Zu Beginn der Pandemie waren sie die Stars der Börse: Corona- Profiteure, Firmen, die von den Lockdowns und dem Homeoffice-Trend profitierten. Gut eineinhalb Jahre später sind aus vielen Stay-Home-Gewinnern Verlierer geworden - zumindest, wenn man sich die jüngste Kursentwicklung anschaut. Wir haben die gefallenen Engel unter die Lupe genommen und analysiert, welche Aktien noch das Zeug zum Fliegen haben.

Einen der spektakulärsten Abstürze lieferte die Aktie von Teamviewer. Das Papier des Spezialisten für Fernwartungs- und Videokonferenzsoftware brach nach euphorischer Rally um über 70 Prozent gegenüber dem Kurshoch vom Februar ein. Anlass für den jüngsten Rutsch war eine neuerliche Gewinnwarnung, bereits im Sommer hatten die Göppinger mit den Zahlen für das zweite Quartal enttäuscht. Nach jüngster Prognose von Chef Oliver Steil soll der Umsatz im laufenden Jahr bloß um neun bis elf Prozent steigen. Das ist bescheiden, 2020 waren es noch 17 Prozent Umsatzplus, im Jahr davor wuchsen die Schwaben, die im September 2019 vom Private-Equity-Investor Permira an die Börse gebracht worden waren, um über 35 Prozent. Vor allem die Margenprognose wurde spürbar gesenkt. Deutsche Bank, Morgan Stanley, Oddo BHF - es hagelte Herabstufungen, die Kursziele wurden drastisch gestutzt.

Ambitioniert und verschwenderisch

Dabei sind die Produkte wie geschaffen für die neue Office-Welt: Per Teamviewer-Software treffen sich Mitarbeiter virtuell, Administratoren warten Computer aus dem Homeoffice. Neuestes Produkt ist eine Lösung gemeinsam mit Partner Google, eine Software, die etwa Lagermitarbeiter per Datenbrille durch Regal-Labyrinthe manövriert.

"Wir waren zu ambitioniert", begründete Steil die neuerliche Enttäuschung und die Tatsache, dass das Geschäft im dritten Quartal in Asien gar nicht mehr wuchs. Die Marge sank auf 34 Prozent, rund 40 Prozent waren erwartet worden. Das lastet Großaktionär Permira offenkundig dem Management an, das zuvor mächtig in den Vertrieb investierte - und sündteure Sportsponsoring-Verträge abschloss. Premier-League-Klub Manchester United etwa kassiert pro Saison fast 50 Millionen Euro für den Teamviewer-Schriftzug auf den Trikots. Permira hat reagiert: Finanzchef Stefan Gaiser verlässt das Unternehmen im nächsten Sommer. Steil, der noch 2020 ein Rekordsalär von über 70 Millionen Euro kassierte, erhielt drei Jahre Verlängerung - und muss jetzt liefern. Einfach dürfte das nicht werden, denn auch Tech-Riesen wie Alphabet und Microsoft sowie US-Wettbewerber Zoom, dessen Aktien seit dem Hoch ebenfalls stark verloren, tummeln sich im Markt.

Beim Sturz von Teamviewer spielten Managementfehler eine große Rolle, im Fall Shop Apotheke war es, neben dem Basiseffekt wegen Corona, ein Umzug. 2020 hatte die größte Online-Apotheke Europas die Prognosen mehrfach erhöht, war um 38 Prozent gewachsen und hatte es mit zwei Prozent operativer Marge ins Gewinnplus geschafft. Für 2021 hatte Chef Stefan Feltens den Ausbau der Kapazitäten und den Umzug ins neue Logistikzentrum im niederländischen Sevenum angekündigt, zudem weitere 20 Prozent Umsatzplus und knapp drei Prozent operative Profitabilität - die Aktie stieg auf ein Allzeithoch.

Doch im Frühjahr trübten sich die Aussichten ein. Zunächst stiegen die Marketing- und Vertriebskosten deutlich gegenüber 2020, als Covid und der Bedarf an Desinfektionsmitteln und Vitaminpräparaten Kunden in Scharen auf die Homepage lockten. Ein unerwarteter Arbeitskräftemangel machte den Logistikumzug komplizierter, was die Ergebnisse zusätzlich belastete. Die Folge: Shop Apotheke kappte die Jahresprognose im Sommer auf zehn bis 15 Prozent Umsatzplus, operativ wird nur noch eine schwarze Null erwartet - deshalb das Kurstief im Juli.

Fantasie hat die Aktie dennoch. Anfang 2022 wird das digitale Rezept in Deutschland verbindlich eingeführt. Kunden werden es dann erheblich leichter haben, rezeptpflichtige Arzneien online zu kaufen. Bislang liegt der Anteil der verschreibungspflichtigen Mittel, die in Deutschland online gekauft werden, nur zwischen ein und zwei Prozent. In Schweden, wo die Digitalisierung schon weiter ist, sind es bereits über zehn Prozent. Feltens setzt hierzulande auf eine ähnliche Entwicklung und ist mit neuer Logistik gerüstet.

