Laut Henry Tarr können Öl-Konzerne wieder hoffnungsvoller in die Zukunft blicken. Der Analyst der US-Investmentbank Goldman Sachs hat die Kursziele für eine Reihe von Erdölförderern am Montag erhöht. Hauptgrund für den Optimismus ist die Einigung der Fördernationen, die Produktion um rund zwei Prozent zu drosseln. Es ist das erste Mal seit 15 Jahren, dass sich die in der OPEC organisierten Staaten mit anderen großen Fördernationen wie Russland auf eine Kürzung verständigt haben.

Laut Tarr kann die Branche damit auf ein stabileres Preisumfeld setzen. Nachdem ein Barrel Öl der Sorte Brent (159 Liter) Anfang des Jahres mit rund 30 Dollar so wenig wie seit zwölf Jahren nicht mehr kostete, zogen die Notierungen mittlerweile stark an. Von dem aktuellen Niveau aus, erscheinen größere Preissteigerungen jedoch eher unrealistisch. Der Grund liegt im Schiefergas der USA. Ab einem Preis von etwa 60 Dollar je Fass kann die Fracking-Produktion wieder profitabel betrieben werden. Der Boom des Schieferöls hatte in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Fördermengen stiegen, die Preise sanken und Amerika immer weniger des Rohstoffs von Ländern wie Saudi Arabien abnehmen musste. Vor diesem Hintergrund könnte der designierte US-Präsident Donald Trump noch zu einem Dämpfer für die Preiserholung werden. Er hat angekündigt die Vereinigten Staaten unabhängiger von Ölimporten machen zu wollen und die Schieferölproduktion auszuweiten.

Dank der OPEC-Einigung erscheinen sinkende Preise allerdings unwahrscheinlich. Zu stabileren Preisen könnte auch eine höhere Nachfrage führen. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA)könnte der Bedarf im kommenden Jahr dank größerer Aktivitäten von Russland und China stärker steigen als bisher angenommen. Für Tarr ist daher die Zeit gekommen, nach Wachstumswerten, einem starken Fördergeschäft und Restrukturierungschancen Ausschau halten. Immerhin hat sich die Branche mit drastischen Investitionskürzungen auf das geänderte Umfeld eingestellt. Dieses Jahr wird laut Schätzungen etwa eine Billion Dollar weniger in die Produktionskapazitäten investiert als im Vorjahr. Das Ergebnis des rigoros geführten Rotstift ist, dass mit 2,7 Milliarden Barrel Öl- und Gasvorkommen so wenig Reserven neu erschlossen wurden, wie zuletzt vor fast 70 Jahren.

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Insgesamt schraubt der Öl-Experte die Kursziele für vier Förderer nach oben. Das größte Potential sieht er bei ENI. Dem italienischen Konzern traut Tarr zu den Kurs um 17,6 Prozent gegenüber der vergangenen Schätzung auf 16,70 Euro zu steigern. Ein vergleichbares Kursplus bietet demnach auch Total, dessen Kursziel um 14,2 Prozent auf 54,50 Euro angehoben wurde. Beide Werte stuft Goldman Sach mit Kaufen ein. Auch bei BP steigt das Kursziel. Bei einem aktuellen Kurs von 5,88 Euro hat die Aktie ihre Zielmarke von 6,02 Euro aber schon fast erreicht, weshalb nur zum Halten geraten wird.

Am meisten überzeugt Goldman jedoch Royal Dutch Shell. Zwar wurde das Kursziel nur um 5,8 Prozent angehoben, allerdings ist die Notierung vom Ziel mit 29,34 Euro noch über zwölf Prozent entfernt. Der Konzern zählte zu den wenigen in der Branche, der auch in der Krise noch investiert hat und seine Förderkapazitäten so ausbaute. Dazu übernahmen das britisch-niederländische Unternehmen den Flüssiggasspezialisten BG Group. Nach der Integration wird Shell bis 2018 zehn neue Förderprojekte in Betrieb nehmen. Damit bleibt Shell trotz ambitionierter Sparziele und sinkender Produktion auf Wachstumskurs. Durch den Zukauf kontrolliert der Konzern zudem rund ein Fünftel des Flüssigasmarktes. Zusätzlich lockt die Aktie mit einer attraktiven Dividendenrendite von 7,5 Prozent.