Wenn Yngve Slyngstad den Aufzug zu seinem Büro in der norwegischen Zentralbank in Oslo nimmt und sich an seinem Computer einloggt, checkt er erst mal, wie sich das Fondsvermögen über Nacht verändert hat. Dazu genügt ein Blick auf die Homepage www.nbim.no.

Große Ziffern flimmern über den Bildschirm und zeigen den aktuellen Marktwert aller Beteiligungen. In Bruchteilen einer Sekunde sind es ein paar Hundert Millionen mehr oder weniger.

Slyngstad, der Herr über die Milliarden, ist ein hünenhafter, schlaksiger Norweger mit Vollglatze und einem kleinen Bärtchen, ein eher lockerer und bescheidener Typ. Der dreifache Vater lacht viel und schmückt seine Sätze gern mit einer Spur Selbstironie. Wie man sich denn so fühle als mächtigster Investor der Welt, fragte ihn einmal der "Spiegel". "Früher waren wir auf der Suche nach der risikofreien Rendite", meinte Slyngstad und legte dann eine Kunstpause ein. "Heute wissen wir, dass es vor allem Anlagen mit renditefreiem Risiko gibt ...". Er gilt zwar als der vielleicht wichtigste Finanzinvestor der Welt - rund eine Billion Dollar schwer ist sein Pensionsfonds - aber er tritt nur selten öffentlich auf, meidet das Rampenlicht und gibt kaum Interviews.

Und selbst in Norwegen ist er weitgehend unbekannt. Es scheint ihm geradezu peinlich zu sein, zu den wirklich Mächtigen der Finanzwelt zu zählen. Auch seine Angestellten legen offensichtlich keinen Wert auf Image: In der angelsächsisch geprägten Finanzwelt gelten sie als Außenseiter mit bildungsbürgerlichem Habitus - sie haben Bärte und tragen Pullover.

Als Chef des norwegischen Staatsfonds sammelt Slyngstad die Öleinnahmen seines Landes ein. Oft mehrere Hundert Millionen Euro täglich. Offiziell spricht man in Norwegen vom "Statens pensjonsfond utland", also vom Staatlichen Rentenfonds Ausland. Ausland deswegen, weil die Norweger alle Einnahmen aus Öl oder Gas jenseits der Staatsgrenze anlegen. So soll verhindert werden, dass die einheimische Wirtschaft überhitzt und eine Inflationsspirale in Gang kommt. Slyngstad formuliert das so: "Das Geld, das auf den Bohrinseln verdient wird, darf das Festland gar nicht erst erreichen." Seit dem Start beträgt die Rendite im Schnitt 5,9 Prozent pro Jahr. Trotz Börsenkrisen und Niedrigzinsen.

Bevor er Fonds-Boss wurde, arbeitete er bereits zehn Jahre bei der Zentralbank in Oslo. Er hatte Jura und Wirtschaftswissenschaften in Oslo studiert und noch einen Master in Volkswirtschaft in Kalifornien und ein Politologie-Studium an der Pariser Sorbonne angehängt. Für ihn war immer klar, dass er bei der norwegischen Zentralbank Karriere machen würde. Er begann dort als Finanzanalyst, stieg 1998 zum Chief Investment Officer auf. Zehn Jahre später hatte er sein Ziel erreicht: Er wurde oberster Chef des Staatsfonds.

Er übernahm das Ruder, als die Finanzkrise ihren Höhepunkt erreicht hatte. Sein erstes Jahr verglich er damit, einen Supertanker durch den perfekten Sturm zu steuern. Sein Fonds verlor 2008 über 90 Milliarden Dollar. Die Gewinne der vergangenen Jahre waren damit ausgelöscht. Die Opposition warf ihm vor, die Pensionen des norwegischen Volks verspielt zu haben, einige Politiker forderten sogar seinen Rücktritt. Slyngstad: "Man dreht keinen Supertanker um, nur weil man sich gerade in einem Sturm befindet."

Der Fonds sollte sich schnell wieder erholen. "Wenn die Kurse fallen, dann kaufen wir, das ist eines unserer Prinzipien. In der Finanzkrise von 2009 zum Beispiel waren die Kurse so stark gefallen, dass unser Aktienanteil nicht mehr bei 60 Prozent, sondern nur noch bei 47 Prozent lag. Das haben wir dann wieder ausgeglichen und einige Aktien sehr günstig gekauft. Das war natürlich fantastisch, es ging um enorme Summen", erklärte Slyngstad.

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Für die künftigen Generationen



Der Fonds wurde 1996 gegründet, um den Wohlfahrtsstaat auch noch nach dem Versiegen der Ölquellen finanzieren zu können, dann nämlich, wenn in ungefähr 60 Jahren der letzte Tropfen Öl durch die Leitungen geflossen ist. Slyngstad ist aber zuversichtlich: "Ich habe keine Zweifel, dass uns bis dahin etwas Neues einfallen wird. Wahrscheinlich hat es - wie das Öl und die Fischerei - wieder etwas mit dem Meer zu tun."

Wenn die Norweger alle in Rente gehen und sich den staatlichen Pensionsfonds auszahlen lassen würden, bekäme heute jeder von ihnen rund 145 000 Euro.Der Staatsfonds investiert in über 9000 Unternehmen in 72 Ländern. 65 Prozent des Geldes sind in Aktien angelegt, rund 30 Prozent in Anleihen und 2,5 Prozent in Immobilien. Zu den gewichtigsten Investments gehören Apple, Nestlé, die Google-Mutter Alphabet, die Schweizer Pharmafirmen Roche und Novartis sowie auch der Onlinehändler Amazon. "Unser Ziel sind langfristig hohe Erträge bei moderatem Risiko. Deshalb streuen wir unsere Investitionen über die ganze Welt."

In Deutschland ist er mit durchschnittlich 4,1 Prozent am deutschen Leitindex DAX beteiligt. Er hält unter anderem Anteile an 198 Firmen, darunter rund 2,5 Prozent an BMW und Daimler sowie 1,02 Prozent an Volkswagen. "Das zeigt, dass wir großes Vertrauen in die deutschen Autohersteller haben." Außerdem ist er der wichtigste Investor im deutschen Mittelstand. Und er will noch stärker in deutsche Unternehmen investieren, vor allem in erfolgreiche mittelständische Firmen, die nicht an der Börse notiert sind, kündigte er Ende Februar 2018 an.

Ein Ethikrat des Fonds kann Investitionen in bestimmte Branchen verbieten. "Wir wollen kein Geld mit Tabak verdienen. Mit Kinderarbeit und Atomwaffen auch nicht." So finden sich im Portfolio beispielsweise keine Aktien von Walmart, Boeing, Honeywell, Petrobras und Lockheed Martin, weil sie humanitäre Prinzipien verletzen.

Das ethische Fundament des Fonds bildet Immanuel Kants kategorischer Imperativ ("Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte"). Bereits als Gymnasiast begeisterte sich Slyngstad für Philosophie. Mit Mitte 20 zog er sich einen Sommer lang in ein Fischerhäuschen an der zerklüfteten Küste am Polarkreis zurück und studierte die Werke der großen deutschen Denker Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Immanuel Kant und Martin Heidegger.

"Manche Bücher hatte ich dreifach dabei, auf Norwegisch, Englisch und im deutschen Original", verriet er einmal in einem Interview. "Damals galt Philosophie als ein Fach, das man am besten nicht auf der Universität studieren sollte, sondern in einsamer Lektüre."