskonzern guttun. Denn die Werttreiber des Unternehmens liegen ganz woanders.

Was bleibt dann noch von ThyssenKrupp übrig?

Zwei Beteiligungen sind dabei wichtig. Thyssenkrupp hält zum einen nach dem Verkauf der Aufzugsparte für 17,2 Milliarden Euro im Jahr 2020 weiterhin eine Beteiligung von 19 Prozent an TK Elevator. Die jetzigen Private-Equity-Eigentümer planen einen Börsengang in New York mit einer Bewertung von mindestens 20 Milliarden Euro, was den Wert der Thyssenkrupp- Beteiligung auf 3,8 Milliarden Euro oder mehr schrauben würde.

Die zweite Beteiligung ist aus dem erfolgreichen Börsengang der Marinesparte TKMS im Oktober hervorgegangen. Dort hält Thyssenkrupp weiterhin 51 Prozent — was bei aktuellen Kursen einem Wert von etwa 2,1 Milliarden Euro entspricht.

Diese beiden Bereiche allein entsprechen also bereits ungefähr dem aktuellen Börsenwert von Thyssenkrupp. Dazu kommen noch die im Konzern verbliebenen Teilbereiche Materials Services, Automotive Technology und Decarbon Technologies sowie eine Beteiligung an Thyssenkrupp Nucera mit einem Gesamtwert von vier bis sieben Milliarden Euro — zusammen kommt man also auf einen Wert von mindestens 9,9 Milliarden Euro.

Thyssenkrupp (WKN: 750000)

So rechnen die Analysten

Der aktuelle Börsenwert von Thyssenkrupp liegt demnach darunter — auch wenn man eventuelle Schulden und Pensionsverpflichtungen auf Konzernebene berücksichtigt. Selbst bei einem „negativen Kaufpreis“ für die Stahlsparte würde die Entlastung von den Pensionsverpflichtungen und die Strukturbereinigung einen erheblichen Mehrwert darstellen.

Analysten von Jefferies haben die Aktie mit einem Kursziel von 11,50 Euro bewertet, was einem Potenzial von etwa 20 Prozent entspricht. Angesichts der verborgenen Werte erscheint diese Einschätzung eher zu vorsichtig. Die Transformation von Thyssen vom Industriekonglomerat zur Finanzholding ist komplex, doch die Summe der Einzelteile deutet auf eine erhebliche Unterbewertung hin. Der Ausgang der Jindal-Verhandlungen könnte der Katalysator sein, durch den die Lücke geschlossen wird.

Das Kursziel der Redaktion finden Sie in der aktuellen Ausgabe von BÖRSE ONLINE. Hier direkt als E-Paper kaufen.

Sie setzen lieber auf stabilere Dividendenwerte?

Dann wäre ein Zertifikat auf unseren "Globale Dividenden-Index" vermutlich das richtige Investment für Sie. Hier finden Sie alle Details dazu. 

Leen Sie auch

Thyssenkrupp stürzt nach 200-Prozent-Rallye ab: hoher Verlust erwartet

oder

Analysten sind sich sicher: Diese unterbewerteten Aktien haben enormes Potenzial