Der Wolfsburger Autobauer habe durch bewusste Täuschung die Fahrzeuge in hoher Stückzahl in den Verkehr gebracht. Der Schaden des Käufers bestehe darin, dass er bei Kenntnis der Abschalteinrichtung den Kaufvertrag nicht geschlossen hätte. Das Problem sei auch durch ein späteres Software-Update des Diesel-Motors nicht gelöst worden. (AZ VI ZR 252/19)

Das Urteil ist eine Richtschnur für rund 60.000 weitere Schadensersatzklagen von Autokäufern. Etwa 240.000 Verbraucher akzeptierten bereits einen Vergleich von VW mit dem Verbraucherzentrale-Bundesverband, der den Autobauer 750 Millionen Euro kostete. Die Zahlungen lagen zwischen 1350 und 6257 Euro je Käufer. Diese mussten ihre Autos im Unterschied zum BGH-Urteil aber nicht an VW zurückgeben.

VW musste auf Druck von US-Umweltbehörden im September 2015 zugeben, bei mehr als elf Millionen Diesel-Fahrzeugen die Abgasreinigung manipuliert zu haben. Eine Abschalteinrichtung sorgt dafür, dass die Autos nur auf dem Prüfstand so wenig Stickoxid ausstießen wie gesetzlich vorgeschrieben. Auf der Straße liegen die Emissionen um ein Vielfaches höher.

SIGNALWIRKUNG


Der Richterspruch habe nicht nur für VW-Kunden Signalwirkung, sondern auch für Besitzer von Autos anderer Hersteller mit illegalen Abschalteinrichtungen, erklärte Rechtsanwalt Claus Goldenstein, der den Kläger Herbert Gilbert sowie rund 21.000 weitere Mandanten vertritt. Von den deutschen Herstellern könnte das vor allem Mercedes betreffen. "Das Urteil bedeutet Rechtssicherheit für Millionen Verbraucher in Deutschland und zeigt einmal mehr, dass auch ein großer Konzern nicht über dem Gesetz steht", erklärte die auf Diesel-Verfahren spezialisierte Kanzlei.

"Das Urteil des BGH ist ein Schlusspunkt", erklärte Volkswagen. Der Konzern wolle die noch anhängigen Verfahren einvernehmlich mit den Klägern durch Einmalzahlungen beilegen. Das sei die beste Lösung, weil die Kunden anders als nach dem BGH-Urteil ihre Fahrzeuge nicht zurückgeben müssten und Zeit sparen könnten. Rund 10.000 Verfahren, bei denen die Kunden nach September 2015 und damit in Kenntnis der Abschalteinrichtung den Kauf abgeschlossen hatten, will VW weiter durchfechten. Am 21. Juli verhandelt der BGH über zwei weitere Fälle. Neue Klagen erwartet VW wegen der Verjährungsfrist nicht.

Der Kläger Gilbert hatte Anfang 2014 für rund 31.500 Euro einen gebrauchten VW Sharan mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 gekauft, in dem eine Abschalteinrichtung verbaut ist. Da die zwischenzeitlich gefahrenen Kilometer dem Käufer abgezogen wurden, belief sich der Schadensersatz auf rund 25.600 Euro. Beide Seiten hatten in Karlsruhe Revision eingelegt. VW wollte am BGH die vollständige Abweisung der Klage erreichen, der Kläger wollte den Abzug nicht akzeptieren. Hierzulande waren bei den meisten Gerichten Schadensersatzklagen gescheitert. Zuletzt hatte sich das Blatt jedoch gewendet. VW versuchte seither, Niederlagen vor Gericht durch Vergleiche zu vermeiden. Einige Verfahren landeten dennoch vor dem BGH. Die Wiedergutmachung des Dieselskandals kostete Volkswagen bereits mehr als 30 Milliarden Euro. Mehr als 100.000 Verbraucherklagen sind noch außerhalb Deutschlands anhängig.

Wer bei dem Wolfsburger Konzern persönlich für die jahrelange Abgasmanipulation geradestehen muss, ist unterdessen noch in Strafprozessen zu klären. Der BGH teilte die Einschätzung des OLG Koblenz, nach welcher der Leiter der Entwicklungsabteilung die Praxis kannte und billigte. Der damalige Konzernchef Martin Winterkorn, der frühere VW-Motorenentwicklungschef Wolfgang Hatz und Ex-Audi-Chef Rupert Stadler wurden mit einem Dutzend weiterer VW-Manager von den Staatsanwaltschaften Braunschweig und München wegen Betruges angeklagt. Die Landgerichte haben noch nicht entschieden, ob sie die Verfahren zulassen. Einem Prozess wegen Marktmanipulation entgingen zuletzt der heutige VW-Chef Herbert Diess und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch. Diese Verfahren wurden gegen Zahlung einer Auflage von jeweils 4,5 Millionen Euro vergangene Woche eingestellt.

rtr