Zwei Autoren, zwei Meinungen. In der Redaktion von BÖRSE ONLINE gehen diesmal die Meinungen zur Boeing-Aktie auseinander. Das müssen Anleger jetzt wissen.
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Chef und Boeing-Sanierer Kelly Ortberg hat die Verfehlungen seiner Vorgänger selbst zu spüren bekommen. Von 2013 bis 2018 war Ortberg, den Amerikas Flugzeugbauer im August 2024 in höchster Not als allseits geschätzten Sanierer an Bord holte, an der Spitze von Rockwell Collins. Der Hersteller von Avionik-, Kommunikations-, Navigations- und Bordsystemen für Flugzeuge und inzwischen Teil des Konzerns Raytheon ist ein wichtiger Zulieferer des Flugzeugriesen aus Seattle im Bundesstaat Washington.
Während Ortbergs Zeit bei Rockwell Collins setzte Boeing große Lieferanten bei den Preisen massiv unter Druck, verlängerte den Zeitraum für ihre Bezahlung um das Vierfache und zwang die Firmen, Boeing Patente zu überlassen. Die Folgen dieser Knebelstrategie trugen wesentlich zur Krise des Flugzeugbauers bei. Boeings Programm „Partnering für Success“ sei keine Sternstunde in der Steuerung der Lieferketten gewesen, berichtet Ortberg später an Bord des Flugzeugbauers. Bis heute gebe es bei Zulieferkonzernen Misstrauen: „Ich war auf deren Seite, ich kenne das Gefühl“, sagt Boeings Sanierer. Jetzt sind seine Erfahrungen ein unterschätzter Trumpf, um etwas sehr Wichtiges in Ordnung zu bringen: mehr Jets pro Monat mit hohen Sicherheitsstandards zu fertigen und auszuliefern.
Mit der Bilanz für das zweite Quartal lieferte Boeing Belege für Fortschritte in dieser Sache: 150 ausgelieferte Jets im ersten Quartal, 280 im ersten Halbjahr — beide Zahlen so hoch wie zuletzt im Jahr 2018. Im Mai hatten 38 Maschinen von Boeings Bestseller-Familie 737 — Rivalen von Airbus begehrten A-320-Jets — die Produktionshallen verlassen. Dieses Niveau müsse nun stabilisiert werden, bevor der Konzern bei der Federal Aviation Administration (FAA) die Erhöhung der Produktion auf monatlich 42 Jets beantrage, sagte Ortberg. Nach der Serie von Sicherheitsmängeln, die in den vergangenen Jahren mehrfach zu Unfällen mit Toten geführt hatten, hatte die Aufsichtsbehörde eine Drosselung der Produktion angeordnet. Wie einst bei General Electric wird es dauern, bis Boeing trotz voller Auftragsbücher zurück in der Erfolgsspur ist. Bei Flugzeugen mit zwei Millionen Komponenten, bei einigen deutlich mehr, sind Prozesse komplex und die Probleme vielschichtig. Auch die hohe Verschuldung ist eine erhebliche Belastung. „Es ist ein großes Schiff, das umsteuern muss. Das ist noch nicht gelungen. Wir haben viel zu tun“, sagt Ortberg.
Boeing-Aktie dreht ins Plus
Anleger haben offensichtlich Vertrauen in sein Vorgehen. Trotz Rückschlägen wie dem Absturz der Air-India-Maschineam 12. Juni, dessen Ursache noch nicht geklärt ist, legte die Aktie seit Januar um knapp 14 Prozent zu, stärker als der S & P 500 Index. Die jüngste Quartalsbilanz liefert Belege für den Fortschritt: 612 Millionen Dollar Verlust, also niedriger als die von Analys- ten geschätzten 631 Millionen und eine große Verbesserung gegenüber 1,44 Milliarden Minus im Vorjahr. Mit der größten Bestellung bei Langstreckenjets, (bis zu 210 Boeing 787 und 777X für Katar), wurde der Orderbestand auf fast 6600 Jets signifikant erhöht. Airbus liegt mit mehr als 8750 Jets per Ende Juni aber klar vorn. Sanierer Ortberg stört das aktuell wenig.
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Der größte Verkäufer von Flugzeugen der Marke Boeing ist dieses Jahr Donald Trump. Bei seinem Besuch in Katar bestellte die lokale Airline 160 Flugzeuge. Der von Trump genannte Auftragswert von 200 Milliarden Dollar ist zwar wohl leicht 200 Prozent zu hoch, gleichwohl ist es der größte Einzelauftrag in der Firmenhistorie. Könnte dieser Auftrag auch das Zeichen nach außen sein, dass die Krise des US-Flugzeugherstellers vorüber ist? Die Börse scheint da optimistischer zu werden. Die Aktie hat zugelegt. Und Fans der Aktie hoffen darauf, dass die große Lücke nach dem Absturz der Notierungen 2020 geschlossen werden kann. Damals notierte die Aktie im Schnitt um 50 Prozent höher. Natürlich kann das möglich sein, zumal die Nachfrage nach Militärgerät eher anziehen dürfte.
Ich bin aber für die Zivilsparte weiterhin skeptisch und befürchte nach kritischen Kommentaren von ehemaligen Mitarbeitern weiterhin gefährliche Qualitätsmängel. Klar ist: Der Großauftrag aus Doha ist zwar nett, aber nicht entscheidend. An Aufträgen mangelt es indes nicht. Boeing ist rein rechnerisch auf gut ein Jahrzehnt ausgelastet. Das Problem liegt eher darin, dass die Produktion nicht nachkommt. Fast drei Viertel der Bestellungen etwa sind Flugzeuge der Marke 737 Max. Maschinen von diesem Typ hatten erhebliche Mängel in der Produktion aufgewiesen und auch zwei tödliche Abstürze und weitere massive Pannen zu verzeichnen. Nach einem Auslieferungsstopp durch die Luftfahrtbehörden dürfen nun zwar wieder 38 Flugzeuge pro Monat gefertigt werden, an eine Aufstockung ist aber nicht zu denken. Weil es weiter Probleme gibt, verschiebt sich die Zertifizierung durch die Luftfahrtbehörden ins kommende Jahr.
Die Trendwende könnte auf sich warten lassen
Die Entwicklung und noch mehr die Produktion von Flugzeugen ist sehr kom- plex. Boeing hat hier geschlampt. Das wurde erkannt und Umstrukturierungen in Angriff genommen. Ein wichtiger Schritt ist die Übernahme des Zulieferers Spirit Aerosystems. Allerdings wird auch dessen Eingliederung in die Prozesse lange dauern. Deshalb schreibt der Konzern weiter rote Zahlen. Und ob 2026 wirklich die Trendwende gelingen kann, bleibt abzuwarten. Selbst unter Einbeziehung langfristiger Gewinnschätzungen scheint die Aktie zu hoch bewertet. Schon heute ist der Unternehmenswert, der die hohen Nettoschulden berücksichtigt, in Reichweite der Rekordwerte.
Hinweis: Der Artikel stammt aus der aktuellen Heftausgabe von BÖRSE ONLINE (32/25), die Sie hier finden.
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