The Stag’s Head in Dublins Zentrum ist nicht einfach nur ein Pub. Er ist eine In­stitution, die nächstes Jahr 250-jähriges Bestehen feiert. Über dem langen Tresen, an diesem Freitagnachmittag bereits voll besetzt, prunkt der namengebende, ausgestopfte Kopf eines kapitalen Hirschs, darunter eine beeindruckende Auswahl irischen Whiskeys. Ein geeigneter Ort also für ein Treffen mit dem Vorsitzenden einer Institution, die ein Wachstum um 200 Prozent in den vergangenen zehn Jahren verzeichnet und immer mehr Mitglieder gewinnt: Es gibt bis zur Stunde schon wieder 25 Whiskeydestillerien im Land, weitere 25 sollen in den nächsten Jahren folgen. Notabene: Probiert wurde der Whiskey erst nach dem Interview.

€uro am Sonntag: Voriges Jahr hat irischer Whiskey 42 Prozent der Getränkeexporte aus Irland ausgemacht. Haben Sie Guinness schon überholt?
William Lavelle: Allerdings. Zumindest was den Umsatz betrifft, 700 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Natürlich hinkt der Vergleich, weil Whiskey und Bier in unterschiedlichen Volumina exportiert werden. Aber was den Beitrag zur irischen Getränkewirtschaft - und zur gesamten irischen Wirtschaft - betrifft, ist Irish Whiskey inzwischen größer als Bier, größer als Guinness und größer als Bailey’s. Er ist ein sehr signifikanter Beitrag.

Und ein unerwarteter. Was waren denn die Motoren für diesen Boom?
Man muss sich die Situation in den 80er-Jahren in Erinnerung rufen. Damals lag Irish Whiskey, um die vorvergangene Jahrhundertwende noch Weltmarktführer, am Boden. Es waren überhaupt nur noch zwei Betriebe übrig, die weltweit gerade mal drei Prozent von dem umsetzten, was wir heute umsetzen. Dann, 1988, kaufte der französische Spirituosenmulti Pernod Ricard den letzten verbliebenen Betrieb, Irish Distillers, unter dessen Dach die Whiskeys Jameson, Powers und Bush­mills produziert wurden. Der Ire John Teeling etablierte Cooley, den ersten in einer Welle neuer Whiskeys hier. William Grant, Eigentümer von Glenfiddich, Drambuie oder Hendricks Gin, erwarb Tullamore Dew. Mit anderen Worten: Internationale Firmen und einheimische Unternehmer mit Pioniergeist investierten wieder in dieses ur­irische Erzeugnis und verfolgten gemeinsam die Vision eines Wachstums von Irish Whiskey. 30 Jahre später ernten wir die Früchte.

Klären Sie uns bitte auf: Was genau ist Irish Whiskey?
Zunächst ist die Bezeichnung, wie Parmaschinken oder Champagner, durch EU-Gesetze herkunftsgeschützt. Er muss in Irland, in Brennblasen oder -säulen, aus gemälzter und ungemälzter Gerste oder anderen Getreidesorten destilliert werden und anschließend für mindestens drei Jahre in Holzfässern auf der irischen Insel reifen.

Und wer prüft das?
Eine von der EU überwachte Behörde, der sich jede Destillerie einmal im Jahr stellen muss. Zusätzlich gibt es unangekündigte Besuche und Überprüfungen. Und unsere Institution, die IWA, stellt sicher, dass es keine fake products gibt.

Was ist der Unterschied zu Scotch oder Bourbon?
Wir sagen nicht, dass wir besser sind als die anderen. In Amerika dominieren einmalige Destillation, Abfüllung in neuen Fässern, oft auch Mais- oder Roggenmaische. Schottland ist bekannt für zweifach destillierte Single Malts und die Prägung durch ein nördlicheres Klima im Gegensatz zu unserem gemäßigten atlantischen. Weil irischer Whiskey meist dreifach destilliert ist und in unterschiedlichsten Fässern reifen darf - Sherry Oloroso, Rum, Bordeaux -, ist er generell weicher, zugänglicher und in seinem Variationsreichtum ausdrucksstärker. Das begründete schon seine Popularität um die vorvergangene Jahrhundertwende. Und rechtfertigt jetzt die enorme Nachfrage.

