Vertical Farming » Landwirtschaft in Gebäuden ist ein Megatrend und hat gute Zukunftsaussichten. Zuletzt hat sich aber Ernüchterung breitgemacht.

Es mutet an wie Science-Fiction, ist aber längst Realität: Gemüse, Obst und Kräuter, die nicht auf Feldern und Wiesen, sondern auf wenigen Quadratmetern übereinander in einem Gebäude auf mehreren Etagen wachsen. Vertical Farming, also vertikale Landwirtschaft, wird das im Fachjargon genannt. Werden die Pflanzen noch dazu komplett ohne Sonnenlicht angebaut, spricht man von Indoor Farming.

Die größte Farm dieser Art in Europa steht in Dänemark. Das Unternehmen Nordic Harvest kultiviert dort Gemüse in 14 Etagen übereinander. Noch umfangreicher ist eine Pflanzenfabrik in Dubai, die der Firma Bustanica gehört, einem Joint Venture des US-Agrotech-Unternehmens Crop One und der Emirates-Gruppe.

Gemeinsam ist diesen Anbauformen, dass sie in geschlossenen Systemen ohne Sonne, Regen und Erde auskommen. Das ist lukrativ. Denn der traditionelle Ackerbau gerät an seine Grenzen. Die Agrarflächen weltweit sind zwischen 2000 und 2020 laut der Welternährungsorganisation von 4878 auf 4744 Millionen Hektar geschrumpft. Zugleich hat sich die Weltbevölkerung von sechs auf fast acht Milliarden Menschen erhöht. Bis zum Jahr 2050 sollen es 9,7 Milliarden Menschen sein. Für den zusätzlichen Nahrungsbedarf müssten neue Nutzflächen erschlossen werden. Das geht nur, wenn Wald gerodet wird, was negative Folgen für Klima und Umwelt hätte. Zudem würde das einen hohen Wasserverbrauch nach sich ziehen.

Sektor zog viel Wagniskapital an

Vertikale Farmen verbrauchen dagegen gerade einmal fünf bis zehn Prozent dessen, was ein normaler Bauernhof benötigt. Das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln ist überflüssig, da Indoor keine Schädlinge vorhanden sind. Überdies wird weniger Dünger benötigt. Durch die Verkürzung von Transportwegen sinken die CO2-Emissionen.

Diese Vorteile hatten zu einem Boom bei Vertical Farming geführt. Ausgehend von den USA über Europa nach Asien floss viel Wagniskapital in den Sektor. Allein in Europa waren es 800 Millionen Euro seit 2017.

Eine große Zahl von Start-ups entstand global, die das Potenzial der Zukunftsbranche nutzen wollten. Ein paar davon gingen an die Börse wie etwa AppHarvest, Kalera oder AeroFarms, die meisten davon aus den USA. Der überwiegende Teil ist aber nicht börsennotiert. Nach dem Anfangsboom ist Ernüchterung eingekehrt. Einige der Start-ups haben aufgegeben oder viele Mitarbeiter entlassen. Der Kurs der AppHarvest-Aktie etwa verlor seit dem Börsendebüt im Frühjahr 2021 gut 90 Prozent. Auch Kalera- und Aero Farms-Aktionäre erlitten hohe Verluste.

Kosten unterschätzt

Der Betrieb der Farmen hat sich als teurer erwiesen als erwartet. Die Kosten einer Indoor-Farm, bei der eine Firma alles vom Licht über die Heizung und Kühlung bis zur Wasserversorgung kontrollieren muss, liegen bei etwa 300 Dollar je Quadratmeter. Verglichen dazu kostet das beim Freiland-Bauernhof nur wenige Dollar. Der größte Kostenblock ist der Strom, der für Tausende von LED-Leuchten benötigt wird, die die Sonne nachahmen, und für konstante Temperatur, Belüftung und Bewässerung gebraucht wird. Die durchschnittliche Indoor-Farm verbraucht fast 39 Kilowatt Energie, um ein Kilogramm Lebensmittel herzustellen. Die steigenden Strom- und Energiepreise waren daher Gift für die Zukunftsbranche, macht Strom doch rund 50 Prozent der Produktionskosten beim vertikalen Anbau aus.

