Fundstrat-Stratege Tom Lee sieht kurzfristig Potenzial für neue Rekorde. Der Grund: ein intakter Aufwärtszyklus, vorsichtige Investoren und technologische Megatrends.
Star-Analyst Tom Lee bleibt ungeachtet der jüngsten Marktturbulenzen optimistisch für die Entwicklung der amerikanischen Aktienmärkte. Bereits im August erwartet Tom Lee neue Bestmarken im S&P 500. „6.500 bis 6.600 Punkte sind in den nächsten Wochen realistisch“, erklärte der Mitgründer und Chefstratege von Fundstrat Global Advisors gestern im Interview mit CNBC.
Innerhalb von zwölf Monaten hält er sogar ein Überschreiten der 7.000er-Marke für wahrscheinlich – getragen von einer gesunden Marktstruktur, zurückhaltender Investorennachfrage und anhaltenden Kapitalzuflüssen.
Konsolidierung als gesundes Signal
Für Tom Lee ist die jüngste Schwächephase an der Wall Street kein Warnsignal, sondern eine notwendige Verschnaufpause. Nach einem Anstieg des S&P 500 um 28 Prozent seit dem April-Tief sei eine technische Konsolidierung normal. „Letzte Woche hatten wir fünf Handelstage, an denen die Kurse höher eröffneten und niedriger schlossen – ein klassisches ‚bearish engulfing‘-Muster. Das ist gesund, kein Grund zur Sorge“, so der Mitgründer und CIO von Fundstrat Global Advisors.
Die jüngsten Arbeitsmarktdaten bestätigen nach Lees Analyse, dass sich die Dynamik abschwächt. Unter Berücksichtigung der alten Erwerbsquote liege die Arbeitslosenquote bereits bei fast fünf Prozent. „Das verschiebt den Fokus der US-Notenbank im Rahmen ihres Doppelmandats weg von der Inflationsbekämpfung hin zur Stützung der Beschäftigung.“ Damit könnte die Fed im Herbst auf einen dovishen Kurs einschwenken. Besonders der Immobilienmarkt könnte von gezielten Impulsen profitieren und der US-Wirtschaft 2026 zusätzliche Wachstumsimpulse geben.
Vorsicht statt Euphorie
Für Lee ist in der aktuellen Marktphase keine Überhitzung, sondern vielmehr eine Mid-Cycle-Situation erkennbar. Typische Endphasen-Signale wie exzessive Kreditaufnahme in einer späten Zyklusphase seien nicht auffällig. Der ISM-Industrieindex habe seit 29 Monaten nicht mehr nachhaltig über der Wachstumsschwelle von 50 gelegen – ein historischer Rekord, der für vorsichtige Unternehmensplanungen spricht.
„Unsere Community aus über 10.000 Anlageberatern und mehr als 400 Hedgefonds ist alles andere als euphorisch“, betont er. „7 Billionen Dollar an Cash am Seitenrand bestätigen dieses Bild.“
US-Big-Tech dominiert die Weltwirtschaft
Dass Microsoft und Meta unterdessen zusammen so viel wert sind wie alle börsennotierten Unternehmen in Japan, sieht Lee nicht als Warnsignal, sondern als Resultat klarer Führungsstärke. Seit 2019 habe kein anderes Land beim Gewinnwachstum mit den USA mithalten können, Indien liege fast 20 Prozentpunkte zurück.
„Von den 25 profitabelsten Unternehmen der Welt stammen 21 aus den USA. Technologie – angeführt von AI und digitalen Assets – ist das Zugpferd dieser Dominanz.“
AI und Blockchain als doppelte Transformation
Zwei technologische Megatrends tragen die Rallye der vergangenen Jahre: AI und Crypto. Lee sieht die Weltwirtschaft deswegen sogar an einem Wendepunkt – vergleichbar mit der Entstehung des Internets und der Software-Revolution.
Nun finde eine doppelte Transformation statt: AI verändere die Art, wie Menschen mit digitalen Systemen interagieren, während die US-Regierung die Blockchain-Integration im Finanzsystem beschleunige. „Das wird die US-Führungsrolle weiter ausbauen – während Europa mit Überregulierung und Innovationshemmnissen den Anschluss verliert.“
Von Dotcom-Blase keine Spur
Vergleiche mit der Euphorie zu Zeiten der Dotcom-Blase weist Lee unterdessen zurück. Damals hätten die teuersten Aktien kaum fundamentale Substanz gehabt. Heute seien hohe Bewertungen neuer AI-getriebener Börsengänge wie Circle oder Figma eher Ausdruck eines knappen Angebots an AI-Pure-Play-Investments außerhalb der „Mag 7“. „Solange diese Unternehmen ihre Gewinne halten oder ausbauen, ist das kein klassisches Blasenmuster.“
Für Anleger, die Lees Argumenten folgen, sind das gute Nachrichten. Der Markt befindet sich aus seiner Sicht nicht in einer Überhitzungsphase, sondern mitten in einem Aufwärtszyklus. Eine vorsichtige Fed, ein abkühlender, aber nicht kollabierender Arbeitsmarkt und eine moderatere Inflationsdynamik bilden nach Lees Einschätzung die Grundlage für eine anhaltende Rekordjagd an der Wall Street – auch in einem traditionell schwankungsanfälligen Monat wie August.
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