Aber wie irisch ist Ihr Whiskey überhaupt? Pernod Ricard, der mit Jameson, Powers, Redbreast und Midleton bei Weitem größte Player in Ihrer Branche, ist ein französischer Konzern. Der japanischen Holding Beam Suntory gehören ­Kilbeggan, Tyrconnell und Connemara. Und gerade ist der britische Spirituosenriese Diageo mit der Destillerie Roe & Co in den irischen Markt eingestiegen.
Das mag sein. Aber: Hätte Pernod Ricard nicht vor 30 Jahren in Irish Distillers investiert, wäre der ganze Industriezweig womöglich ausgestorben. Die Präsenz multinationaler Firmen war enorm wichtig. Und: Vielleicht anders als in anderen Zweigen der Food-and-Beverage-­Industrie muss man im Bereich der Premiumspirituosen Teil des globalen Netzwerks sein, um weltweit verkaufen zu können. Das ist ja bei Cognac oder Tequila nicht anders.

Wie hoch ist denn der Prozentsatz rein irischer Whiskeyproduktion?
Wir betrachten unsere Mitglieder nicht als irisch oder nichtirisch. Solange die Firmen in Irland produzieren, spielt das wirklich keine Rolle.

Mit welchem Investment muss ein Neueinsteiger rechnen?
Zunächst muss er ja einen Betrieb errichten, einen komplexen Apparat, in dem er sein Getreide mahlen, maischen, fermentieren, destillieren und in Fässer abfüllen kann. Dann braucht er mindestens drei Jahre Geduld, bis er ein Produkt hat, dass er an Kunden verkaufen kann. Er muss also nicht nur jede Menge Vorlaufkosten stemmen können, sondern auch große Summen zur Überbrückung. Für manche Mikrodestillerie mag der Einstieg weniger kostspielig sein. Aber wer es ernst meint, sollte unter zehn Millionen Euro - und ohne seriösen Business­plan - gar nicht erst anfangen.

Wie viele der neuen Destillerien werden dann überleben?
Alle, die ihre Hausaufgaben gemacht haben. Sehen Sie: Irischer Whiskey boomt weltweit. Unsere Verkaufszahlen haben sich binnen eines Jahrzehnts verdoppelt. Und dabei haben wir uns bislang nur auf unsere Hauptabsatzmärkte, Nordamerika und Kontinentaleuropa, konzentriert. In Asien, Afrika oder Lateinamerika dagegen kratzen wir erst an der Oberfläche. Das heißt: In den nächsten zehn, 15 Jahren werden wir deutlich weiter wachsen.

In diesem Jahr sind die Verkaufszahlen irischen Whiskeys in seiner Heimat um 5,4 Prozent auf fast sieben Millionen Flaschen gestiegen. Reflektiert dies nur eine gesunde irische Wirtschaft, oder muss man sich Sorgen um steigenden Alkoholkonsum in Ihrem Land machen?
Nein. In Irland, wie in vielen anderen Ländern, steigt der Konsum von Spirituosen, während der Bierverbrauch sinkt. Bei Whiskey sehen wir ein durchschnittliches Wachstum um fünf Prozent, aber interessanterweise sind es bei Premiumprodukten 21 Prozent. Das heißt, Genießer von Alkohol sind heute mehr an Qualität interessiert als an Quantität. Sie sind also bereit, mehr für ein Premiumprodukt auszugeben, aber trinken potenziell weniger davon. Und wie das anderswo in Europa mit Gin geschieht, passiert es hier mit Whiskey. So viel zum zweiten Teil Ihrer Frage. Und zum ersten Teil: Die irische Wirtschaft gehört womöglich zu den turbulentesten weltweit in den vergangenen 15 Jahren. Auf den keltischen Tiger folgte eine der heftigsten Rezessionen in Europa. Jetzt wachsen wir wieder. Die Verkaufszahlen irischen Whiskeys hierzulande aber sind offenbar unabhängig davon kontinuierlich gewachsen. Die Renaissance des irischen Whiskeys ist wohl nicht allein eine Renaissance dieser Industrie, sondern in der Geisteshaltung der irischen Bevölkerung. Wir realisieren, dass hier die historische Heimat des Whiskeys liegt. Wir sind stolz darauf und kehren wieder dazu zurück.