Getreide lohnt sich nicht

In Ländern wie Dubai oder Katar, wo Energie und Sonnenstrom billig sind, lohnt sich die vertikale Landwirtschaft jedoch, etwa für Crop One. Die US-Firma ist zwar eine Aktiengesellschaft, aber in Privatbesitz und nicht gelistet. In den USA und vor allem in Europa ist Strom deutlich teurer. Hinzu kommt, dass zwar Gemüse, Salat, Kräuter und Obst unter den LED-Lampen gut gedeihen. Getreide eignet sich dagegen ökonomisch betrachtet bisher kaum für die Anpflanzung. Zu große Mengen wären dafür notwendig, überdies könnte seltener geerntet werden. In Inflationszeiten sind jedoch nur wenige Konsumenten bereit, für Salat und Gemüse viel Geld auszugeben. „Die Reduzierung der Verbraucherausgaben trifft vertikale Farmen besonders hart“, sagt Anna Ottoson, Investorin beim auf Lebensmitteltechnologie spezialisierten Fonds Trellis Road. Rabobank-Analystin Cindy van Rijswick sieht das ähnlich. „Salat ist kein Grundnahrungsmittel wie Getreide“, warnt die Expertin.

Nur die finanzstarken Firmen überlebten

So kam es zwangsläufig so, dass im Vorjahr wegen explodierender Kosten und geringerer Nachfrage viele finanziell schlecht ausgestattete und meist kleinere Firmen aufgeben mussten. Nur die Finanzstarken überlebten. Gegenwärtig findet ein Konsolidierungsprozess in dem Sektor statt. Je nachdem, wie lange die hohen Energiepreise und die Inflation noch anhalten werden, wird sich dieser noch eine Weile fortsetzen. Überleben werden die Gesellschaften, die ein gutes Finanzpolster aufweisen, und solche, die selbst günstig Strom produzieren (etwa mit Solar) oder in Regionen tätig sind, wo Strom billig ist. Gute Chancen haben auch Firmen, die Ausrüstung für die Vertical-Farming-­Branche liefern, also die „Schaufelhersteller“. Der Markt selbst dürfte künftig kräftig wachsen, weil Anbauflächen schrumpfen sowie aufgrund von Wasserknappheit, zunehmenden Dürren und Missernten.

Mit diesen Firmen am Trend partizipieren

Zu jenen, die wohl davon profitieren, zählen etwa das US-Unternehmen ­Urban-Gro oder der niederländische Konzern Philips. Urban-Gro baut Indoor-Anlagen für den Anbau von Spezialkulturen wie Blattgemüse und Medikamenten auf Pflanzenbasis. Zudem bietet es Serviceleistungen dazu an. Die Ausrüstungssysteme sind größtenteils auch in der Cannabis-Industrie nutzbar, weswegen die Firma zwei Standbeine hat. Das Unternehmen wächst stark. Auch die Philips-Abspaltung Signify (ehemals Philips Lighting) mischt in der Branche mit. Schon seit vielen Jahren wird in holländischen Gewächshäusern das Know-how des Weltkonzerns eingesetzt, um die Produktion zu steigern. ­Signifys Hightech ist auch beim Vertical Farming anwendbar — beim Bestrahlen mit künstlichem UV-Licht oder Steuerungssystemen für optimale Temperatur. Zudem entwickelt der Konzern neue Techniken für den Wachstumssektor.

Effiziente Landwirtschaft

Vertical Farming ist aber nur ein Teilbereich (wenn auch ein bedeutender) des sogenannten Smart Farming. Das sind Verfahren, die auf modernen Informations- und Kommunikationstechnologien basieren und die Landwirtschaft effizienter, resistenter und nachhaltiger gestalten. Dazu zählen etwa autonome Landmaschinen, optimales Farm-­Management, Nutzung von Sensor- und Drohnendaten zur Messung von Maschinen, Pflanzenzustand und Erntemenge. Auch Smart Crop, der wirtschaftlichere Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln, zählt dazu. Mit einem Zertifikat von Vontobel können Anleger auf Firmen setzen, die im Bereich Smart Farming tätig sind. Damit streuen sie ihr Risiko deutlich breiter, als wenn sie in eine riskante Einzelaktie investieren.