Das Wort "Kamikaze" gehört dank der japanischen Kamikazeflieger, die im Zweiten Weltkrieg selbstmörderische Einsätze flogen, zum deutschen Wortschatz. Anknüpfend an die Historie steht der Begriff für Aktionen mit hohen Risiken. Den politischen Machthabern in China geht es vor allem um das eigene Überleben. Aber auch sie agieren derzeit zweifellos mit hohen Einsätzen, angesichts der Regulierungswut, die sie gepackt hat.

Seit einigen Monaten schon werden Angriffe auf den heimischen Internetsektor gefahren oder auch auf die Kreditmodelle von Fintech-Unternehmen. Zudem verschärft man die Kontrolle des Eigentums an Daten und versucht die übergroße Marktmacht mancher Firmen mit Kartellrechtseinwänden einzudämmen. Der bisher heftigste Schlag aber war der jüngste Beschluss, für Schulfächer abdeckende Nachhilfeinstitute die Gewinnerzielung zu verbieten.

Die Hintergründe für dieses Treiben sind sehr vielschichtig und würden den Rahmen hier sprengen. Zusammengefasst lässt sich aber sagen, dass es bei alldem um die Wahrung des gesellschaftlichen Zusammenhalts geht. Dahinter wiederum steckt der feste Wille der kommunistischen Partei, ihren Alleinherrscheranspruch zu behaupten. Es geht also letztlich um den politischen Machterhalt - immerhin stehen im vierten Quartal 2022 wichtige politische Termine an, bei denen es um die Vergabe führender Posten geht.

Enorme politische Unsicherheiten

Was auch immer die Beweggründe für die Regulierungswelle sind, für Anleger entscheidend sind die Folgen für ihre Investments. Diese sind in hier ausgesprochen negativ. So haben mit Alibaba, Baidu und Tencent die drei bekanntesten chinesischen Tech-Aktien 38, 50 beziehungsweise 37 Prozent gegenüber ihren Jahreshochs verloren. Noch kräftiger unter die Räder kamen Bildungsaktien wie Tal Education oder New Oriental Education.

Weil die Unsicherheiten derzeit unkalkulierbar sind, kommen diese Titel aktuell nicht für Neuanlagen in Betracht. Wer auf Nummer sicher gehen will, stellt zudem bestehende Positionen glatt. Eine Überlegung wert sind gegebenenfalls wieder chinesische Tech-Aktien, sobald Klarheit darüber herrscht, ob die jeweiligen Geschäftsmodelle weiter funktionieren und die Charts, anders als aktuell, wieder Kaufsignale senden.

Die jüngsten Entwicklungen haben die Aufmerksamkeit wieder auf die American Depositary Receipts (ADRs) gelenkt. Das sind streng genommen keine Aktien, sondern Zertifikate. Anleger haben hier weitaus weniger Rechte als "echte" Aktionäre. Daher sollte man sich vor einem ADR-Investment genau überlegen, ob man die damit einhergehenden Risiken eingehen will. Das Problem bei den im Ausland beliebtesten China-Aktien ist, dass diese oft nur als ADRs handelbar sind.

Vorsichtig sollte man hingegen mit voreiligen Abgesängen auf China und die chinesischen Börsen allgemein sein. Denn die Erfahrung lehrt, dass Anleger Negativereignisse schnell wieder vergessen. Das gilt insbesondere für einen großen Markt wie den chinesischen, an dem weltweit agierende institutionelle Investoren kaum vorbeikommen. Auch wäre es töricht, wenn die Politik in zahlreichen weiteren Sektoren regulatorische Eingriffe nach dem jüngsten Strickmuster unternimmt. Schließlich entfallen auf den Privatsektor gut 80 Prozent der Arbeitsplätze.

Zahl attraktiver Aktien ist begrenzt

Sollte sich der vorherrschende nachrichtliche Nebel verziehen, haben die lokalen Börsen wieder eine Chance auf bessere Zeiten, wenn die Notenbank, wie kürzlich bereits angedeutet, künftig weniger restriktiv, sondern wieder expansiver agieren sollte. Vergessen sollte man allerdings nicht, dass auch China ein Schuldenproblem hat. Mit der China Evergrande Group steckt der größte Hausbauer Chinas bereits in finanzieller Klemme.

Im Vergleich sieht auch der MSCI China Index gegenüber dem S & P 500 Index nicht gut aus - im Gegenteil: Im relativen Vergleich ist bereits seit 17 Jahren ein Abwärtstrend intakt. Auch hier gilt, dass eine Trendwende zugunsten des MSCI China erst dann auszurufen ist, wenn die Charttechnik entsprechende Signale gibt.

Anleger, die am liebsten investieren, wenn die "Kanonen donnern", sollten ihr Augenmerk auf Aktien aus Branchen richten, die aus regulatorischer Sicht derzeit als "nicht gefährdet" eingestuft werden können. Das gilt beispielsweise für das folgende Trio: Der Erdgasdistributor ENN Energy, der Anbieter von Elektrowerkzeugen und Heimwerkerbedarf Techtronic Industries sowie Sunny Optical, die sich auf integrierte optische Komponenten und Produkte spezialisiert hat. Alle drei Unternehmen überzeugen mit funktionierenden Geschäftsmodellen. Und gemessen an den soliden Geschäftsaussichten sind hier auch die Bewertungen durchaus noch vertretbar.

 


Auf einen Blick

China