Angenommen, der harte Brexit kommt doch noch - wie könnte sich das auf die Verkaufszahlen irischen Whiskeys auswirken?
Hoffentlich überhaupt nicht. Aber natürlich gibt es Risiken. Die irische Whiskeyindustrie, die ja, zum ­Beispiel mit Bushmills im County Antrim, auch in Nordirland beheimatet ist, geriete zwischen zwei getrennte Wirtschaftsräume und müsste womöglich auseinanderdividiert werden. Das wollen wir natürlich vermeiden. Einige Marken könnten den Zugang zum gemeinsamen Handel verlieren. Eine harte Grenze zwischen Irland und Nord­irland würde also fast zwangsläufig zu Störungen führen - wir haben ja bisher nahtlose Versorgungsstränge. Die irische Spirituosen­industrie liefert bislang 130 Millionen Flaschen jährlich nach Großbritannien. Wir müssen also gemeinsam mit der EU und der britischen Regierung daran arbeiten, dass die Auswirkungen minimal bleiben.

Und allgemein? Ein deutsches Wirtschaftsinstitut hat kürzlich errechnet, dass das Wohlstandsniveau in Irland nach einem harten Brexit um über acht Prozent sinken würde.
Ein ungeordneter Brexit wäre für alle Beteiligten schlecht. Wie alles, was die Wirtschaft und das Vertrauen der Verbraucher schädigt. Aber am meisten werden die Briten leiden, eine Erkenntnis, der man sich in Whitehall lange zu verweigern schien.

Könnten nicht die von Trump angezettelten Handelskonflikte die US-Absatzzahlen negativ beeinflussen?
Sie wissen, dass der amerikanische Präsident auf alle möglichen Kategorien der Spirituosenindustrie losgeht, irischen Whiskey, schottischen Whisky, Liköre oder Schnäpse vom Kontinent. Das ist Teil einer Ausei­nandersetzung, in der es eigentlich um Subventionen für Flugzeughersteller geht. Wir hoffen, dass sich beide Seiten nochmals zusammensetzen und eine bekömmliche Lösung verhandeln. Das würde Kollateralschäden in anderen Kategorien vermeiden helfen. Die Spirituosenhersteller sind weltweit einig gegen Zölle, sei es der USA auf europäische oder Europas auf amerikanische Whiskeys. Klar sind das Wettbewerber, aber es bringt uns weder Trost noch Spaß, sie mit Zöllen belegt zu sehen.

Sind Nachahmerprodukte ein Problem?
Die Irish Whiskey Association als Repräsentant der Branche versucht natürlich auch jenseits der EU, die Herkunftsbezeichnung "Irish Whiskey" zu schützen und hat diesbezüglich etwa in Indien, Südafrika oder Australien bereits Erfolg gehabt. Andererseits registrieren wir zunehmend Verstöße. Und wen wundert’s, wenn ein paar Cowboys am Erfolg der am schnellsten wachsenden braunen Spirituose der Welt teilhaben wollen? Kürzlich erst haben wir in russischen Geschäften fünf Produkte entdeckt, die als irischer Whiskey angeboten wurden, bei denen es sich aber in Wahrheit um billig gebrannten Wodka aus Weißrussland und Armenien mit Karamellfärbung handelte. Auch in den USA tauchen immer wieder Flaschen auf, die laut Etikett irischer oder "Irish Style"-­Whiskey sein sollen. Es ist der Job der IWA, gegen solche Verstöße aktiv zu werden.

Sehen Sie Möglichkeiten für Anleger, in diesen wachsenden Markt zu investieren?
Jedes unserer Mitglieder ist anders organisiert. Und wir als Vereinigung sind nicht in der Position, individuelle kommerzielle Aktivitäten zu kommentieren. Der ein oder andere Konzern - Diageo etwa oder Pernod Ricard - steht Anlegern offen, wenn auch nicht speziell für seine, extrem erfolgreichen, Aktivitäten in Irland. Manche Firmen - ein Beispiel ist die Dingle Whiskey Distillery - öffnen sich Investoren, indem sie einzelne Fässer verkaufen. Wer wirklich in diesen Markt investieren will, wird Möglichkeiten finden, dies zu tun.

