Nach dem Tech-Sturz erwarten Fachleute ein starkes Comeback des Handels- und Cloud-Giganten. Derzeit sei das Papier eklatant unterbewertet, nächstes Jahr könne es mehr als 50 Prozent gewinnen. Von Gregor Dolak

Der Schwarze Freitag blieb sehr düster für den deutschen Einzelhandel. Das als „Black Friday“ titulierte erste Adventswochenende bescherte den Geschäftsinhabern, ob in den Fußgängerzonen der Republik oder im Online-Business, einen unangenehmen Vorgeschmack auf’s Weihnachtsgeschäft: Offenbar konsumieren die Deutschen im Vorgriff auf eine drohende Rezession zurückhaltender. Amazon-Gründer Jeff Bezos rät US-Verbrauchern sogar zu vorsichtigerem Kaufverhalten, um „Druck“ aus ihren Finanzen zu nehmen.

Die Nachrichten um den Handelsgiganten aus dem Netz fallen derzeit widersprüchlich aus. In den USA will das Unternehmen bis zu 10.000 Angestellte entlassen. Denn nach Jahren rasanten Wachstums stößt Amazon an Grenzen. Weltweit beschäftigt die Firma 1,6 Millionen Mitarbeiter. In Deutschland plant sie allerdings den Bau eines neuen Logistikzentrums im niederbayerischen Landkreis Kelheim. Während das bereits bestehende Verteilzentrum im niedersächsischen Kreis Stadt weiterhin leer steht.

Amazon: "Wandel zu E-Commerce und Cloud-Wachstum"

Keine Frage, der riesige Verkaufsmotor stottert, den Bezos vor drei Jahrzehnten gegründet hat. Der Aktienkurs spiegelt die Probleme – seit November vor einem Jahr hat er sich fast halbiert. Doch zahlreiche Analysten raten mittlerweile zum Kauf. Denn mittel- bis langfristig werde Amazon seine Schwierigkeiten überwinden können. Tech-Experte Doug Anmuth von der US-Bank J.P. Morgan bezeichnet die Aktie als „beste Idee unseres Hauses für 2023“. Das Preisziel liege weiterhin bei 145 Dollar. Für Anleger, Geduld aufbringen, kann sich das lohnen.

Der Handelsgigant profitiert laut Anmuth „vom fortgesetzten Wandel hin zu E-Commerce und Cloud-Wachstum“. Die enorm hohe Profitabilität der Amazon Web Services (AWS) sprudle weiter, weil Unternehmen auch in der Rezession ihre Investitionen in Cloud-Aktivitäten ausbauen. Die Werbe-Sparte von Amazon floriere. Auch der Onlinehandel werde mit den eingeleiteten Sparmaßnahmen und einem potenziellen Abflauen von Inflation und Rezession wieder Tritt fassen, glaubt der J.P.-Morgan-Mann.

Für das dritte Quartal 2022 hatte das Amazon-Management um Vorstandschef Andy Jassy einen Gewinn von 2,9 Milliarden Dollar veröffentlicht, gegenüber 3,2 Milliarden Dollar im Vorjahresquartal. Der Profit pro Anteil sank von 31 auf 28 US-Cent. Um den Trend zu drehen, sollen die Mitarbeiter laut Jassy den „manischen Fokus auf die Konsumenten-Bedürfnisse“ beibehalten.

Einschätzung zur Amazon-Aktie

Nicht wenige Analysten halten den aktuellen Amazon-Aktienpreis nach dem Sturz, den auch viele andere Tech-Firmen hinnehmen mussten, für stark unterbewertet. Allein der Firmenteil AWS sei mehr wert als die aktuelle Marktkapitalisierung von Amazon. Somit würden Käufer zum aktuellen Kaufpreis das Handelsgeschäft praktisch kostenlos dazukriegen.

Unter 52 Analysten halten das Papier momentan 34 für einen „Strong Buy“, 15 für einen „Buy“ und nur 3 für ein „Hold“ oder „Sell“. J.P.Mprgan-Analyst Anmuth stuft es auf „Overweight“ ein, rät Anlegern also zu stärkerer Gewichtung der Amazon-Aktie im Portfolio. Selbst auf die düstersten Schwarzen Freitage vor Weihnachten folgen womöglich hellere Tage.