Das neue Jahr könnte für Apple ein besonderes werden - der Start in ein neues Zeitalter. Die Gerüchte verdichten sich, dass der Tech-Riese Ende 2022 sein erstes großes Produkt für die Welt der virtuellen und erweiterten Realität (VR/ AR) präsentiert.

Im Design vermutlich einer Taucherbrille ähnlich, dazu bestückt mit Sensoren und kleinen Kameras, soll das Gerät die Grenzen zwischen digitaler und realer Welt überwinden. Genutzt werden kann es in der ersten Generation wohl für Computerspiele, Filme und Kommunikation. Spätere Versionen dürften vom Design eleganter sein, eher wie eine normale Brille aussehen und besser für den Alltag tauglich sein. Auf lange Sicht könnte dieses Gerät sogar das iPhone als wichtigstes Produkt ersetzen.

Auch wenn viele Fakten zur Apple-Brille noch unscharf sind, rechnen Börsianer bereits den Wert des neuen Gadgets hoch. Die Investmentbank Morgan Stanley kalkuliert als Basisszenario, dass Apple im Jahr 2026 etwa 29 Milliarden Dollar mit neuen Produkten und Diensten vor allem rund um die virtuelle und erweiterte Realität erreicht. Das entspricht knapp dem aktuellen Niveau der iPad-Familie. Im günstigsten Szenario seien sogar 74 Milliarden Dollar Umsatz in der neuen Produktwelt drin. Das würde rund 20 Prozent des letztjährlichen Konzernvolumens entsprechen.

In der Gunst der potenziellen Kunden hat Apple auch bei der neuen Technologie einen Vorsprung: Eine Umfrage aus dem Sommer zeigt, dass mehr als ein Drittel der Konsumenten ein AR/VR-Gerät bevorzugt von Apple kaufen würden. Google als härtester Rivale lag mit 20 Prozent deutlich zurück.

Eine Billion in 16 Monaten

Unter Investoren ist die Begeisterung für die Aktie neu entfacht. Erstmals erreichte der Börsenwert den Bereich von drei Billionen Dollar. Apple ist damit so wertvoll und teuer wie kein anderes Unternehmen zuvor in der modernen Wirtschaftsgeschichte. Erst vor 16 Monaten hatte der Konzern die Grenze von zwei Billionen gesprengt. Die Aktie profitiert davon, dass viele Anleger in Qualitätsunternehmen investieren wollen. Bei einem Jahresnettogewinn von zuletzt 95 Milliarden Dollar und einer sehr treuen Kundschaft ist Apple in dieser Kategorie ein klarer Topwert.

Die Gegenwart wird noch immer vom iPhone bestimmt. Mit einem Umsatzanteil von zuletzt 52 Prozent ist das Smartphone weiterhin der wichtigste Etatposten. Der Verkauf der aktuellen Modelle, die seit dem Herbst im Handel sind, wird durch die globalen Lieferengpässe in der Chipindustrie gebremst. Zuletzt kursierten Gerüchte, Apple habe seine Zulieferer auf eine abflauende Nachfrage eingestimmt. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht. Im Gegenteil.

Die Investmentbank JP Morgan beobachtet eine iPhone- Nachfrage, die für das laufende Quartal über der Konsenserwartung der Wall Street liege. Einen Schub werde das Geschäft im kommenden Frühjahr durch die Neuauflage der Billigversion SE bekommen. Aktuell erwarten Analysten, dass Apple im laufenden Geschäftsjahr knapp 240 Millionen Exemplare seines Top-Produkts losschlägt.

Positiver Corona-Effekt

Die Pandemie hat das Geschäft von Apple auf breiter Front angetrieben: Viele Berufstätige haben einen Heimarbeitsplatz eingerichtet und dafür Computer von Apple gekauft. Der Umsatz mit Mac-Rechnern, das alte Kerngeschäft, stieg im vergangenen Geschäftsjahr um knapp ein Viertel, das Geschäft mit iPads um mehr als ein Drittel. Diese Dynamik dürfte allerdings abflachen, auch wenn Apple 2022 etliche dieser Produkte technologisch aufrüsten wird. Das bedeutet unter dem Strich, dass die Kalifornier nach dem kräftigen Gewinnanstieg von 65 Prozent aus dem vergangenen Jahr erst mal durchschnaufen müssen.