Auch in den seltenen, älteren irischen Whiskey?
Davon würde ich jedenfalls nicht abraten. Weil all die Neugründungen auf diesem Gebiet naturgemäß blank sind, steigen Jahrgangswhiskeys zum Teil dramatisch im Preis. Und richtig alte Flaschen können schon auch mal vierstellig bewertet werden. Die sind allerdings wirklich absolut erstklassig in der Qualität.

Manche Händler klagen, dass auch schon der relativ junge irische Whiskey zu hochpreisig ist, gerade im Vergleich mit bereits gereifteren schottischen Produkten.
Dann verwechseln sie Alter mit Qualität. Die irischen Destillerien zielen auf Premiumwhiskeys, übrigens der dominante Trend in dieser Branche. Unsere Jugend macht uns freier, offener für Innovationen, als es etwa die Schotten sind. In Irland sind ein paar der besten master distillers und blenders der Welt tätig. Und sie ermöglichen Geschmackserlebnisse, die anderswo nicht erreicht werden können. Auch weil wir in Irland, anders als in Schottland oder Amerika, dreimal destillieren und unsere Whiskeys deshalb deutlich reiner und weicher sind. Wir stellen fest, dass immer mehr Konsumenten ­bereit sind, für ungewöhnliche Ausdrucksformen von Whiskey, abgefüllt in kleinen, begrenzten Auflagen, mehr Geld auszugeben. Weil es hier auch um Exklusivität geht.

Für jüngere Konsumenten ist Whiskey vor allem Hauptbestandteil von Cocktails. Spielen da die feinen Geschmacksnuancen überhaupt noch eine Rolle?
Auf jeden Fall. Irish Whiskey ist, vor allem wegen seiner smoothness, kompatibler für die Cocktailkultur als andere. Das ist ja auch ein wichtiger Grund für die steigenden Verkaufserfolge gerade unter den Millennials.

Anfang des Jahres hatte die Irish Whiskey Association die Hoffnung geäußert, die Anzahl der Destilleriebesucher auf über eine Million zu erhöhen, 2025 sollen es 1,9 Millionen sein. Ist das ein wesentlicher Faktor in Ihrer Wirtschaftsplanung?
Ja, weil jeder begeisterte Besucher potenziell zum Botschafter für irischen Whiskey wird. Zudem sind gerade Konsumenten höherpreisiger Whiskeys an Authentizität interessiert. Deshalb planen alle Neugründungen Führungen von vornherein mit ein: Schaut euch an, wie unser Whiskey entsteht, wer die Menschen sind, die ihn machen, was die Vorgeschichte ist.

Schlussfrage: Können Sie das Rätsel lösen, warum sich das Wasser des Lebens in Irland mit "e" schreibt, in Schottland aber nicht?
Ich glaube, diese Frage müssen Sie den Schotten stellen. Sie sind es ja, die das "e" gestrichen haben. Die Wahrheit ist: Irland ist die Heimat des Whiskeys, hier wurde das Uisce ­Beatha erfunden und das Wort später, mit dem "e", anglisiert. Wir haben Urkunden, die die Destillation im 13. Jahrhundert belegen, 200 Jahre vor den Schotten. Und jetzt hat Irish Whiskey, der mit dem "e", wieder eine große Zukunft vor sich.

Kurzvita

Der Funktionär
William Lavelle, 1981 im County Mayo im Westen Irlands geboren und als Architekt und Stadtplaner ausgebildet, begann seine Karriere als Präsident der Young Fine Gael, der Jugendorganisation der größten irischen Volkspartei. Er vertrat den Dubliner Vorort Lucan als dessen Abgeordneter und diente der irischen Vizepräsidentin Frances Fitzgerald bis 2014 als Berater. 2017 wechselte er als "Head" zur Irish Whiskey Association IWA.
Lavelle, laut Selbstzeugnis eifriger Leser von Literatur über Geschichte und Gegenwartskunde, ist verheiratet und hat eine vierjährige Tochter.