Es ist ein ungewohntes Bild: Apple ist nur noch der drittwertvollste Konzern der Welt. Der Hauptgrund liegt in der verschlafenen AI-Adaption. Ein Apple-Top-Manager warnt gar vor einer historischen Disruption. Von Nils Jacobsen
Die Überraschung war groß. Bereits 2011 präsentierte Apple zum Launch des iPhone 4s ein neues Sprach-KI-Tool namens Siri, das Nutzern bei Alltagsaufgaben auf dem iPhone helfen sollte. Es wirkte wie Science Fiction. Apple schien bei einer technologischen Innovation wieder einmal in der Pole Position zu stehen.
Doch das Versprechen wurde indes nie eingelöst: Bis heute versteht die Sprachassistentin viele einfache Abfragen nicht oder gibt irreführende Antworten. Aus dem vermeintlich visionären Start wurde schnell eine frustrierende Realität: In den 10er-Jahren erwies sich bereits Amazons Alexa als das praktikablere Voice-Modell.
Dann startete Ende 2022 mit dem Launch von ChatGPT das KI-Zeitalter, das auf Large Language Models (LLMs) basiert. Apple wurde von der schnellen Massenadaption der generativen KI (GenAI) komplett überrascht und befand sich erstmals seit dem Launch des iPhones (2007) bei Schlüsseltechnologie wieder in der Defensive.
Wie sehr Apple im KI-Zeitalter inzwischen tatsächlich ins Hintertreffen geraten ist, hat der gut vernetzte Techreporter Mark Gurman gestern in einer viel beachteten Reportage bei Bloomberg beleuchtet. So erscheinen die Versäumnisse des Techpioniers Cupertino so weitaus tiefgreifender und langwieriger als bislang angenommen.
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AI-Features von Apple Intelligence und Siri mehrfach verschoben
Dass Apple hinter die eigenen Ansprüche zurückhinkt, wurde spätestens in den vergangenen Monaten offenbar, als die im Juni 2024 auf der Entwicklerkonferenz WWDC groß angekündigte Neuauflage von Siri mit neuen AI-Features immer wieder verschoben wurde.
Auch „Apple Intelligence“, die eigene Antwort auf ChatGPT, Grok, Claude & Co. bietet bisher kaum Mehrwert. Apple Intelligence wurde ebenfalls auf der WWDC im vergangenen Frühsommer angekündigt und sollte Apples große KI-Initiative werden – mit Textzusammenfassungen, Emojigeneratoren und smarter Systemsteuerung. Doch viele der angekündigten Features waren weder bei der Markteinführung des iPhone 16 im vergangenen Herbst verfügbar noch sind sie es heute.
Wie Gurman bei Bloomberg nun berichtet, begann hinter den Kulissen das große Aufräumen. KI-Vordenker John Giannandrea, der 2018 von Google als großer Hoffnungsträger abgeworben worden war, wurde mittlerweile von der Verantwortung für Siri und zukünftige Hardware-Integrationen entbunden. Die Leitung übernahm Mike Rockwell, der zuvor für die Vision Pro verantwortlich war. Auch im Marketing zieht Apple Konsequenzen: Künftig will man AI-Funktionen erst dann ankündigen, wenn sie tatsächlich marktreif sind und Apple Intelligence klarer von Siri abgrenzen.
Für Apple steht enorm viel auf dem Spiel.
Die Brisanz der Lage reicht weit über ein paar verspätete Features hinaus. Apple steht vor einem strukturellen Problem: Viele Zukunftsprojekte – von der AR-Brille Apple Vision Pro über mögliche smarte humanoide Roboter bis hin zu neuen Interaktionen mit dem iPhone – basieren auf leistungsfähiger KI.
Entsprechend viel steht auf dem Spiel. Sollte Siri dauerhaft hinter den neuen KI-Assistenten von OpenAI, Google oder etwa Anthropic zurückfallen, droht mittelfristig eine Erosion von Apples dekadenlanger Tech-Vorherrschaft: einerseits durch den
Verlust wertvoller Ökosystem-Einnahmen wie über den App Store oder durch die jährlich rund 20 Milliarden Dollar schwere Suchpartnerschaft mit Google, die zudem zuletzt kartellrechtlich ins Wanken geraten ist.
Wie ernst die Lage werden könnte, soll Apples langjähriger Services-Chef Eddy Cue intern sehr deutlich gemacht haben. Nach Bloomberg-Angaben erklärte Cue gegenüber Mitarbeitern, Apple sei keine unersetzbare Commodity wie Öl-Multi ExxonMobil – es bestehe das reale Risiko, dass KI mit Apple mache, was das iPhone einst mit Nokia getan habe: Disruption.
Eddy Cue: iPhone könnte in einem Jahrzehnt irrelevant sein
Einen alarmistischen Ton hatte Cue auch bei seinem Auftritt vor einem Bundesgericht im Zusammenhang mit der Klage des US-Justizministeriums gegen Alphabet angeschlagen: Cue erklärte im Mai, das iPhone könne in einem Jahrzehnt irrelevant sein – „so verrückt das auch klingen mag“.
Das Kultsmartphone macht bis heute fast die Hälfte der Umsätze von Apple und den Löwenanteil der üppigen Gewinne aus. Analysten und Apple-Aktionäre zeigten sich zuletzt nach den KI-Enttäuschungen und dem zermürbenden Zollstreit skeptischer: Die Apple-Aktie liegt seit Jahresbeginn um 16 Prozent im Minus, hat damit den S&P 500 und Nasdaq 100 klar underperformt und ist der schwächste Performer unter den Magnificent 7.
Die enttäuschende Kursentwicklung hat Folgen: Apple ist hinter Microsoft und auch Nvidia nach der Marktkapitalisierung nur noch drittwertvollster Konzern der Welt.
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Hinweis auf Interessenkonflikte
Der Autor hält unmittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Apple.
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Der Vorstand und Mehrheitsinhaber der Herausgeberin Börsenmedien AG, Herr Bernd Förtsch, ist unmittelbar und mittelbar Positionen über die in der Publikation angesprochenen nachfolgenden Finanzinstrumente oder hierauf bezogene Derivate eingegangen, die von der durch die Publikation etwaig resultierenden Kursentwicklung profitieren können: Apple.