Wer breit streut und langfristig anlegt, den sollten kurzfristige Kursschwankungen wenig kümmern. Anleger, die dieser Strategie folgen, können aber auch nicht erwarten, dass ihr Depot große Sprünge macht. Investoren, die beispielsweise seit dem Jahr 1960 dauerhaft in Aktien des Deutschen Leitindex DAX engagiert waren, erzielten bis 2003 weniger als vier Prozent Rendite. Viel schlimmer noch: Von Anfang 2000 bis März 2003 haben sie beim Absturz des DAX rund 70 Prozent ihres in über vierzig Jahren und bis dato mit sieben Prozent rentierenden Aktienvermögens wieder verloren. Ähnlich war es in der Finanzkrise. Der Ein- und Ausstiegszeitpunkt hat also entscheidenden Einfluss auf die Höhe der Rendite und des Vermögens.

Das gilt auch bei einer zyklischen Investitionsstrategie. Dabei ist es für Anleger besonders wichtig, nicht die wechselnden Stimmungen zu beurteilen, sondern ein festes Koordinatennetz zu haben, das sie vor hohen Verlusten bewahrt, an Aufschwüngen rechtzeitig und im größtmöglichen Umfang partizipieren lässt und vor einer möglichen Trendwende früh genug warnt.

Ein nicht zu unterschätzender Aspekt ist, neben Sondereinflüssen, der enge Bezug der jeweiligen Branchen und damit auch der Einzeltitel zu unterschiedlichen Phasen im Börsenzyklus. Wer etwa seit 2015 gleichzeitig in die RWE- und Adidas-Aktie investierte, musste erfahren, dass die Verluste der einen mit den Gewinnen der anderen korrelierten und sich in etwa aufhoben.

Die Auswahl der richtigen Branche sollte daher mit der Analyse des Zyklus einhergehen. Niedrige oder fallende Zinsen zu Beginn einer Aktienhausse begünstigen in der Regel Banken, Versicherer und Versorger. Von einem starken Dollar, der eine weltweite Konjunkturerholung und steigende Nachfrage signalisiert, profitieren besonders Autohersteller, Maschinenbauer, IT-Werte, Konsumgüter- und Medienunternehmen.

Niedrige und fallende Ölpreise begünstigen vor allem Transport- und Logistikaktien und spielen auch der Chemieindustrie in die Karten. Wenn in der Spätphase der Hausse die Rohstoffpreise wieder steigen, profitieren davon die Rohstoffproduzenten. Die Entwicklung von Zinsen, Rohstoffen und Währungen gibt dem Anleger somit eine gute Hilfestellung, in welcher Phase des Zyklus sich die Börse befindet. Zudem lohnt es sich, genauer auf die Entwicklung der Branche selbst zu schauen. Die Börsenhistorie zeigt: Eine Aktie ist in der Regel nur so stark wie die Branche, der sie angehört. Denn prinzipiell haben Unternehmen eines Sektors mit den gleichen Vor- und Nachteilen zu kämpfen. Dass sich ein Titel diesem Trend vollständig entziehen kann, ist eher unwahrscheinlich.

Gute Anhaltspunkte zum Stand der jeweiligen Branche gibt die Entwicklung des Branchenindex und noch konkreter die 52-Wochen-Höchst- und -Tiefstkurse. Erreichen immer mehr Aktien neue 52-Wochen-Höchstkurse, scheint der Sektor aussichtsreich. Liegen dagegen deutlich mehr Titel der Branche nahe ihrer bisherigen Tiefstkurse, ist Vorsicht geboten. Deshalb gilt für die Anleger, sich nicht von den günstigen Preisen der Aktien zum Kauf verlocken zu lassen, denn ein niedriger Kurs ist keinesfalls ein Einstiegssignal. Erst nach der Vorauswahl durch Trendbestimmung ist die abschließende Kennzahlenanalyse hilfreich.

Egal ob langfristig breit im Markt investiert oder zyklisch: Anleger brauchen zuverlässige Hinweise, die den Trend der Märkte und der Branchen erkennen lassen. Diese Erkenntnisse geben freilich noch keine Sicherheit, wann die nächste Trendwende einsetzt. Sie helfen jedoch, den schlechtesten Börsenberater bei der Aktienauswahl überhaupt - die Unsicherheit - einzudämmen.

Hartmut Jaensch



Der Betriebswirt begann schon während seines Studiums, Algorithmen zu testen, um Börsenzyklen zu entschlüsseln. Auch während seiner Tätigkeit als Manager und Berater für amerikanische Konzerne wie Google, Xerox, Avaya und Dresser forschte er weiter. Seine Erkenntnisse aus über 25 Jahren Forschung mit Daten aus mehr als 100 Börsenjahren stellt der geschäftsführende Gesellschafter von "Prediqma - Institut für Börsenstrategie" Anlegern bereit.