Sofas künftig online

Einen kräftigen Schub erlebten 2020 auch Online-Möbelhändler, allen voran Home24 und Westwing, beides Schöpfungen des Start-up-Brüters Rocket Internet. Die Aktie der Berliner Home24 verfünffachte sich von Anfang 2020 in der Spitze, die der Münchner Westwing schnellte gar über das Zehnfache nach oben, bevor es steil abwärtsging.

Home24 geriet besonders stark unter die Räder. Das Unternehmen schreibt im Gegensatz zu Westwing Verluste, obwohl der Umsatz 2020 mit 490 Millionen über den 430 Millionen der Bayern lag. Ein Grund: Die Marketingkosten der Berliner sind höher, das Unternehmen setzt stärker auf die Expansion, was sich auch in den Schätzungen der Analysten niederschlägt. Bei Westwing rechnen die Auguren 2023 mit rund 750 Millionen Euro Umsatz, bei Home24 mit rund 900 Millionen.

Das mag verwegen klingen, schließlich steht vielen Zeitgenossen der Sinn derzeit wohl weniger nach Inneneinrichtung denn nach Fernreisen. In der Pandemie haben jedoch zahlreiche Kunden den Vorzug des Onlineshopping entdeckt. Bei Accessoires wie Lampen oder Bildern liegt die Hemmschwelle für einen Onlinekauf wohl niedriger als bei Kleidung, bei Sofas hingegen höher. Dem begegnet Home24 mit City-Filialen in Berlin oder München, wo man probesitzen kann.

Die Kurse sind abgestürzt, das Wachstum ist aber nach wie vor hoch. Im ersten Halbjahr wiesen beide Firmen ein Umsatzplus von rund 50 Prozent aus. In den Monaten April bis Juni gewannen beide jedoch nur wenige Neukunden, bei Westwing waren es nur rund 10.000, bei Home24 gut 20.000. Ein Grund: Bei vielen Kunden stand der Urlaub wohl eindeutig im Vordergrund.

Dennoch ist die Basis solide: Home24 bringt es auf über 2,4 Millionen Kunden. 2021 wollen die Berliner beim Umsatz zwischen 28 und 38 Prozent zulegen und null bis zwei Prozent operative Gewinnmarge einfahren. Westwing ist zwar profitabler und schreibt 2021 laut Schätzungen auch Nettogewinne. Das liegt aber auch daran, dass die Münchner weniger stark auf Wachstum setzen und, bezogen auf den Umsatz, nur etwa halb so viel für Marketing ausgeben.

Home24-Chef Marc Appelhoff glaubt trotz des jüngsten Dämpfers bei der Kundenakquise, dass die Pandemie den Onlinekauf auf ein neues Level gehoben hat - und der Trend anhält: "Der Markt wächst um die 15 Prozent pro Jahr, wir wachsen fast doppelt so schnell."
 


INVESTOR-INFO

Shop Apotheke

Digitalrezept 2022

Die Niederländer hatten im ersten Halbjahr zu kämpfen, Vertriebskosten stiegen, das Wachstum blieb auch wegen logistischer Probleme hinter den Erwartungen zurück. Für 2021 rechnet Europas Marktführer mit zehn bis 15 Prozent Wachstum und einer operativen schwarzen Null. Ab 2022 dürfte auch die Einführung des E-Rezepts das Geschäft wieder stärker beschleunigen. Stopp beachten.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 160,00 Euro
Stoppkurs: 115,00 Euro

Home24

Hohes Marketingbudget

Nach dem starken Boom auch bei den Neukunden 2020 trat hier zuletzt eine Flaute ein. Home24 ist jedoch mit über 2,4 Millionen aktiven Kunden gut eingeführt. Für 2022 rechnen Analysten zwar mit einer Abschwächung des Wachstums auf unter 20 Prozent, 2023 soll es aber deutlich um über 20 Prozent aufwärtsgehen. Das Management dreht mit dem Marketingbudget selbst an der Gewinnschraube. Gegenwärtig ist es hoch, Home24 defizitär.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 16,00 Euro
Stoppkurs: 9,50 Euro

Corona-Gewinner

Hoch geflogen, tief gefallen

Wie volatil Aktienkurse sein können, zeigen die Beispiele der ehemaligen Corona-Gewinner: Der Kurs von Shop Apotheke kletterte um mehr als das Fünffache bis zum Hoch im Jahr 2020, die Aktie von Zoom Video verzehnfachte sich beinahe, Westwing stieg sogar fast um den Faktor 15, bevor der Kurs kollabierte.