Analysten kalkulieren laut der Konsensschätzung des Finanzdienstes Bloomberg für das laufende Geschäftsjahr sogar mit einem leichten Gewinnrückgang, danach mit leichten Steigerungen im mittleren einstelligen Prozentbereich. Das führt zur wichtigsten Frage: Wie viel ist die Aktie wirklich wert?

Seit Längerem schon steigt der Börsenwert stärker als der Konzerngewinn. Anfang 2016 wurden die Aktie mit dem etwa Zehnfachen der erwarteten Konzerngewinne gehandelt. Inzwischen ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis auf mehr als 25 gestiegen. Für den breiten Aktienindex Nasdaq 100 hat sich die Kennziffer lediglich verdoppelt.

Der heimliche Kurstreiber

Die Investmentstory verschiebt sich: Vor allem das Servicegeschäft gilt als Kurstreiber. Innerhalb von vier Jahren haben sich die Umsätze dort verdoppelt. Mit knapp 70 Milliarden Dollar ist dieser Bereich inzwischen so groß wie das Geschäft mit iMacs und iPads zusammen, dürfte laut Analysten jetzt auf 79 Milliarden Dollar steigen.

Aus Sicht der Börse ist das Servicegeschäft besonders wertvoll: Während Apple beim iPhone jedes Jahr Millionen Kunden überzeugen muss, einen hohen dreistelligen oder sogar vierstelligen Betrag auszugeben, sind die Einnahmen im Servicegeschäft relativ zuverlässig.

Bei Abos etwa für Musik oder TV-Serien zahlen die Kunden monatlich kleine Beträge. Dank Skaleneffekten steigt die Profitabilität nach Erreichen der Gewinnschwelle überproportional zum Umsatz. Beim AppStore verkauft Apple die Produkte externer Anbieter und kassiert einen Teil der Erlöse - auch dieser Bereich bringt geringe Risiken und großes Profitpotenzial.

Das Servicegeschäft würde durch eine VR/AR-Brille ebenfalls einen neuen Schub bekommen. So könnte Apple über seine Videothek Apple+ auf Basis der neuen Technologie speziell produzierte Filme und Serien anbieten.

Wohl noch nicht im Aktienkurs verarbeitet ist ein anderes spektakuläres Projekt: das Apple-Auto. Gerüchte dazu kursieren seit Jahren. Batteriegetrieben soll es sein, am besten auch selbstfahrend. Das Dilemma: Tesla war deutlich schneller und ist technologisch schwer zu überholen. Ein übereilter Start könnte das Image von Apple beschädigen. Analyst Gene Munster von der Investmentfirma Loup Ventures sieht immerhin eine Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent, dass ein Apple-Auto tatsächlich auf die Straße kommt. Voraussichtlich werde es aber mehr als fünf Jahre dauern, bis es so weit ist. Im Idealfall kann Apple ein neues Tesla aus dem Boden stampfen, im ungünstigsten Szenario viel Geld verbrennen.

Etliche Analysten haben ihre Kursziele für Apple in den vergangenen Tagen angehoben. Morgen Stanley und Wedbush rufen jetzt 200 Dollar auf, JP Morgan 210 Dollar. Noch offensiver ist Munster, der der Aktie 250 Dollar zutraut. Damit würde der Börsenwert auf vier Billionen Dollar steigen.

Rekordhoch: Als Qualitätswert bleibt Apple ein Basisinvestment im Tech-Sektor. Kursrücksetzer bleiben Kaufgelegenheiten.

Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 180,00 Euro
Stoppkurs: 118,00 Euro